„So kann es nicht weitergehen", das war etwas, was Lena gestern zu ihrer Schwester in der Hitze des Gefechts gesagt hatte. Und am Tag darauf ist auch schon eine Veränderung eingetreten.
Eine Veränderung für mich.
Denn Lena hat einige meiner Sachen in eine Reisetasche gepackt und ist mit mir gemeinsam wieder zu dem gigantischen Gebäude gegangen, wo wir gestern schon gewesen waren. Hatte wieder telefoniert und hatte dann sogar ihr Handy der Frau am Schalter in die Hand gedrückt. Als die schließlich genickt hatte, waren für mich die Würfel wohl gefallen. Denn Lena hatte mich dann in den Arm genommen und hatte mich gedrückt. Ganz fest an sich gedrückt und das hatte mich an gestern erinnert.
„Du musst für einige Zeit hierbleiben."
Was? Mir musste mein Entsetzen wohl ins Gesicht geschrieben sein, denn sofort sagte sie zu mir, dass es nicht für immer sei.
„Mindestens fünf Tage. Schaffst du das? Elliot?"
‚Nein, ich will nicht! Ich will bei dir bleiben! Ich will...'
„Deine Katzen darfst du leider nicht mitnehmen", mein Gedankengang wird unterbrochen, „Aber ich werde mich gut um sie kümmern. Versprochen."
„Nein", erwidere ich, „ich will nicht."
Lena löst die Arme und ich werde freigegeben.
„Weißt du", entgegnet sie und beginnt dann plötzlich von Linn zu sprechen.
Mir kommt es so vor als müsse sie sich mächtig zusammenreißen, um nicht gleich wieder, wie gestern Abend, los zu weinen. Durch meinen Kopf jagen tausende von Gedanken. Da ist eine Frage, die sich deutlich von den anderen Fragezeichen in meinem Kopf abhebt. Wenn es Lena so schwer fällt, warum tut sie das dann? Meine Frage lässt mir einfach keine Ruhe.
Lena jedoch bemerkt nichts von alldem – ist ja auch klar, immerhin kann sie meine Gedanken nicht lesen – und redet weiter auf mich ein. Für einen Moment schaffe ich es sogar meine Fragezeichen beiseitezuschieben und ihr zuzuhören.
Linn würde versuchen für mich ein Heim auf dem Land zu finden, sagt sie. Denn da wäre es leichter die Katzen mitzunehmen. Hier in der Stadt sei das nicht möglich. Aber ich müsse geduldig sein und brav warten. Warten bis Linn Silver ein passendes Heim für mich gefunden hätte, wo ich meine Katzen mitnehmen könnte. Sie selbst hätte sich bereits gestern Abend und heute Morgen etwas schlau gemacht, aber sei zu keinem Ergebnis gekommen. Sprich, hätte einfach nichts gefunden. Aber Linn findet sicher eines, hatte sie mir gut zugeredet, Sie findet sicher eines. Außerhalb von Detroit. Ganz sicher.
Lena umarmt mich erneut, drückt mich abermals an sich.
Jegliches Gefühl der Sicherheit weicht mir aus den Knochen.
Unsicher, ja genauso fühle ich mich.
Auf einmal ist da nichts als Unsicherheit.
„Nein", wiederhole ich und versuche standhaft zu bleiben.
Lena lässt mich bestimmt nicht hier, wenn ich das nicht möchte. Ganz bestimmt nicht.
„Bitte, nein", meine Stimme verliert sich. Ich habe das Gefühl, das sie in diesem gigantischen Gebäude untergeht und niemand, wirklich kein einziger, sie hört. Mich hört!
„Bitte", ich schlucke um den Kloss loszuwerden, der sich in meinem Hals gebildet hat. Lena schlingt abermals ihre Arme um mich. Von Minute zu Minute fühle ich mich unwohler. Unaufhaltsam kriecht das schlechte Gefühl in mir empor... befällt mich, Zentimeter für Zentimeter. Verzweifelt versuche ich mich an etwas festzuhalten. Was haben Mommy und Daddy gemacht, um sich sicher zu fühlen. Was Oma? Was Seth? Da muss es doch etwas geben! Irgendetwas!
Ich strenge mich an, überlege und überlege. Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren.
Deal!
Als mir das Wort in den Kopf schießt bin ich heilfroh.
Ja, Mommy hat das einmal gemacht, um sich abzusichern. Um sich sicher zu fühlen. Das hat sie mir erzählt. Und Mommy erzählt keine Lügen. Ich muss unbedingt auch auf Nummer sicher gehen. Unbedingt!
„Deal", das Wort ist bereits aus mir draußen, ehe ich noch richtig darüber nachgedacht habe.
„Deal?", hakt Lena fragend nach.
Erstaunt und mit großen Augen blickt sie mich an.
Ich nicke.
„Du willst einen Deal mit mir machen?"
Abermals ein bestätigendes Nicken meinerseits.
„Weißt du denn eigentlich was das ist? Ein Deal?"
„Wie kann man denn etwas uneigentlich wissen?"
Nun muss Lena lächeln.
Noch immer auf meine Antwort wartend blickt sie mich an.
Ich erkläre so gut ich kann. Erkläre mit Mommys Worten. Wenn ich es ihr so erzähle, wie Mommy es mir erzählt hat, wird sie es bestimmt verstehen.
Ein Deal, eine Art Versprechen, ein Handel.
„Was für einen Deal willst du denn mit mir abschließen?", erkundigt sich Lena weiter.
„Ich bin mutig", beginne ich zu erklären, „Und bleibe hier, dafür passt du auf meine Katzen auf und lässt sie niemals alleine."
Erwartungsvoll schaue ich zu Lena.
Diese nickt sofort.
„Okay", sagt sie.
„Deal?", frage ich, wobei sich meine Stimme dann aber doch recht zittrig anhört, und blicke mein Gegenüber an.
„Deal."
Ich muss einfach mutig sein. Mutig so wie die Katzen. Für uns scheint jetzt wohl oder übel ein neues Leben zu beginnen. Zumindest vorübergehend.
Glücklicherweise darf ich aber noch mal kurz zu Lena in die Wohnung, da wir etwas vergessen haben und kann mich so von den Katzen verabschieden. Eine nette Dame begleitet uns sogar. Lenas Schwester kann ich nirgends entdecken als wir das Appartement betreten. Ob sie sich versteckt? Oder hat Lena sie nach dieser Nacht heute Morgen doch rausgeschmissen? Ich vermute eher ersteres. Letzteres kann ich mir nicht vorstellen. Lena ist so lieb und freundlich und immerhin ist es ihre Schwester.
Ich streichle Kitty-Blue über ihr flauschiges Köpfchen. Bianca, der weißen Diva-Katze und Sammy, dem orangeroten Kater, habe ich bereits Lebewohl gesagt.
‚Mach's gut...', denke ich traurig, fahre ihr abermals mit den Fingern durch ihr graues, seidiges Fell und hoffe, hoffe ganz stark, dass ich ihre blauen Augen nicht zum letzten Mal sehe.
Ja, jetzt würde eine Zeit kommen in der wir beide mutig sein würden... mutig sein mussten.
Fortsetzung folgt...
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Fifty Shades of Elliot (Band 1) #wingaward2019 #traumtaenzerawards2019
FanfictionDas Leben kann so schnell zu Ende sein. Das ist etwas, dass dem kleinen Elliot sehr schnell bewusst wird. Den tragischen Verlust seiner Mutter einigermaßen überwunden, muss er feststellen, dass das Leben weitere böse Überraschungen für ihn bereithäl...