„Thomas!", mein Zimmerkollege wird gerufen. Der Junge rutscht von der Schaukel auf der er bis eben noch gesessen hat und schaut mich an.
„Ich bin gleich wieder da."
Wortlos nicke ich.
Thomas wendet sich ab und läuft zu Fleur. Die dunkelblonde Frau ist wirklich sehr nett, finde ich. Sie passt oft auf uns beide auf, wenn wir Bilder zeichnen oder durch die Gegend tollen. Inzwischen sind Thomas und ich gute Freunde geworden und meine Katzen mag er auch sehr gerne. Sammy, den orangeroten Kater hat er am liebsten von den Dreien. Aber das ist ja auch okay, solange meine Katzen wissen, dass sie zu mir gehören.
„Ist die Schaukel hier noch frei?", eine feine Mädchenstimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke neben mich. Eigentlich ist da Thomas gesessen. Überlegend schaue ich wieder in Richtung Fleur und des Jungen. Die beiden unterhalten sich. Erstere scheint ihm etwas zu sagen. Oder fragt sie ihn etwas? Zu dumm, dass ich sie von hier aus nicht verstehen kann.
„Und?", das kleine, strohblonde Mädchen erlangt wieder meine Aufmerksamkeit und ich treffe im selben Moment eine Entscheidung.
„Du kannst meine haben", damit rutsche ich von der Schaukel. Sicher auf meinen Füßen im grünen Gras gelandet, laufe ich auch schon los. Auf zu Thomas, meinem Freund.
Doch als ich bei ihm angekommen bin, haben sich bereits schon zwei andere Personen zu ihm gesellt. Es ist eine Frau und ein Mann. Zwei von den großen Menschen. Ich kann nicht verhindern, dass mich ein ungutes Gefühl beschleicht. Was, wenn er mit denen mitgeht? Was, wenn er mich alleine lässt? Quatsch. Das wird er nicht. Immerhin sind wir Freunde.
Aber wir sind doch alle hier, um eine Familie zu finden oder etwa nicht? Taucht schon die nächste Frage in meinem Kopf auf. Diese kann ich nicht so leicht beiseiteschieben wie die erste und so bleibt sie in meinen Gedanken. Frisst sich in mich hinein und macht es sich ganz tief in meinem Inneren bequem.
Leider!
Ich atme aus, um das schlechte Gefühl in mir loszuwerden.
„Wollen wir gemeinsam Kaninchen streicheln gehen?", eine freundliche, warme Stimme erlangt schlagartig meine Aufmerksamkeit.
Ich drehe mich um.
Blicke in dunkelbraune Augen.
Sabina, die andere nette Frau, die manchmal auf die anderen und mich aufpasst. ‚Naja, eigentlich wollte ich zu Thomas.'
„Elliot?", wieder die liebevolle Frau, „Svea kommt auch mit."
Neben ihr erblicke ich das strohblonde Mädchen von vorhin.
„Was ist nun?"
Ich wende den Kopf zu meinem Zimmerkollegen und den beiden neuen Personen. Die drei gehen gerade auf das große Gebäude zu. Will Thomas ihnen etwa auch etwas zeigen oder nein, er... will seine Sachen packen... und ist dann weg?
Nein!
Auf gar keinen Fall darf ich das zulassen.
„Nein", mein Wort ist nichts mehr als ein Flüstern. Aber mehr Zeit für meine Antwort nehme ich mir auch gar nicht. Denn ich habe mich schon herumgerissen und laufe Thomas und den Riesen hinterher. Ich muss ihn aufhalten! Aufhalten bevor es zu spät ist.
Mit letzter Kraft und völlig außer Atem stoße ich die Zimmertür auf. Ich habe es nicht geschafft die vier einzuholen, jedoch hoffe ich noch immer, dass ich nicht zu spät bin.
„Nein", zittrig versuche ich einen Satz zustande zu bringen, „bitte nicht gehen."
„Gehen?", erwidert Thomas fragend.
„Nicht mit ihnen mitgehen", werde ich mit zittriger Stimme konkreter.
„Das macht er nicht, Elliot", schaltet sich nun Fleur in unser Gespräch mit ein, „Er wollte den beiden lediglich zeigen, dass es hier auch Jungs gibt, die ihre Katzen mitgenommen haben. Und da Thomas mit dir ein Zimmer teilt, wollte er den beiden zeigen, dass sie hier in deinem Bett schlafen dürfen."
Perplex nicke ich, während sich der Wortsalat in meinem Kopf langsam wieder ordnet und ich von Sekunde zu Sekunde wieder klarer denken kann.
„Und hier ist schon eine. Sehen Sie", Thomas streckt seine Hand aus und deutet mit dem Finger auf Kitty-Blue, die just in diesem Moment unter meiner Bettdecke hervorgekrochen kommt.
„Gott, wie niedlich", höre ich die fremde Frau entzückt sagen, „Schatz, sieh mal."
Der Mann nickt, während sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen stiehlt.
„Ich glaube, wir haben soeben gefunden wonach wir gesucht hatten", sagt der Fremde, „Sagen Sie, ist das Heim hier das einzige, das auch Tiere aufnimmt?"
Fleur nickt.
„In der Nähe von Detroit gibt es tatsächlich nur uns."
„Das ist genau das richtige für Kimberly. Hierher kann sie ihre Fee mitnehmen, Robert."
Der Mann nickt.
„Ist die Heimleiterin zu sprechen?", will er dann von Fleur wissen.
Diese erwidert, dass sie schaut, was sie machen kann, aber erstmal die beiden mit ihr mitkommen sollen.
„Aber natürlich", erwidert die Frau dankbar.
Ich kann mich jedoch erst wieder völlig beruhigen, als alle drei bei der Tür hinaus und die Treppe hinunter sind.
„Keine Sorge", damit legt Thomas mir eine Hand auf die Schulter, „so leicht verschwinde ich nicht von hier. Versprochen."
Ich nicke und bin gleichzeitig unendlich froh darüber.
***
Aber schon eine Woche später kommt das, was ich nicht wahr haben will und Thomas findet das, was ich bis jetzt noch nicht gefunden habe: ein neues zu Hause! Sogar mit einem Hasen und einem Meerschweinchen.
Ich bin nicht sauer, dass er jetzt zwei Haustiere hat. Ich habe ja immerhin drei. Nur... ich bin enttäuscht. Enttäuscht... ja, das trifft es ziemlich gut. Er hat mir doch versprochen, hierzubleiben. Naja okay, so hat er das nicht gesagt, aber ich habe geglaubt, dass er es so meint. Tja, da habe ich mich wohl geirrt und zwar mächtig.
Traurig blicke ich aus dem Fenster.
Wieso kann nicht mal eine Familie kommen, die mich mitnimmt? Oder die sich zumindest für mich interessiert? Bin ich denn unsichtbar? Warum haben immer nur die anderen Glück? Wann bin ich endlich mal dran?
Mit einem Kopf voller Fragen lasse ich mich zurück aufs Bett fallen, während sich die Trauer regelrecht durch meinen Körper frisst. Was ist nur falsch mit mir, dass mich niemand mitnehmen will?
Verborgen in den Schatten, ganz tief verborgen, genauso fühle ich mich.
Ich wünschte, da wäre ein Licht, das mir den Weg zeigt, aber da ist nichts. Gar niemand... außer ich, ich und die Dunkelheit.
Meine drei Katzen sind zwar auch da. Somit bin ich also nicht allein, aber ich fühle mich trotzdem so... verlassen und einsam.
DU LIEST GERADE
Fifty Shades of Elliot (Band 1) #wingaward2019 #traumtaenzerawards2019
Hayran KurguDas Leben kann so schnell zu Ende sein. Das ist etwas, dass dem kleinen Elliot sehr schnell bewusst wird. Den tragischen Verlust seiner Mutter einigermaßen überwunden, muss er feststellen, dass das Leben weitere böse Überraschungen für ihn bereithäl...