Kapitel 1: Psychos und Hexen

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In einem hohen Bogen pfefferte ich meine Sporttasche in die nächstbeste Ecke des Zimmers, das ich mit meiner besten Freundin Lea teilte. Ich kam gerade vom Baletttraining, das heute sehr anstrengend gewesen war.

Lea, die auf ihrem Bett lag, blickte kurz auf und widmete sich dann wieder ihren Nägeln, die sie wohl gerade lackiert hatte.

Seufzend löste ich meine Haare aus dem Dutt, den ich vorhin getragen hatte und flocht sie zu einem seitlichen Zopf, bevor ich mich auf mein Bett fallen ließ. Das Training war nicht ohne gewesen, doch ich spürte meine Energie schon wieder zurückkehren.

Lea wandte sich mir nach einiger Zeit zu. "Hast du Lust, noch raus zu gehen? Dylan wollte uns doch eine unheimliche Kreatur zeigen, die er mal wieder im Wald gesehen hat!", sie kicherte leise, "Vielleicht ist ja diesmal etwas an seiner merkwürdigen Sichtung dran."

Ich fiel in ihr Lachen mit ein, genau wissend, dass sie das nicht ernst meinte. Dylan war total nett und auch echt cool, aber er sah ständig unheimliche Dinge, die kein anderer jemals zu Gesicht bekam. Nun ja, kein anderer außer mir.

Ich tat jedes Mal, wenn er uns etwas zeigen wollte, so als würde ich es auch nicht sehen. Doch ich hatte das Einhorn, die unheimliche Geisterfrau und auch die unheimlichen, schwarzen Pferde sehen können, war doch jedes Mal mit einem schlechten Gewissen in das Lachen der anderen Kinder eingefallen.

Hätte ich ihn jemals verteidigt, hätte man mich für noch verrückter gehalten. Man hielt mich wahrscheinlich schon jetzt für verrückter als Dylan, der ständig von überirdischen Wesen erzählte.

Während er immer irgendwelche nicht existenten Dinge sah, passierten um mich herum unheimliche Dinge. Schwebende Gegenstände, plötzlich flackerndes Licht, merkwürdige Unfälle. Einmal hatte ich sogar mit einer Schlange gesprochen. Seit die kleine Rose bei diesem Erlebnis lauthals angefangen hatte, zu weinen, hatte ich mir geschworen, nie wieder zu versuchen, mit irgendeinem Tier zu reden.

Unsere Heimleiterin Jenny war die einzige, die nicht über uns lachte, vor Angst und Entsetzen mied oder uns verachtete. Sie musterte mich jedes Mal nur mit einem undurchschaubaren Blick, wenn sie nicht gerade versuchte, mich zu beschäftigen.

Sie war neben Dylan und Lea fast wie eine Freundin für mich. Oder eine Mutter.
Dylan, Lea und ich waren die drei Kinder, die alle mieden und keiner haben wollte. Ich mit den unheimlichen Vorkommnissen, Dylan mit seinen gruseligen Sichtungen und Lea, die Tochter eines Mörders. Wer wollte schon jemanden wie uns adoptieren?
Als Außenseiter hatten wir uns zusammengerauft und unterstützten uns gegenseitig.

Zusammen mit Lea verließ ich das kleine Zimmer, das wir uns teilten und gingen durch den schmalen Flur in Richtung Eingangstür.

Auf dem Weg dorthin liefen wir an Matthew vorbei, der uns böse angrinste und beeilten uns, aus seinem Blickfeld zu verschwinden.

"Wo wollt ihr denn hin?", ertönte seine Stimme jedoch hinter uns, bevor wir nach draußen verschwinden konnten. Kurz wechselten Lea und ich einen Blick, bevor wir aus dem alten Haus stürmten. Draußen nieselte es leicht und ich verfluchte mich im Stillen, heute einen dünnen Rock angezogen zu haben.

"Hey, Psychos!", rief er uns hinterher, doch mit einem Blick über die Schulter konnte ich erkennen, dass er uns nicht folgte. Selbst jemand wie Matthew wagte es nicht, bei so einem ekligen Wetter einen Fuß vor die Tür zu setzen, nur um zwei seiner liebsten Opfer zu schikanieren.

Er war der einzige, der uns nicht fürchtete und einer der Wenigen in unserem Alter. Wahrscheinlich wegen seiner unausstehlichen Art. Wenn andere wegen unseren Besonderheiten wegsahen, schikanierte er uns dafür, so oft er konnte.

She Who Can Not Be Named Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt