111. Kapitel

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P. o. V. Marius:

Ein paar Tage war es her, dass ich mir meine Fehler eingestanden hatte und seitdem kreisten meine Gedanken um nichts anderes mehr.
Ich ließ das Geschehene revue passieren:

"Kann ich dich so richtig kennenlernen?" Meine Stimme ging am Ende nicht nur deswegen hoch, weil man Fragen so artikulierte, sondern wurde auch etwas leiser, weil ich zum ersten Mal grunderschütternde Unsicherheit durch mein Blut wallen fühlte. Nervös biss ich mir innen auf die Unterlippe und versuchte, sie nicht psychopathisch anzustarren.
Irgendwie musste ich die paar Sekunden beidseitigen Schweigens überbrückt haben, ohne durchgedreht zu sein, denn endlich hob sie an, zu antworten: "Ich... Marius, ich weiß es nicht." Sie holte tief Luft, entzog sanft ihre Hand meiner, die nur noch locker auflag. "Du weißt hoffentlich, dass es in mir gerade aussieht wie in Dresden kurz nach dem zweiten Weltkrieg." Sie lächelte knapp über den kleinen Witz. "Ich kann dir nicht sagen, ob ich dir soweit verzeihen kann." Ich schluckte, war von der Ehrlichkeit und Direktheit ihrer Worte überfahren und starrte sie nur an. Dann nickte ich langsam. "Klar... Ich meine..." Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir an die Stirn. "Ich könnte es, glaube ich, nachvollziehen, wenn ich mehr darüber nachdächte..." Sie war aufgestanden, ich griff noch das Feuerzeug und tat es ihr gleich. Sie lächelte müde. "Sag mir einfach bescheid, wenn du... Also, ich meine, solltest du... Aber lass dir Zeit, ich-..." Ich brach ab und sah mit einem verschämten Lächeln zu ihr und dann weg. Die Brünette gab keine Antwort sondern sah mir stumm zu, wie ich mich straffte, räusperte und zur Tür strebte, wo ich mich ein letztes Mal umdrehte. "Bis dann", schob ich noch nach und verschwand nach drinnen.

Das war ziemlich genau 72 Stunden her. Oder zumindest annähernd. Und ich wurde langsam noch nervöser, denn ich hatte es schon munkeln gehört, wenn man es nicht während der folgenden 72 Stunden klärt, ist es egal und mir war es das definitiv nicht.
Der Arbeitstag neigte sich dem Ende zu, viele Mitarbeiter waren schon zuhause. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, verließ sie ihr Büro und sehnsüchtig versuchte ich, ihren Blick aufzufangen.
Leider stiefelte sie geradewegs auf die Tür zu, wo sie jedoch innehielt, sich umdrehte und noch einmal ein paar Schritte auf meinen Schreibtisch zumachte. "Ach, bevor ich es vergesse... Ich denke, es ist möglich." Schüchternes Lächeln auf ihren Lippen, breit zeichnete es sich auf meinen ab. "Tatsächlich?" Ich bemühte mich, nicht zu stark meine Freude zu zeigen, um nicht aufgesetzt zu wirken.
"Es ist Freitagabend", stellte sie fest. "Also ich habe Zeit, wenn du das meintest", schob ich sofort nach. Schmunzeln. "Wie wäre es, in einer Stunde bei mir zuhause und dann fahren wir zusammen auf den Weihnachtsmarkt?" Sie lächelte fragend. "Liebend gerne." Als sie das Büro verlassen hatte, atmete ich tief ein und wieder aus. Dann zischte ich leise "Yes!" und machte mit dem linken Arm eine triumphierende Siegerpose.

Zum ersten Mal seit wir uns kannten trug ich einen Pullover und Jeans, Winterboots (für Sneaker war es einfach zu kalt) und eine Winterjacke. Keinen Anzug, nichts, nicht einmal ein Hemd, dessen Kragen unter dem Pullover hätte hervorspitzen können. Ich klingelte, kurz darauf fand ich mich in ihrer süß winterlich-weihnachtlich dekorierten Wohnung wieder. Den Weg und das Warten hatte ich in meiner Nervosität übersprungen. "Ach, du brauchst die Schuhe nicht ausziehen, die sind doch fast wie neu, was willst du mir da die Wohnung dreckig machen?", lachte sie gerade, während ich mich wirklich konzentrieren musste, auf ihre Worte zu achten. "Na dann", gab ich locker ab, "ich will dir nur keine Umstände bereiten." Sie lächelte erfreut über diese Worte. "Ich würde dir ja Plätzchen und Tee anbieten, aber zum Backen bin ich bis jetzt nicht gekommen und Tee habe ich vergessen aufzusetzen. Könnte ich natürlich schnell-", plapperte sie los, ich schüttelte den Kopf, sodass sie stoppte. "Danke, vielen Dank, ich..." Sie fiel mir ins Wort: "Ach, lass uns einfach direkt los." Ich nickte bestätigend und wartete, bis sie sich ihre Stiefel und ihre Jacke angezogen hatte, wir loskonnten. "Lass doch dein Auto stehen", schlug sie vor, als wir auf den Bürgersteig traten. "Es ist ewig viel Verkehr, du weißt, wie teuer Parkplätze sind, bla bla bla... Außerdem gehört es dazu", schob sie schelmisch grinsend nach und ich hob geschlagen die Hände. "Überredet. Na dann, weise mir den Weg, oh Kennerin des ÖPNV." Sie unterdrückte ein Lachen zu einem Glucksen und schon waren wir auf dem Weg in den Abend hinein.

Fifty Shades of Ley {Marley FF} |✏️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt