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Eddie Griffin weinte. Er hatte sich auf dem Jungenklo eingeschlossen und ließ zu, dass heiße Tränen auf den dreckigen Boden tropften.

„Eddie?", fragte leise eine zarte, süße Stimme, die zu seiner besten Freundin Tessa gehörte.

Er antwortete nicht, denn das brauchte er nicht. Sie wusste das er hier war. Wortlos schloss er die Tür auf und Tessa quetschte sich zu ihm in die Kabine, ehe sie diese wieder abschloss.

„Geht es dir gut?" Ihre großen Augen schauten ihn fragend an.

Sie kümmerte sich nie darum was andere von ihr dachten, darum beneidete Eddie sie, war er doch das komplette Gegenteil von ihr. Deshalb hatte sie auch kein Problem ihm auf das Jungenklo zu folgen, wenn es ihm wieder einmal nicht gut ging.

„Nein. Nichts ist gut. Dieses Mal ist es wirklich schlimm. Die Blödmänner haben mein Handy. Meine Eltern werden mich umbringen. Sie haben es mir doch gerade erst gekauft."

Schluchzend wischte er sich eine Träne aus dem rechten Augenwinkel. Seine Eltern hatten nicht besonders viel Geld und er dachte mit Schuldgefühlen an die vielen Überstunden, die beide machen mussten, nur um ihm endlich ein Handy zu kaufen. In der Hoffnung die anderen Kinder würden aufhören ihn zu hänseln. Tessa war die einzige die keinerlei Wert in materiellen Dingen sah.

„Erzähl ihnen doch einfach was passiert ist. Ich finde sowieso du solltest dich endlich an einen Lehrer oder die Polizei wenden. Das geht echt zu weit."

Sie schaute ihn anklagend an, da er sie dazu zwang Däumchen zu drehen, während die anderen ihn quälten. Wie gerne würde er sich an jemanden wenden und das alles beenden, aber der beliebteste Junge der Schule und seine Anhängsel, die ihm das Leben schwermachten, hatten eine Möglichkeit gefunden ihn zum Schweigen zu zwingen. Sie hatten nämlich herausgefunden, dass er Gefühle für Tessa hegte. Keine Ahnung wie sie das geschafft hatten, denn ihr IQ konnte nicht höher als das eines Toastbrotes sein, dennoch hatten sie ihn in der Hand. Tessa durfte niemals von seinen Gefühlen erfahren. Eddie wollte nicht die einzige Person, die zu ihm hielt vor den Kopf stoßen. Er war sich so sicher, sie würde niemals so fühlen wie er.

„Nein. Ich komme alleine damit klar. Es würde nur noch alles verschlimmern. Dann wäre ich eine Petze, die ihre eigenen Probleme löst, indem sie weinend zu Mami rennt."

Inzwischen waren seine Tränen versiegt. Er beschloss seinen Eltern nichts von seinem entwendeten Handy zu erzählen, denn er würde es sich zurückholen. Tessa seufzte. Sie wusste das sie ihn nicht dazu überreden konnte und ließ ihm wieder einmal seinen Willen durchgehen.

„Wir sollten zurück in den Unterricht gehen, aber versprich mir, wenn es richtig schlimm wird, gehst du zur Polizei." Sie sah ihn eindringlich an.

Jetzt war es an ihm zu seufzen. „Versprochen."

Allerdings wusste er nicht, ob er sich an das Versprechen halten würde. Es tat weh sie zu belügen, aber er wollte sie nicht verlieren. Schon seit der ersten Klasse wurde er ausgegrenzt aus dem Grund, weil er nicht aussah, wie die anderen. Das lag nicht nur an seinen Klamotten, sondern vor allem an einer Fehlstellung seiner Beine, den sogenannten X-Beinen. Inzwischen wurde der Fehler durch eine Operation korrigiert, aber von da an galt er schon als Freak. Nur für Tessa nicht und dafür war er ihr so unendlich dankbar. Ohne sie hätte er das alles nicht ausgehalten. Zusammen liefen sie gemächlich zum Unterricht. Sie waren sowieso schon viel zu spät. Auf ein paar Minuten mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Eddie hatte noch drei Stunden vor sich. Die letzten beiden waren Sport. Die Gelegenheit um sich sein Handy zurückzuholen. Er würde warten bis alle aus der Umkleidekabine heraus waren und sich sein Handy aus dem Rucksack des Anführers schnappen. Das würde nicht einmal auffallen, denn er war sowieso immer der letzte in der Turnhalle. Sport gehörte nicht unbedingt zu seinen Lieblingsfächern. Eddie schämte sich sehr für seinen Körper. Er besaß zwar so gut wie kein Gramm Fett, aber dafür auch genauso wenig Muskeln. In Sport war er eine absolute Niete. Mädchen und Jungen wurden getrennt unterrichtet, sehr zu seinem Leidwesen. Sein Sportlehrer brachte wenig ihm gegenüber auf und suchte immer eine Gelegenheit ihn beim Boxtraining bloßzustellen, indem er ihn zwang gegen die stärksten Jungen aus seiner Klasse zu kämpfen, während die Mädchen kichernd in der anderen Ecke der Turnhalle zusahen.

Die Geschichtsstunde wollte heute nicht zu Ende gehen. Wie Kaugummi zog sich die Zeit quälend langsam hin. Als die Schulglocke endlich läutete, glaubte er, es wäre nur Einbildung. Nachdem Tessa ihm ihren Ellenbogen in die Seite gerammt hatte, begriff er das die Stunde tatsächlich beendet war und beeilte sich seine Sachen einzusammeln. Gemächlich machte er sich dann mit Tessa auf den Weg zur Turnhalle. In der Umkleidekabine waren, immer noch einige Jungen anwesend, obwohl er sich extra Zeit gelassen hatte. Ohne Eile begann er damit sich seine Sachen abzustreifen und sie durch seine Sportklamotten zu ersetzen. Nach einiger Zeit leerte sich die Umkleide und er blieb schließlich alleine zurück. Schnell hielt er nach einem Rucksack in Tarnfarben Ausschau und entdeckte ihn auf der Bank gegenüber von ihm. Eilig suchte er in den Taschen nach seinem Handy und jubelte innerlich, als er das kühle Display zu fassen bekam. Jetzt aber schnell, sonst würden sie sich noch wundern, wo er solange steckte. Rasch verstaute er das Handy in seinem Sportbeutel und machte, dass er in die Turnhalle gelangte. Nach dem Sportunterricht fühlte Eddie sich total kaputt. Schweiß rann in Strömen seine Haut hinunter. Neidisch schaute er auf die anderen Jungen. Sie sahen nicht im Geringsten erschöpft aus. Sein Blick wanderte weiter zu dem Jungen, der ihn seit der ersten Klasse verachtete. Markus fasste gerade in die Tasche seines Rucksacks, in der bis vor kurzem noch sein Handy gesteckt hatte. Eddie sah, wie der blonde Junge überrascht ins Leere griff. Dann drehte er sich langsam zu ihm um.

Seine Lippen formten die Worte. „Montag. Bist du dran. Schönes Wochenende wünsche ich dir."

Er grinste, schnappte sich seinen Rucksack und verließ stumm die Turnhalle. Eddie atmete aus. Sein Handy hatte er wieder, aber die Drohung ließ ihn vor Angst erzittern. Er schaute auf seine Arme herab und bemerkte erst jetzt die Gänsehaut, die ihn frösteln ließ.

Der WahrheitsfinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt