Melancholiker

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"Das Ding ist halt einfach,-" begann ich, sah den Münchener an, und machte mich bereit, dem Lockenschopf mein Herz auszuschütten, weil es jetzt genau das war, was ich brauchte. Eine Person, die für mich da war. Nicht, um mich zu bemitleiden, sondern die da war, um mir zu zuhören. Ich brauchte einfach jemanden an meiner Seite, der nichts weiter zu tun hatte, als zu nicken und zu lächeln und ich hoffte, dass ich mit Leon so eine Person gefunden hatte. "Ich habe es verkackt. Bei allen, bei jedem und ich weiß nicht, wieso ich es nicht auf die Reihe bekomme, mich an eine Person zu binden. Es funktioniert einfach nicht." Seufzte und lehnte mich dann zurück.

"Du hast einfach Angst, dass du jemanden verletzt. Du bist selbst so verletzlich, dass du alles und jeden von dir fern halten willst. Einfach, damit du weißt, dass du ihnen nichts antun kannst und sie dir nicht. Das ist so eine Art Abwehrverhalten, womit du Leben musst, Kleine." Erklärte mir der selbst ernannte Psychater und grinste mich breit an, weil es schien, als hätte er den Durchblick meines Lebens. Ich nickte also nur etwas eingeschüchtert und seufzte dann. Das musste es wohl sein.

Scheinbar.

"Tut es weh?" Fragte ich dann Leon, sah ihn verletzt an, weil ich in seinen Augen lesen konnte, dass er gar nicht so stark war, wie er auftreten wollte. Die ganze Geschichte um Max drückte ihn tiefer in sein Loch, als er es zeigen wollte. Und jetzt wollte ich irgendwie für ihn da sein.

"Verlieren tut immer weh." Nickte er und überspielte mit einem kurzen Seufzer seinen Schmerz. Er drehte sich dann zu mir, lächelte wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. "Lass uns über dich reden. Ich brauche keine Hilfe. Bei mir ist alles super." Nickte er selbstbestätigend und obwohl ich ihm das nicht abkaufte, nickte ich ebenfalls und presste die Lippen aufeinander.

"Ich lebe irgendwie viel zu sehr nach dem Motto, nimm' mich in den Arm, aber bitte fass' mich nicht an, weil ich Angst habe, von dir erdrückt zu werden. Bitte hilf' mir, aber bitte komm' mir nicht zu nah, ich würde dich nur verletzen, weil ich Angst habe, von dir verletzt zu werden. Gib' mir deine Hand, aber lass mich bitte los, weil ich Angst davor habe, eingeschlossen zu sein. Nicht frei zu sein und mich nicht wehren zu können. Und dann kommt der Moment in dem ich daran denke, dass du bitte einfach bei mir sein sollst, für mich da sein sollst, aber nicht bleiben sollst, weil ich Angst davor habe, dich mitzuziehen." Murmelte ich und merkte, wie mir eine Träne die Wange hinunter kullerte. Es war eine Träne purer Verzweiflung, weil ich nicht wusste, wie ich die ganze Sache den Jungs erklären sollte, die ich verloren hatte.

"Worauf wartest du nur, Leo?" Seufzte Leon dann, ebenso verzweifelt wie ich, weil er sich jetzt einmal ein richtiges Bild von mir und meinem Problem machen konnte. Auch wenn ich der festen Überzeugung war, dass er mich und meinen Gedanken nicht ganz verstand und mir nicht ganz folgen konnte.

Und sicherlich hätte ich in der Sekunde mit 'Auf den Tod', geantwortet, doch das überlegte ich mir einmal und zuckte dann unentschlossen mit den Schultern. "Darauf, dass etwas passiert. Auf Morgen, vielleicht auch auf Übermorgen. Vielleicht warte ich aber auch nicht, sondern sehne mich nur nach gestern." Murmelte ich wieder und sah dann Leon an, der mich zu sich heran zog und seinen Arm um mich legte.

"Warten ist ein Geisteszustand. Grundsätzlich bedeutet es, dass du die Zukunft willst; du willst nicht die Gegenwart. Du willst nicht das, was du hast. Du willst das, was du nicht hast. Mit jeder Art von Warten schaffst du unbewusst einen inneren Konflikt mit deinem Hier und Jetzt, wo du nicht sein willst und der projizierten Zukunft, wo du sein willst. Das reduziert die Quallität deines Lebens gewaltig, weil du die Gegenwart verlierst. Du wartest auf etwas, was morgen Vergangenheit ist und Heute die Gegenwart. Und du kannst mir zwei Sachen in deinem Leben nicht ändern: Gestern und Morgen.
Mach die Scheiße nicht, Kleine. Lebe das aus, was du hast und mach das, was du am liebsten tust." Murmelte er nur und sah mich dann an. Er tätschelte meine Schulter und schwieg dann. Er war einfach für mich da und dafür war ich ihm dankbar.

"Das, was ich am liebsten tue, werde ich aber nie wieder tun können, Leon."

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