Mommy! (Teil 2)

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„Um Himmels Willen", höre ich die alte Dame gebrochen flüstern.
Ist das Oma? Die Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor... aber ich kann sie vor lauter Aufregung beim besten Willen nicht einordnen. Noch immer hallen Mommys hastige Schritte in meinem Kopf wider.
„Na komm mal her", mit diesen Worten nimmt mich die alte Frau zu sich.
Ich schaue sie an und kann zum Glück wirklich Oma-Erika entdecken. Ihr faltiges Gesicht, das mir so vertraut ist. Oma hat oft auf mich aufgepasst, während Mommy einkaufen oder gearbeitet hat. Manchmal war auch Seth, ein Junge mit schwarzen Haaren und einem lieben Lächeln, da gewesen... wenn auch nur eher selten.
„Keine Sorge", höre ich die alte Dame an mich gewandt sagen, während ein omahaftes Lächeln ihre Lippen ziert, „hier bist du sicher, egal was Celine wieder mal ausgefressen hat."
In mir breitet sich Wohlbefinden aus.
Aber was ist mit Mommy?
Ehe ich das Oma fragen kann, passiert etwas.
Plötzlich höre ich eine Tür, die geräuschvoll aufgerissen wird. Ich zucke leicht zusammen. Ob das die Leute mit dem blauen Licht sind, vor denen Mommy mit mir gemeinsam davongelaufen ist?
Ich höre schnelle Schritte, die immer näherkommen und bevor Oma die Tür schließt, kann ich gerade noch Männer in Uniform entdecken, die im Eiltempo die Treppe hinaufstürmen. Auf ihrem Rücken steht etwas mit weißen Buchstaben geschrieben, aber ich habe noch nicht gelernt zu lesen.
„Mrs. Novak, Sie sind umstellt", höre ich einen schreien, „jeglicher Widerstand ist zwecklos!", dann kann ich nichts mehr hören, da Oma mich hochnimmt und mich von der Tür weg ins kleine gemütliche Wohnzimmer hinüberbringt.
Dort angekommen, kann ich eine ihrer drei Katzen auf dem dunkelgrünen Sofa entdecken. Eingekugelt liegt sie da und schnurrt wie ein Weltmeister. Über mein Gesicht huscht ein leichtes Lächeln. Es ist Kitty-Blue. Die graue Katze von Oma mit dem buschigen Schweif. Sie habe ich von Omas drei Flohbeuteln – wie Seth die Katzen nennt – am liebsten. Ihren Zweitnamen hat ihr Mommy gegeben. Und Blue deshalb, weil das vier-pfötige Tier wirklich sehr schöne blaue Auge hat. Sie leuchten so schön und sind so aufmerksam und unendlich treu. So wie die Augen meiner Mommy. Was wohl jetzt mit ihr ist? Hoffentlich ist alles gut. Oh, ich muss unbedingt Oma fragen. Die weiß das bestimmt... immerhin ist sie eine sehr schlaue, weise alte Frau. Ob sie wohl schlaurer als der Weihnachtsmann und der Osterhase zusammen ist?
„Sag mal Kitty-Blue Hallo", erlangt Omas freundliche Stimme meine Aufmerksamkeit, „ich hole dir heiße Milch, die magst du doch so gerne, okay Elliot."
Ich nicke.
Okay. Das mit Mommy kann ich sie ja auch noch später fragen.
Oma verschwindet in die anliegende Küche und ich mache mich auch schon daran auf das Kätzchen zuzugehen, das noch immer schnurrend auf dem Sofa liegt.
Als ich mich auf die Couch hinaufhieve, es ist ganz schön anstrengend, aber ich bin froh, als ich endlich neben der flauschigen Katze sitze. Das Tier blickt auf und schaut mich mit seinen saphirblauen Augen an.
Langsam strecke ich meine kleine Hand aus.
Meine Finger streicheln durch das weiche, graue Fell.
Boa, ist das kuschlig... und so schön flauschig!
Das Schnurren der Katze wird lauter und bleibt bestehen.
Genießerisch schließt das Tier die Augen, als ich es unterm Kinn graule.
Wie süß Kitty-Blue doch ist... und wohlfühlen tut sie sich auch.
Wo wohl die anderen beiden Stubentiger abgeblieben sind?
Suchend blicke ich mich im Raum um.
Und da entdecke ich sie auch schon. Sammy, ein orangeroter Kater liegt faul unter dem Kratzbaum in einem Körbchen und Bianca, die weiße Diva-Katze thront oben auf der Spitze des Kratzbaumes. Anmutig sitzt das stolze Tier da und strotz nur so vor Eleganz, während ihre hellblauen Augen mich neugierig mustern. Ob mich die Katze als nerviger Zweibeiner sieht, der in ihr Revier eingedrungen ist, ohne vorhin zu fragen? Schließlich hat Mommy nicht vorhin mit Oma telefoniert, bevor sie mich hier abgesetzt hat. Sonst tut sie das immer. Jedes Mal! Aber heute nicht... sie ist einfach nicht mehr dazu gekommen.
Die Katze neben mir schnurrt noch immer mit dem Regen um die Wette und ich streichle weiter, solange bis ich auf einmal Schritte höre, die sich nähern.
Ich blicke auf.
Oma kommt auf mich zu, wie versprochen hat sie ein Glas heißer Milch in der Hand.
„Hier", sagt sie freundlich, als die alte Frau letztlich vor mir stehen bleibt.
Ich nehme meine Hände von dem flauschigen, grauen Fell des Stubentigers und strecke meine Rechte nach dem Glas aus.
„Danke", murmle ich, ehe ich einen kräftigen Schluck mache.
Die warme Milch tut mir gut.
Hmh ... ist das lecker.
Ob die Katze auch etwas möchte? Ich habe mal gesehen, wie die drei Vierbeiner die weiße Flüssigkeit in der Küche aus ihren Schüsseln geschleckt haben.
Oma setzt sich neben mich, dann greift sie nach links und holt sich Kitty-Blue auf ihren Schoß. Das Kätzchen schnurrt noch immer unermüdlich. Es scheint sich hier pudelwohl zu fühlen. Ist ja auch klar, immerhin gehört sie hierher und hat hier bei Oma ihr ganzes bisheriges Leben verbracht. Die anderen beiden flauschigen Vierbeiner fühlen sich bestimmt auch wohl hier, genauso wie Kitty-Blue das tut. Ich schaue die Katze an, die es sich jetzt zufrieden auf Omas Schoß bequem gemacht hat... dauerschnurrend, als gäbe es nichts Leichteres auf dieser Welt.
Ich mache einen weiteren Schluck aus meinem Milchglas, als es plötzlich an der Haustür klingelt.
Das schrille Geräusch lässt mich aufhorchen.
„Ich komme ja schon", meint Oma, dann erhebt sie sich, setzt die graue flauschige Katze mit dem buschigen Schweif neben mir auf der Couch ab, und macht sich mit schnellen Schritten auf den Weg zur Tür.
„Einen Moment", sagt sie, dann dreht sie sich zu mir um, „bleib da sitzen mein Junge."
Nein! Warte, ich will mit. Oma!'
Aber meine Oma dreht sich schon um und geht zur Haustür.
Ich schaue nochmal zu der Katze, die nun kerzengerade auf dem Sofa sitzt und alarmiert dreinblickt, ehe ich allen Mut zusammennehme und vom Möbelstück hinunterrutsche.
Bis nachher kleine Katze. Oma, ich komme.'
Die Katze folgt meinem Beispiel, jedoch hüpft sie mit einem geschmeidigen Satz auf eine untere Fläche des großen Kratzbaumes auf dessen Spitze noch immer Bianca thront.
Meine Beine tragen mich in Richtung Tür.
Ich gehe an Fotos in Bilderrahmen vorbei, die die Wände in altrosa schmücken.
Fast mein Ziel erreicht, vernehme ich Stimmen.
Sofort bleibe ich stehen und spitze meine Ohren.
Passe ganz besonders gut auf.
„Mrs. Flowers", spricht eine tiefe Stimme. Ich spitze die Ohren, „dürften wir reinkommen?"
„Wieso?", höre ich Oma erwidern. Die Besorgnis, die sich in ihre Stimme hineingeschlichen hat, bleibt mir nicht verborgen. Meine Oma hat ein so großes Herz wie meine Mommy, beide machen sich immer viel zu schnell und eindeutig viel zu viele Sorgen. Die beiden zerbrechen sich über alles Mögliche den Kopf, das ihnen, so glaube ich, eigentlich sogar egal sein könnte.
„Es geht um ihre Tochter", wieder die tiefe Stimme des Mannes, „Celine Novak."
Die tiefe Stimme des Fremden ist mir unbekannt. Ich habe sie zuvor noch nie gehört, aber aus einem unerklärlichen Grund beginnt mein Herz in meiner Brust schneller gegen die Rippen zu hämmern.
Was wohl mit meiner Mommy ist?
Nun bin ich auch neugierig.
Ich will es unbedingt wissen.... und zwar jetzt.
Ich kann gar nicht so schnell schauen, da bewegen sich meine Beine auch schon Richtung Tür und überbrücken so die paar Meter, die Oma und mich voneinander trennen.
Was ist mit meiner Mommy, das ist mein einziger Gedanke.
„Es tut mir so unendlich leid", wieder die tiefe Stimme des fremden Mannes. Jetzt klingt sie traurig. Was tut ihm leid? Was ist passiert?
Mommy?
Ich laufe – so gut mich meine kleinen Beinchen tragen – eher stolpernd zu Oma.
Omi, was ist mit Mommy? Omi, was ist mit Mommy? Omi, was....'
Schlagartig stoppen meine Gedanken, denn meine Oma steht da und zittert wie Espenlaub am ganzen Körper.
„Oma", flüstere ich gebrochen und auf einmal hört sich meine Stimme ganz tonlos und fremd für mich an.
Der Mann, der in der Tür steht, blickt an Oma vorbei. Bemerkt mich.
Seine Gesichtszüge entgleiten ihm und den Blick, den er jetzt hat, kann ich nicht einordnen. Entsetzten?
Trauer?
Schock?
Ich weiß es beim besten Willen nicht.
Aber ich wünschte, Mommy wäre da, um mir zu erklären, warum er so dreinschaut.
Oma dreht sich um und nun bemerkt sie mich ebenfalls.
Entsetzt schlägt sie die Hand auf den Mund, ehe sie, ohne irgendetwas zu sagen, auf mich zukommt.
Langsam streckt sie die Hände aus und nimmt mich behutsam in den Arm.
Ganz fest drückt sie mich an sich. So als hätte sie Angst, mich zu verlieren.
Beruhigend streicht Oma mir über den Rücken...und eigentlich fühle ich mich immer wohl, wenn sie mich umarmt, aber jetzt...
Ich spüre ihre zittrigen Finger auf meiner Haut.
Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.
Und mit einem Mal, weiß ich, was hier nicht stimmt.
Mommy!


Fortsetzung folgt...

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