116. Kapitel

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P. o. V. Marius

Mein Vater starrte mich entsetzt an, Alex grinste breit und schmierig. Manchmal würde ich ihm gerne seine verdammte Fresse einschlagen. "Marius, wer ist das wirklich?!" Sein Ton war bedrohlich, zischend, troff vor Wut. "Sie arbeitet bei dir", stellte er drängend und herausfordernd fest, ehe ich eine mehr oder weniger beherrschte Antwort geben konnte. "Mein Assistant Director." Sascha prustete los. "Nicht im Ernst kleiner Bruder. Du hast was mit deiner Sekretärin?!" Mein Vater hätte mich mit seinen schneidenden Blicken in Stücke zerteilt, während meine Mutter einfach nur enttäuscht und verletzt vor sich hin starrte. Ich ballte meine Hand zur Faust, atmete tief ein, im Begriff, zum abertausendsten Male meine Wut herunterzuschlucken. Dann aber brach es aus mir heraus, wie Wasser aus einem Damm, der nicht mehr standhält. Die Worte sprudelten aus mir heraus, mit geballter Gewalt und Emotionen, wie ich mich selbst gar nicht kannte. "Ja, sie ist meine Sekretärin, aber sie ist auch fast meine Freundin. Wir daten uns gerade- aber dank euch ist das alles hinüber. Sie ist die erste Person, mit der ich mir vorstellen kann, eine ernsthafte Beziehung einzugehen. Ich bin gerade mal dabei, sie richtig kennenzulernen und jedes neue Puzzleteilchen, das an das Bild gefügt wird, lässt mich euphorischer werden. Sie ist so intelligent; verdammt witzig und hat ein so gutes Herz, dass ich mich wie der größte Sündiger neben ihr fühle. Sie ist so echt, unverstellt und liebenswert, zu jedem und allen, die sie trifft, trotz ihrer wirklich nicht leichten Vergangenheit. Sie schafft es, aus den Steinen, die man ihr in den Weg legt, etwas schönes zu bauen und egal, wie böse es jemand mit ihr meint, sie würde niemals mit diesen Steinen werfen. Aber wisst ihr was? Ihr hättet es verdient. Ja, sogar ich hätte es verdient, denn ich habe viele Fehler gemacht, von denen meine Affären sicher keine waren, aber ich habe es verstanden. Ich habe Konsequenzen daraus gezogen- nicht wie ihr. Ihr seid genau so wie immer und ihr zeigt mir so deutlich wie nie zuvor, dass es gut war, mich endlich zu ändern. Am liebsten würde ich euch rauswerfen." Geräuschvoll stand ich vom Tisch auf.
Trauer, Wut, Enttäuschung, Angst, Unsicherheit. Ich starrte meinen Vater und Alex böse an, sah dann zu meiner Mutter, deren Anblick meine Züge etwas weicher und mich etwas ruhiger werden ließ. Ihr verstörter Blick ließ mich alles herunterschlucken und mich noch einmal setzen. "Entschuldige, Mama, so war das nicht gemeint." Sie schenkte mir ein leichtes Lächeln und wandte sich ihrem Essen zu, als sei nichts gewesen. Dass sie es nicht einmal fertigbrachte, meinen Vater ein Wort der Zurechtweisung hören zu lassen, machte mich wieder wütend. Hätte ich Isabella nachlaufen sollen? Hätte ich meine Eltern wirklich rauswerfen sollen? Warum saß ich noch hier, was tat ich überhaupt? Ich seufzte tief und stopfte mir einen Bliny in den Mund, kaute, schluckte, doch er konnte das hohle Gefühl in meinem Magen nicht füllen.

Selbiges blieb auch hartnäckig während des ersten und zweiten Weihnachtsfeiertages, obwohl auch hier geschlemmt wurde. Alle überschüssigen Kalorien tranierte ich morgens und abends ab, befeuert und angetrieben vom hitzigen Brennstoff meiner Gefühle. Kein Gramm kam an mich, ich fühlte mich sogar eher leichter. Leerer und schwächer traf es dann doch besser, denn abends fiel ich todmüde ins Bett und schlief durch, geplagt von wirren Träumen, sodass mir doch letztendlich keine Erholung zuteil wurde.
Folglich gerädert traf ich auf der Arbeit ein, wo mich jedoch Türme an Aufträgen, Informationen, Rechnungen und anderem Krimskrams erwarteten. Bella wirkte zermürbt, eingefallen und genau so unausgeruht wie ich. Mein Herz schien zu zerreißen, als sie mich nicht einmal grüßte. Ich brachte jedoch nicht genug Mut auf, irgendetwas zu sagen- das erste Mal in meinem Leben. Sollte mein Vater doch recht behalten und ich war einfach ein Versager? Nur ein Blender und nicht wirklich begabt, talentiert, beseelt...?
Diese einsamen Tage waren genau wie immer, nur, dass diese kurze Zeit mit Bella mich wieder so verdreht hatten, dass ich sie sofort zu vermissen begann. Ich konnte weder mein Mittagessen genießen noch den großen, dampfenden Kaffee, denn ich sah auf der schwarz-spiegelnden Oberfläche nur mein einsames, dummes Gesicht. "Marius?" Eine weibliche Stimme durchbrach die traurige Stille, die in meinem Kopf herrschte, denn um mich herum in dem Café war genug los für einen gehobenen Geräuschpegel. Meine Mutter stand plötzlich wie aus dem Nichts vor mir, wie eine irrwitzige, unwirkliche Erscheinung. "Was machst du denn hier?" Ich wollte und konnte mein Erstaunen nicht verbergen; in letzter Zeit fehlte mir die Kraft, mein Pokerface außerhalb der Arbeit aufrechtzuerhalten. "Kann ich mich setzen?", stellte meine Mutter als Gegenfrage, auf die ich nur knapp und verwirrt nickte. "Bitte. Magst du auch etwas?" Sie überlegte kurz. "Ich denke, ich würde auch so einen heißen Kaffee wie du nehmen." Ich signalisierte dem Barista ihren Wunsch per manum. Kaum stand die Tasse vor ihr, heftete sie einen mütterlichen Blick auf mich, seufzte, was ein ernstes Gesprächsthema einläutete. "Was an Weihnachten passiert ist, tut mir so unfassbar leid", hob sie an. Meine Mundwinkel zuckten, sonst regte ich mich nicht. Erneut seufzte sie. "Ich verstehe deinen Vater manchmal nicht. Er hat mehr russisches Temperament als ich." Sie lachte leise, ein wenig bitter vielleicht. "Jedenfalls war sein Verhalten der jungen Dame und dir gegenüber nicht nach dem Knigge." Ich lachte kurz auf, konnte mich aber gerade noch beherrschen, diese maßlose Untertreibung richtig zu stellen. "Ich fand sie lieb und Marius, mir geht das seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Du scheinst so an ihr zu hängen, und unseretwegen sollst du leiden und die keimende Blume soll erstickt werden?" Sie legte ihre Hand schützend auf meine. "Ich habe mir immer gewünscht, dass du jemanden findest, der dir so viel bedeutet. Nicht, weil nach meinen Vorstellungen so eine Beziehung auszusehen hat, sondern weil du in Wahrheit ein liebe- und nähebedürftiger Spatz bist, sensibel und einfühlsam und jede Wette auch romantisch." Sie lächelte spitzbübisch. "Nimm das als Appell, Sohnemann, und versuche, sie zurückzugewinnen. Es ist sicher nicht zu spät." Ihre Worte wärmten mich und schnitten gleichzeitig tiefe Wunden in mein Fleisch. Mein Vater hatte alles getan, um mir jegliche Emotionen abzuerziehen, meine kläglichen Anfänge mit Romantik zu ersticken. Mein Bruder war genau so wie er und so wollte er mich auch haben und jahrelang hatte ich auch wirklich diese Rolle übernommen, so inbrünstig, dass ich mich so zu identifizieren begann. Nun aber, wo meine Mutter die eigentliche Wahrheit aussprach, die so hervorragend zu den extremen Entwicklungen in meinem Leben passten, fühlte ich sich den Kreis schließen. Erst lächelte ich kurz über diese Erkenntnis, ehe ich ernst in ihre Augen blickte. "Ich glaube nicht. Ich habe schlimme Fehler begangen, weil ich mir meine Gefühle nicht eingestanden und sie schlimm behandelt habe. Jetzt war ich gerade dabei, sie richtig kennenzulernen und ihre zweite Chance zu nutzen, da schlägt mein Vater es mir kurz und klein. Es klingt hart, aber Bella wäre verrückt, mir noch einmal zu verzeihen." "Sie muss dir nichts verzeihen, zumindest nichts Schlimmes. Sie muss dir nur in Ruhe zuhören und du musst einfach mal die Wahrheit sagen. Aber versprich mir eins, Marius. Lass sie nicht einfach so gehen. Das würde mir das Herz brechen, dir davon abgesehen auch." Sie schenkte mir noch ein tiefes, liebevolles Lächeln, trank ihren Kaffee und erhob sich schon wieder. "Muss los, Arbeit ruft." Ich konnte mich nicht einmal recht verabschieden, da war sie auch schon davongerauscht.

Um sie kämpfen. Ich stützte mein Kinn nachdenklich auf meine Hand, starrte in mein Heißgetränk und ließ die Worte meiner Mutter gedanklich widerhallen. Ob in überschnellen Aktionismus zu verfallen sie mir wirklich zurückbrachte, war äußerst fraglich. Wobei, vom nichts-tun und Selbstmitleid kam sie sicher nicht zu mir zurück, im Gegenteil. Jeder Tag, an dem ich sie nicht sprach, war ein verlorener Tag, ein Tag, an dem sie noch weiter von mir wegdriftete. Meine Mutter hatte wirklich Recht, ich musste etwas tun, "kämpfen". Aber wie das denn? Sollte ich mir ein Schwert schnappen und wild um mich herumfuchteln, dabei jemanden versehentlich töten, in der Hoffnung, dieses Ritual betöre sie? Um Gottes Willen.
Eine große romantische Aktion! Ken meldete sich ungefragt in meinem Kopf, ein Zitat aus einem Barbiefilm, den ich mit meiner Nichte einmal hatte anschauen müssen. Ich stutzte vor meinen eigenen Gedanken. Das konnte nicht mein Ernst sein. Ich hasste doch Romantik.
Oder war das auch nur wieder eine dieser von meinem Vater eingepflanzte Meinung, denn echte Männer sind ja keine Romantiker.
Ich dachte an unsere Dates zurück, daran, als ich ihr das Armband mitgebracht hatte, den Weihnachtsabend. Das alles rangierte mit klarer Gewissheit unter Romantik, und nicht nur ihr schien das alles eine große Freude gewesen zu sein.
Es musste ja kein Riesenteddy und zu viel Rosen und Glitzer sein.
Wobei Rosen einfach schöne Blumen sind, unbestreitbar... Ein verlegen-spitzbübisches Lächeln huschte über mein Gesicht und ich begann, einen Plan zu schmieden....

Fifty Shades of Ley {Marley FF} |✏️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt