Müncheratmosphäre (2)

428 12 12
                                    

Ich wusste gar nicht genau, wie lang ich schon hier war, denn die Tage vergingen wie Stunden, wenn du dem Tod ins Auge blicken konntest, auch wenn du alles mögliche da für tatst, dass das alles nicht so enden würde, wie es das Schicksal geplant hatte.

Alles endete einmal mit dem Tod, also zog ich, ohne mir weiter über das alles den Kopf zu zerbrechen, meine Jacke an und verließ dann das Haus. Ich war mittlerweile auf Öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen, schließlich wohnte ich vom Krankenhaus nicht weit weg. Ich musste zwei Stationen mit Bus fahren und wenn es mein Herz zuließ, konnte ich die zehn Minuten sogar laufen.

So wie heute. Es war ein frischer Frühlingstag, also beschloss ich einfach zu laufen. Ein kleiner Spaziergang tat schließlich immer gut. Vielleicht, um wenigstens die letzten Wadenmuskeln in Takt zu halten. Ein wenig wenigstens.

Durch München laufen, mochte ich schon von Anfang an nicht. Die Atmosphäre stank. Sie stank für mich schon seit Tag eins bis zum Himmel, aber was sollte man machen, wenn man so tot war, dass man extra in ein Krankenhaus für halbtote Menschen verlegt wurde. Hätte ich der Wohnung nicht zu gestimmt, hätte ich wahrscheinlich für immer in einem Krankenhaus liegen müssen, also nahm ich die Münchneratmosphäre hin, versuchte ruhig zu atmen und dachte an etwas tolles.

Der Weg zum Isar Herz Zentrum war nach nicht allzu langer Zeit geschafft und heute musste ich sogar nur eine Pause einlegen. Ich nahm also den Fahrstuhl, (Was ich, wenn ich gesund gewesen wäre, niemals machen würde), und starrte in den Spiegel. Ebenso wie ein gutaussehender junger Mann, mit Schwarzen Haaren und Knallblauen Augen. "Ich seh aus wie tot, ich weiß." Grummelte ich dann, sah den Mann an und wollte eigentlich damit nur erreichen, dass er aufhörte mich so anzustarren.

"Angina Pectoris?" Fragte er dann komplett aus dem Zusammenhang und starrte auf die Zahl - dritte Etage und ich hatte noch drei vor mir. Ich seufzte, sah Dann den Mann an und schüttelte den Kopf.

"Wenn's nur das wäre." Lachte ich dann ironisch, winkte ab, als wäre ich wirklich totgesprochen. War ich eigentlich auch. Irgendwie.

"Aber 'n Freund hast du trotzdem." Stellte er fest und schaute auf die Narbe unter meinem Schultergelenk.

Ich schaute sie ebenfalls an, zog meine Jacke wieder drüber, nickte dem Sherlock nett zu und verließ dann so schnell, wie möglich den Fahrstuhl. Es war nicht nur die Münchneratmosphäre, die bis zum Himmel stank, sondern auch die unglaublich anstrengenden Menschen, die irgendwie immer versuchten, alles aus einem auszuquetschen. Das fing bei Busfahrern an und endete mit irgendwelchen Herzkrankenpassagieren in Fahrstühlen.

"Frau van Basten, schön Sie zu sehen." Herr Voigt gab mir die Hand und lächelte immer noch so optimistisch, wie am ersten Tag. Ich hatte ihn mit diesem Lächeln kennen gelernt und werde dieses Lächeln von ihm wahrscheinlich auch mit ins Grab nehmen. "Wie geht es Ihnen?" Fragte er höflich wie immer und ich nickte nur lächelnd.

"Alles gut." Dann zuckte ich mit meinen Schultern und setzte ebenfalls ein schönes Lächeln auf. Was sollte ich schließlich jeden Donnerstag zu ihm sagen. Sollte ich ihm jede Woche Meine Lebensgeschichte erzählen? Ich machte das schließlich mittlerweile auch schon das sechste, oder siebte Mal.

"Irgendwelche Probleme mit - wie nanntest du deinen Herzschrittmacher noch gleich?" Hakte der Kardiologe nach, setzte seine Brille auf, wobei ich mir nicht sicher war, ob diese einfach nur aus Fensterglas bestand, oder nicht.

"Dietmar." Antwortete ich nur monoton und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und können Sie das alles nicht an Ihrem EKG festmachen?" Seufzte ich genervt, weil ich dieses Ding schließlich nicht umsonst hatte.

"Doch, schon, aber vielleicht-"

"Es gibt kein Redebedarf. Wissen Sie, wie lange ich noch auf dieser Welt habe? Kann mir das irgendwer sagen? Nein! Sie verschwenden hier gerade einfach kostbare Zeit." Ratterte ich runter, stand auf und ging zur Tür. "Mir geht es gut." Machte ich noch einmal klar, ehe ich das Zimmer verließ, in den Fahrstuhl stieg und mich wieder auf den Weg nach Hause machte.

Schnell raus aus der Stadt und rein in meine kleine, aber feine Wohnung. Ohne Menschen. Ohne Münchner. Die Münchneratmosphäre ging mir schon nach wenigen Wochen auf den Sack.

HerzschrittmacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt