107. Kapitel

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P. o. V. Bella

Eine Woche. So lange hatte ich Marius und David nicht zu Gesicht bekommen.
Der Arbeit konnte ich dank meinem Krankenschein fernbleiben, David wimmelte ich mit Ausreden ab. Mir war klar, er wollte die ganze Zeit auf Netflix & Chill vorbeikommen.
Seit unserem Tabubruch, der kein Einzelfall geblieben war, trafen wir uns häufiger als vorher.
Nun aber, nachdem ich die Beratungsgespräche gefolgt von den medizinischen Konsequenzen hinter mir hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn zu mir zu lassen und ihm alles zu erklären.
So schlimm es sich anhörte und auch anfühlte, ging es mir nach der Abtreibung und durch die Woche, die ich so an meine Wohnung gebunden war, besser. Zumindest oberflächlich gesehen.
Ich will damit keinesfalls ausdrücken, dass es mir gutgetan hatte, mich andauernd zu übergeben und Blut zu verlieren sowie Gebärmutterschleimhaut, im Prinzip wie eine starke, nachgeholte Periode. Aber ich war isoliert gewesen, gezwungen, über mich, meine Gefühle, über Marius und unsere Relation nachzudenken.
Fertig war ich damit auf keinen Fall. Neben der Schmerzen als Ursache waren seinetwegen unzählige Tränen geflossen, ich verstand es alles nicht und wollte es nicht verstehen. Aber das ganze Weinen hatte die aufgewühlten Wogen in mir geglättet, hatte den Sturm zur Ruhe gebracht und das Meer in mir plätscherte wieder wie vorher, nur dunkler, grauer, gegen nun schroffe, scharfkantige Felsen in einer unwirtlichen Umgebung.

Heute musste es so weit sein. Ich hob ab, als er mich anrief. "Bella!" Seine Stimme klang vorwurfsvoll, aber genau so besorgt und erleichtert, als ich den Anruf entgegennahm. Ich schwieg, konnte erst nicht die Kraft finden, etwas zu sagen. "Bella, wie geht es dir? Was ist los? Kann ich endlich vorbei kommen oder willst du lieber zu mir?" Ich räusperte mich, ging nur auf die letzte Frage ein. "Ich würde zu dir kommen, wenn das in Ordnung ist." "Mir ist alles recht, Hauptsache, ich..." Er beendete den Satz nicht. "Wann kann ich mit dir rechnen?" Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr. "Ich mach mich mal auf den Weg, demnächst. Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Aber heute noch." Er atmete tief aus. "Gut. Bis später." Ich legte auf, ließ meine Hand sinken und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln, die vorwitzig wieder hervorgetreten waren.
War ich überhaupt bereit dafür? Ich schuldete ihm eine Erklärung, außerdem schien er der Einzige, dem ich alles anvertrauen und der mich daraufhin in den Arm nehmen konnte.
Sex wollte ich definitiv erst einmal keinen - aber das würde er sicher verstehen.
Ich nahm mir Zeit, mich fertig zu machen, schlüpfte wackelig in ein paar Jeans und eine Bluse, zog dann einen Pullover darüber.
Meine Augenringe schaffte ich nicht ganz zu überdecken, aber am Ende blickte mich ein gut zurecht gemachtes Dämchen aus dem Spiegel an- und ich fühle mich ein wenig wie ein Clown.
So akkurat die Augenbrauen, glänzige Lippen vom Gloss, Highlighter auf der Wange, natürlich nicht zu viel und dann der leere Blick. Ich musste mich wirklich zwingen, nicht zu weinen, war versucht, Alkohol zu trinken, aber mir war bewusst, dass es das zum einen nicht besser machen und ich zum zweiten nicht damit aufhören können würde.
Also zog ich ein Glas Wasser vor und machte mich dann, wieder recht langsam, auf den Weg.

Kaum zwei, drei Sekunden nach dem Klingeln riss David mir schon die Tür auf und umarmte mich- zumindest versuchte er es, ich streckte aber abwehrend die Hände vor, gelblich im Gesicht, brachte nur hervor: "Mir ist schlecht!" Dann schob ich mich an ihm vorbei in sein Bad, wo ich geradewegs meinen Mageninhalt von mir gab. Ich dachte, das wäre vorüber, überlegte ich kopfschüttelnd, als ich mir den Mund ausspülte und frech seine Mundspülung benutzte. Aber es war ja auch zu seinem besten, nicht?
Taumelnd trat ich aus dem Bad, lief einem besorgt aussehenden David fast in die Arme. "Meine Güte, Bella, was ist los?"
Ich schluckte, erkannte mit wachsender Unsicherheit, dass ich seine Mimik fälschlicherweise nur als besorgt gedeutet hatte: Eher spiegelten sich Missfallen, ein wenig Ekel und Überraschung in seinen Zügen. "Zuerst meldest du dich eine Woche lang nicht, dann kommst du her, gelb wie aus dem Senfglas und dann gehst du erst einmal reihern", zählte er mit kritisch gehobenen Augenbrauen auf. Ich seufzte, legte meine Tasche auf seinem Tisch ab. "Ich dachte, das wäre vorbei, das ganze Gekotze, aber scheinbar hat das hartnäckigere Nebenwirkungen", murmelte ich. Mein Gegenüber zog die Stirn kraus. "Geht's noch ein wenig kryptischer?" Ich musste unwillkürlich müde lächeln, rieb mir die Schläfen.

Fifty Shades of Ley {Marley FF} |✏️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt