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Chloe stürmte ins Wohnzimmer. Ihre Mutter war noch nicht da. Sie war es gewohnt. Ihre Mutter arbeitet öfter noch spät im Restaurant und bereitet schon alles für den nächsten Tag vor. Seufzend ließ sie sich auf das Sofa fallen und schaltete den Fernseher ein. Sie fand keine Sendung, die ihr gefiel und schaltete ihn deshalb wieder aus. Chloe legte sich mit ausgebreiteten Armen auf das Sofa. Mit einer Hand fuhr sie sich durch ihr langes blondes Haar und wickelte eine Strähne um ihren Finger. Dann fiel ihr Blick auf den Kamin, auf dem ein Foto von ihr und ihrer Mom stand. Auf dem Bild fehlte ihr Vater und Chloe stellte sich vor, wie er hinter ihrer Mom, die Arme um sie schlingt und glücklich in die Kamera lächelt. Zuletzt hatte sie ihn mit 2 Jahren gesehen, an sein Aussehen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Geschweige denn an andere Details. Ihre Mutter wollte ihr auf ihre Bitten nie ein Bild von ihm zeigen. Deshalb hatte sie immer selbst heimlich nach Bildern oder anderen Erinnerungen an ihren Vater gesucht. Alles hatte sie auf den Kopf gestellt. Hatte aber nie etwas gefunden. Irgendetwas musste es doch geben. Wenn sie ihn wirklich geliebt hat, dann muss es was geben. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und fällte entschlossen eine Entscheidung. Sie würde es ein weiteres Mal versuchen. Auf leisen Sohlen schlich sie sich nach oben in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Sie hätte nicht einmal schleichen müssen. Es war niemand da. Chloe sah sich im Schlafzimmer um. Dort ganz hinten an der Wand stand ein Doppelbett, daneben ein Nachtschrank, in dem sie zuerst nachschaute. Nichts. Dann unter dem Bett. Nichts. Selbst unter der Bettdecke schaute sie nach. Wieder nichts. Dann widmete sie sich einem anderen Abschnitt des Raumes, der mit Regalen zugestellt worden war. Doch Chloe fand nichts außer Büchern und allerhand Krimskrams wie Vasen, Porzellanfiguren und eine riesige Menge an Kugelschreibern. Kugelschreiber hatte sie auch eine Menge, allerdings hatte sie sich nie welche gekauft. Dann wandte sie sich dem letzten Teil des Zimmers zu, dem Kleiderschrank, der in die Wand eingelassen war. Enttäuschung machte sich in ihr breit. Noch hatte sie nicht die geringsten Anzeichen auf ihren Vater entdeckt. Es schien fast so, als hätte sie überhaupt keinen. Wenn sie hier nichts fand, dann würde sie nie etwas herausfinden. Plötzlich hörte sie unten die Tür aufgehen und Schritte die hereintraten. Ihre Mutter. Chloe wurde mit ungefähr acht Jahren schon mal von ihr erwischt wie sie in ihren Sachen gestöbert hatte. Damals redete sie sich mit Murmeln heraus, die sie verloren hatte. Das würde heute wohl nicht mehr klappen. Schnell blickte sie sich um, ob auch alles wieder an seinem alten Platz stand. Dann schloss sie leise die Tür und stürmte die Treppe hinunter.

„Hey, Mom. Wie war es bei der A..." Sie hielt abrupt inne.

Hier war gar niemand. Seltsam hatte sie sich das alles nur eingebildet? Vielleicht war sie in der Küche? Nein. Dann lief sie ins Wohnzimmer. Dort war auch niemand. Ihr Blick blieb auf der sperrangelweit geöffneten Schiebetür hängen, die zur Veranda führte. Die Gardinen wiegten sich leicht im Takt des Windes, als würden sie einer nur ihnen bekannten Melodie folgen. Chloe trat hinaus.

„Mom?" Ihre Stimme war nur ein leises flüstern.

Sie schaute sich um. Niemand da. Wer war hier gewesen? Und wieso? Ein Einbrecher hätte sie doch einfach überwältigen können. Ein Stalker? Eine Gänsehaut kroch ihren Körper hinauf und schnell machte sie die Schiebetür sorgfältig zu und schloss vorsichtshalber ab. Die Haustür schloss sie dann auch ab. Man wusste schließlich nie. Dann erklomm sie abermals die Stufen und trat ein weiteres Mal vor den Kleiderschrank. Versuch Nummer zwei. Wirklich bei der Sache war sie nicht mehr. Sollte sie die Polizei rufen? Ein wenig unbehaglich war ihr schon zu Mute aber was sollte sie der Polizei sagen? Ich glaube hier war ein Einbrecher? Am Ende hatten sie nur vergessen die Tür abzuschließen. Vorerst schüttelte sie den Gedanken ab und öffnete den Kleiderschrank. Vorsichtig hob sie einzelne Kleidungsstücke an und schaute darunter nach. Nichts. Ihre Laune sank in den Keller. Sie würde nie etwas finden. Dann fand sie eine kleine Schachtel. Ganz oben lag ein Bild von ihren Eltern und ihr. Genau wie sie es sich vorgestellt hatte. Dort hatte ihr Dad die Arme um ihre Mom geschlungen und lächelte glücklich in die Kamera. Chloe und ihr Vater sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Seine Haare waren pechschwarz und ihre goldblond. Lediglich ihre Augen glichen denen von seinen. Smaragdgrün. Ihr Gesicht und ihre Haare hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Das seltsame an dem Foto war, dass es komplett zerfetzt aussah. Ihr Dad wurde durch einen tiefen Riss von Mutter und Tochter getrennt. Ihre Mom hielt sie und durch den Arm von ihrem Vater zog sich ein ausgefranster, langer Riss. Bevor sie den restlichen Inhalt der Schachtel untersuchen konnte, hörte sie, wie jemand unten die Tür aufschloss. Das musste ihre Mom sein. Schnell machte sie mit ihrem Handy ein Foto, legte es wieder in die Schachtel zurück und stellte sie an ihren Platz zurück. Dann schloss sie die Tür und lief erneut die Treppe hinunter. War derjenige von vorhin zurückgekehrt?

„Was schleichst du denn so?" Chloe erschrak fast zu Tode als plötzlich die Stimme ihrer Mutter ertönte, die unten am Fuße der Treppe erschien.

Die letzten drei Stufen sprang Chloe herunter. „Ich dachte du bist ein Einbrecher", murmelte sie mit immer noch schnell klopfendem Herzen.

„Deine Fantasie geht wieder mit dir durch." Lächelnd und zugleich liebevoll sah sie ihre Tochter an.

Achselzuckend wandte sie sich von ihr ab und wollte die Treppe hochstürmen, um in ihr Zimmer zu gelangen. Denn Chloe war immer noch sauer auf sie. Doch sie hielt Chloe zurück als sie auf der zweiten Treppenstufe angelangt war

„Warte." Chloe drehte sich um und schaute direkt in die türkisfarbenen Augen ihrer Mutter.

Jetzt waren sie fast gleich groß. Sie wartete auf eine Erklärung.

„Ich wollte dir was zeigen. Es tut mir leid, dass ich dich gestern angeschrien habe." Sie zog Chloe in eine feste Umarmung, die sie nicht erwiderte und kramte dann anschließend ein Foto aus ihrer Tasche.

Dann gab sie es Chloe. Es hatte Ähnlichkeiten mit dem Foto in dem Schlafzimmer ihrer Mutter.

„Du kannst es behalten" sagte sie zu ihr als Chloe es ihr zurückgeben wollte.

„Danke." Jetzt schloss Chloe sie in eine freudige Umarmung, die Mila nach kurzem Zögern erwiderte.

Es war nicht viel, aber sie hatte einen Anfang gemacht. Warum auch immer jetzt, doch es war besser als nie. Gleichzeitig hatte sie aber auch ein schlechtes Gewissen, da sie ihr jetzt freiwillig ein Foto gegeben hatte.

Der WahrheitsfinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt