102. Kapitel

180 3 0
                                    

P. o. V. Bella

Die Tage, bis Marius wieder zurück war, verbrachte ich leidend.
Herr Tjarks benutzte mich bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bot und wenn sich ihm keine bot, dann erschuf er eben eine.
Ich hatte an dem Tag mit dem Dreier kein Problem gehabt, mit ihm zu schlafen- zunächst. Er ist ein attraktiver Mann, keine Frage, schoss es mir durch den Kopf, als ich in der Mittagspause nachdenklich in meinem Lieblingscafé in der Stadt saß. Aber was mich der Sache Einhalt geben lassen wollte, war mein Innerstes. Ich mochte ihn nicht. Von der ersten echten Begegnung an war er mir unheimlich gewesen und es hatte sich bewahrheitet, er war ein Berufsarschloch.
Im Grunde war auch Marius doch keinen Deut besser.
Doch, war er. Allein sein Lächeln konnte alles wieder gut machen. Er hatte mich nie so benutzt. Obwohl, wenn ich so darüber nachdachte... Aber trotzdem, im Nachhinein war alles halb so schlimm und ich vermisste ihn einfach nur noch. Vermisste seinen Geruch, seine Stimme, sein Aussehen, sein Lachen, sein Knurren, selbst wenn er wütend war. Ich vermisste seine Morgenstimme und ich vermisste besonders die Art, mit der er mich einfach so an sich zog, um mich zu küssen.
Denn mit jedem Kuss, mit jeder seiner Berührungen, wurde etwas in mir erweckt, wie mit Stromstößen belebt- etwas, das mir ein Lächeln aufs Gesicht zauberte, wenn ich ihn sah. Etwas, das mich seine Ausbrüche vergessen und seine Strafen über mich ergehen ließ, selbst wenn sie mich noch so verletzten.
Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte ein Mensch mich nur so verdammt beeinflussen?
Er war einfach perfekt. Wie seit jeher.
Und ich war in ihn verschossen, wie seit jeher.

Im Nachhinein erschien mir mein Verhalten an dem Tag mit dem ausgearteten Threesome und der Reaktion auf sein Eintreffen in meiner Wohnung, nachdem ich bei David war, übertrieben. Zumindest kurz. Denn sobald in meinem Kopf auch nur der Name David fiel, wurde mir ganz anders. Er war so... nett. So normal, so aufmerksam, so liebenswert, intelligent, höflich, witzig.
Er umwarb mich auf seine Art und Weise sehr stark, ohne zu aufdringlich zu werden- und langsam bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich machte ihm Hoffnungen. In den Momenten, in denen er mir zur Seite stand, wenn Marius es mal wieder verbockt hatte, machte ich mir selbst Hoffnungen, er könnte eine Art Noteingang sein. Weg von Marius, weg von seinem komischen Fetischgehabe- nur das Schlimmste war, dass ich mittlerweile ein Teil davon war.
Ich fühlte mich wirklich wie seine Sub, ihm hörig und ihm zugehörig, aber auf der anderen Seite war ich so weit von ihm entfernt, wenn ich mich bei David aufhielt, dass es sich wie eine alte Erinnerung aus einem längst vergangenen Leben anfühlte.
David mochte mich, er mochte mich definitiv. Ich mochte ihn auch, sehr sogar. Und im Gedanken an die Umarmung überlief es mich heiß und kalt.
Trotz aller Mühe, die er sich um mich gemacht hatte und der offensichtlichen Avancen hatte ich ihn nicht abgewiesen. Nun gut, meine Situation war zwiegespalten. Während ich im Herzen so für Marius brannte, dass mir seine Fehltritte im Nachhinein doch als akzeptabel in Erinnerung blieben und er mein Gott auf einem Sockel war, holte David mich aus der Welt in Buisnesskostüm mit Sex im Büro, teuren Autos und Luxusrestaurants zurück. Zurück in eine Normalität, die ich nie gekannt hatte. Mein ganzes Leben war bis jetzt eine Berg- und Talbahn gewesen, bei der man nie erkennen konnte, was als nächstes kam und die bis jetzt auf lange Zeit gesehen immer und immer weiter hoch gestiegen war. Durch meine doch sehr ungewöhnliche Schullaufbahn hatte ich nie die normale Jugend gehabt, die andere hatten. Alle meine Freunde waren um einiges älter als ich und immer war ich etwas weiter weg von allem gewesen.
Manche schwimmen mit dem Strom, andere gegen den Strom und ich hatte auf einem Stein am Ufer gesessen und  mein Spiegelbild angestarrt, erschrocken und manchmal feindseelig.
Denn ja, wenn ich ehrlich bin, hatte ich mich ein Leben lang um mich selbst gedreht. Und andere hatten sich um mich gedreht. Zeit für mich selbst, für meine Entwicklung hatte ich oberflächlich gesehen gehabt, aber doch keine Lebenserfahrung, die mich hätte formen können.

Nun stand ich also da, wusste nicht mehr wo oben und unten war, ob ich stehen bleiben oder gehen sollte. Ich wusste nicht, was ich wirklich wollte oder was mein Zeil sein sollte. Einzig zwei Gesichter spukten durch meinen Kopf, zwei Geister, die mich verfolgten und nicht in Ruhe ließen. Zwischendurch kam dann noch Herr Tjarks und wirbelte meine Gedanken erst recht durcheinander.
Ich wusste nicht, was recht war und was falsch. Marius oder David, David oder Marius? Mein Kopf schwirrte und wirre Gedanken geisterten durch ihn hindurch, von morgens bis abends. Meine Träume handelten von den beiden, keine Nacht mehr konnte ich beruhigt schlafen, denn am Morgen lag ich in meinem kalten Schweiß und in der Frage, in immer derselben Frage.
Es half natürlich nicht weiter, dass sowohl David als auch Marius in regem Kontakt mit mir standen und ich ersteren sogar noch ein paar mal traf, ehe der Blonde aus Russland zurückkehrte.
Ich war wie ein bindendes Elektronenpaar in einem Molekül, nur mit dem Unterschied, dass ich nicht zu einem Bindungspartner konstant stärker angezogen wurde, sondern immer wieder schwankte. Eigentlich peinlich, nicht einmal genug Grips und Rückgrat zu haben, mich für jemanden zu entscheiden.
Ich, die ich doch immer und sowieso überall für ihre geistigen Fähigkeiten so gelobt worden war. Ich, die ich unfassbar schnell unfassbar gute schulische Leistungen erbracht hatte.
Ich, die ich von allen Seiten als eine Art Wunderkind betrachtet worden war.
Ich, die ich vor lauter Wettbewerben und Verdiensten nicht dazu gekommen war, ihre Jugend zu leben.

Fifty Shades of Ley {Marley FF} |✏️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt