Blacklist #4

203 12 9
                                    

Wir standen nun also am Dortmundertrainingsplatz und ich grinste nur so vor mir hin. Wie sehr ich diese Stadt vermisst hatte, konnte ich nicht in Worte fassen und wie sehr ich diesen Ort hier vermisst hatte, konnte ich nicht mit einem Wort beschreiben. Ich starrte also sprachlos durch die Gegend, beobachtete unsere riesige Gruppe, die nun vielleicht auch endlich vollständig war. Jedenfalls hatte keiner einen Plan davon, wer sich noch unserer Gruppe anschließen würde. Ich seufzte also und sah auf den Platz, den ich lang nicht mehr gesehen hatte.

"Basti, gib mir noch einmal ein paar Minuten. Ich muss was erledigen." Erklärte ich und drehte mich zum ehemaligen Nationalspieler, der mich nur mit großen Augen anstarrte und nach mit griff, doch ich war schon unterwegs und nicht mehr aufzuhalten.

"Leo, nein!" Schrie er mir noch aufgebracht hinter her, doch ich lief und lief und lief und ich war nicht mal mehr mit einem neuen Herzen aufzuhalten. "Du bringst meinen ganzen Zeitplan durcheinander!" Schrie er noch einmal. Ich winkte aber nur ab, drehte mich um und lächelte frech.

"Dann lass mich hier!" Lachte ich und drehte mich dann wieder um. Als dann keine Antwort kam, nickte ich mir zustimmend und grinste. "Kannst du nämlich nicht, weil du wieder irgendwas mit mir geplant hast, du Idiot." Grummelte ich dann vor mir hin, so leise, dass er das nicht hören konnte und ging dann gerade aus weiter auf das Tor zu.

Das Tor, auf dem ich mit Mats saß. Das Tor, auf dem wir Nächte lang saßen und kein Ton sagten. Auf dem wir das erste Mal unsere Gefühle preisgaben. Auf dem wir saßen, um uns den Sonnenaufgang anzusehen. Auf dem wir das erste Mal unsere Hände hielten. Auf dem wir zusammen saßen, wenn es uns nicht gut ging und jetzt, drei Jahre später, saß ich hier. Ich saß hier und war allein. Verlassen von meinen Erinnerungen. Verlassen von meinen Gefühlen und verlassen von ihm. Von dem Mann, der mit mir hier war. Tag ein und Tag aus. Jede Nacht. Immer. Ein halbes Jahr lang. Verlassen von dem Mann, den ich hier kennen lernen durfte und der mich hier auch hat alleine sitzen lassen und das warscheinlich für den Rest meines Lebens.

Ich seufzte schwer und ließ den Kopf hängen. Ich starrte auf meine schwachen Beine, die mithilfe meiner Arme es gerade geschafft hatten, mich hier rauf zu befördern. Dann starrte ich auf meine Nike Air, welche rote Akzente hatten. Viel interessanter fand ich aber die schwarze Schrift, die diese Schuhe zierte, weil jeder der Jungs auf der Fanmeile nach der Weltmeisterschaft etwas drauf gemalt hatten. Lukas' und Bastis Kunstwerk war zum Beispiel ein Löwe, jedenfalls sollte die Silhouette bestehend aus Kreisen einen darstellen. Und so ging es weiter. Dann starrte ich auf das Bild von Max, schüttelte ironisch lachend den Kopf und spürte dann ein Rütteln am Tor.

Ich sah zur Seite und lächelte dann Christoph an, der sich neben mir platziert hatte und in die warme Mittagssonne starrte. "Basti sagt-"

"Ich will das einmal kurz genießen, Chris." Antwortete ich schnell, damit wieder Ruhe einkehrte und seufzte dann erneut. Ich hielt mich mit beiden Händen fest, starrte gerade aus und schloss dann meine Augen. Ich ließ die letzten Jahre Revue passieren, dachte an die Europameisterschaft, an den Kuss mit Mats. Ich dachte an all das, was passiert war und musste einmal kurz die Zeit finden, das alles zu verstehen. Ich musste verstehen, dass ich meinen geliebten Verteidiger vergessen musste. Ich musste verstehen, dass das hier mein letzter Trip sein könnte und ich musste verstehen, wieso Basti das alles hier tat. Ich wusste nicht wieso, ich würde es nie herausfinden und das war das schrecklichste. Etwas verstehen zu müssen, was nicht einmal einen Grund hatte, um es zu verstehen.

Als ich einen Pfiff wahrnahm, hob ich meinen schweren Kopf, der nach Schlaf schrie und schaute dann Jonas an. Jonas, der vor zwei Jahren meinen Mädels zum Sieg gegen Bayern verholfen hatte. Ich sah den Mann an, der gerade meine Mädchen zusammen getrommelt hatte, damit ich mich noch einmal richtig von ihnen verabschieden konnte.

Ich sah meine Mädchen.

HerzschrittmacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt