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Mila wurde durch ein Geräusch unsanft aus dem Schlaf gerissen. Sie schlug die Augen auf und richtete sich unter Schmerzen auf. Ihr Schädel brummte immer noch wie verrückt. Sie war jetzt schon einige Tage im Krankenhaus, hatte aber bis jetzt keine Möglichkeit gefunden zu fliehen. Ständig wurde sie irgendwelchen Tests unterzogen. Von ihrer Tochter weiterhin keine Spur, auch Michael blieb verschwunden. Es trieb sie in den Wahnsinn nichts zu tun. Dann tippte ihr jemand auf die Schulter und sie zuckte zusammen. Ihre eigenen Gedanken hatten die Schritte übertönt, die an ihr Bett herangetreten waren. Als sie den Blick hob, löste ein stummer Schrei sich aus ihrer Kehle. Sein Gesicht war durch eine Kapuze verdeckt, trotzdem erkannte sie ihn.

„Hallo, Mila. Endlich sehen wir uns mal wieder." Er schob die Kapuze hoch und sie sah in Augen, die sie eigentlich nie wiedersehen wollte.

„Ich muss zugeben ich habe nicht erwartet dich hier zu treffen." Mila lehnte sich in ihren Kissen zurück.

„Eigentlich hatte ich vor dich umzubringen, aber was soll ich sagen, du hast es überlebt. Du verdienst es zu sterben für das, was du damals getan hast. Doch du hast Glück. Ich habe beschlossen, dass es besser ist, dich noch ein wenig zu quälen." Seine Stimme klang, als würden sie sich über das Wetter unterhalten, was Mila einen Schauer über den Rücken jagte.

„Was hast du mit Chloe gemacht?" Sie tat, als würde ihr die Drohung nichts ausmachen.

„Ihr geht es gut. Ich tue doch meiner Tochter nicht weh." Mila stutze, denn er schien es immer noch nicht zu wissen.

Hatte er den Wahrheitsfinder ins Leben gerufen, nur, weil Adam und sie eine Affäre hatten? Kannte er die restliche Geschichte vielleicht noch gar nicht?

„Und jetzt genug von dem Gequatsche. Dafür haben wir später noch genug Zeit. Wir müssen erstmal aus dem Krankenhaus kommen. Übrigens, wenn du schreist wird Michael, Chloe sehr wehtun, verstanden?" Aaron sah sie fragend an.

„Verstanden." Sie wusste, ein nicken würde ihm nicht ausreichen und zwang sich deshalb zu einer Antwort.

„Setzt dich in den Rollstuhl hier. Wenn jemand fragt, wir fahren in den OP." Mit diesen Worten zog er sich den Pullover über den Kopf und brachte ein komplettes Krankenschwesteroutfit zum Vorschein.

Widerstandslos setzte sie sich in den Rollstuhl. Schließlich würde sie ihre Tochter wiedersehen, wenn er sie hier herausbrachte. Sie bekam seinen Pullover über die Beine gelegt und schon setzte sich der Rollstuhl mit ihr in Bewegung. Aaron vergewisserte sich noch einmal, dass niemand von Milas behandelnden Ärzten im Flur langlief und schob sie dann hinaus. Sie schafften es bis zum Fahrstuhl und fuhren hinunter ins Erdgeschoss.

Dort fuhr er mit ihr in eine Abstellkammer, als niemand hinsah. „Zieh das an. Mit dem Rollstuhl hinauszufahren wäre viel zu auffällig." Er warf ihr eine Hose und eine schlichte Bluse zu, die er aus einer Tasche unter dem Rollstuhl hervorholte.

Die Sachen gehörten ihr, also war er in ihrem Haus gewesen. Sie schüttelte sich und zog die Sachen über das Nachtgewand. Mila wollte sich auf keinen Fall vor Aaron ausziehen. Nie wieder.

„Wenn ich sehe, wie du dich vor mir wegen deines Körpers schämst, wird mein Penis steif und ich würde dich am liebsten durchficken, aber wir haben jetzt keine Zeit. Darum kümmere ich mich später." Erneut erschauderte sie, denn sie sah die Lust und den versteckten Hunger in seinen Augen.

Er bot ihr den Ellenbogen an und nach kurzem Zögerrn, hakte sie sich bei ihm unter. Ihn zu berühren löste in ihr ein starkes Ekelgefühl hervor, doch sie schaffte es nicht, alleine aufrecht zu stehen. Mila fühlte sich noch schwach auf den Beinen. Sie kamen an der Rezeption vorbei. Dort saß eine junge Frau und blätterte gelangweilt in einigen Zeitschriften, die vor ihr ausgebreitet lagen. Die Frau schaute nicht einmal auf, als sie an ihr vorbeiliefen, sonst hätte sie sich bestimmt gewundert warum Aaron seine Mütze so tief ins Gesicht gezogen trug. Beinahe geräuschlos glitt die große Schiebetür auf und entließ sie in die kühle Nachtluft. Mila sog gierig die Luft ein. Wie lange war sie nicht mehr draußen gewesen? In ihrem Zimmer im Krankenhaus war es stickig und warm. Wie sehr hatte sie die angenehme Kühle auf ihrer Haut vermisst, die der leichte Septemberwind auslöste. Kurz schloss sie die Augen und stellte sich einen anderen Ort vor, ohne Ängste, Sorgen und Probleme, doch vor allem ohne Aaron, der sie weiter vorwärtszerrte. Er ließ sie los, um seinen Autoschlüssel aus seiner Jackentasche zu holen. Mila verlor fast das Gleichgewicht, da sie es kaum mehr gewöhnt war selbst zu stehen. Ein silberner Audi, einige Parklücken weiter, blinkte den beiden entgegen, als Aaron den Knopf auf dem Schlüssel betätigte.

„Guten Abend." Eine Frauenstimme wehte zu ihnen herüber und Mila drehte sich wie von selbst um.

„Was machen sie hier? Sie sind noch nicht entlassen worden." Ihr Blick blieb nun an Aaron hängen.

Der machte nur einen Satz nach vorne, dabei fielen der Ärztin die zwei Kaffeebecher herunter, die sie in den Händen getragen hatte. Sie machte zwei Schritte nach hinten. Es war aber zu spät. Er hatte sie bereits erreicht und hielt ihr die Hand vor Mund und Nase.

„Hör auf. Lass sie. Sie hat dein Gesicht doch gar nicht gesehen." Mila wedelte mit den Armen und lief auf Aaron zu.

Er stieß sie zur Seite, wodurch sie auf den Boden fiel. Dabei schürfte sie sich ihre Hände auf dem harten Asphalt auf, bemerkte es aber nicht. „Lass es bitte." Mit großen Augen musste sie mit ansehen, wie er die Hände um ihren Hals legte und mit roher Gewalt zudrückte.

Jede Sekunde wich immer mehr Luft aus ihrem Körper. Das Gesicht der Ärztin wurde immer blasser und blasser. Alle Farbe verschwand aus ihren Gesichtszügen. Ein letztes Augenverdrehen und sie sackte leblos in Aarons Armen zusammen. Mila sah, wie er ihren Körper anhob und in den Kofferraum seines Wagens beförderte. Sie war schuld an ihrem Tod. Das redete sie sich zumindest ein. Schuldgefühle stahlen sich in ihr Herz und machten es ihr unmöglich zu atmen. Schweren Herzens öffnete sie die Beifahrertür und stieg in sein Auto. Ihre Hand tastete sich in Richtung Haltegriff, als sie ihn spürte, packte sie ihn. Fest drückte sie zu und befürchtete schon ihn abzureißen, doch der Griff hielt stand. Schweigend fuhren sie ungefähr dreißig Minuten, bis sie auf einem alten Fabrikgelände ankamen, wo Aaron seinen Wagen an eine abgelegene Stelle zwischen drei Eichen parkte. Einige Krähen hockten in den Bäumen und starrten auf die beiden herab, als sie das Auto verließen.

Aaron öffnete seinen Kofferraum und holte Seile und Paketband heraus. „Es ist nur zu deinem Besten."

Er packte Milas Hände und band sie aneinander fest. Das gleiche wiederholte er mit ihren Füßen. Anschließend klebte er ihr noch einen Streifen Klebeband über die Augen, dass sie nichts mehr sehen konnte, bis auf Dunkelheit die sie nun einhüllte. Aaron hob sie über seine Schulter, als würde sie kaum mehr wiegen als eine Feder und brachte sie durch die Geheimtür, dessen Ort nur er kannte. Selbst Michael kannte ihn nicht, obwohl er zu seinem engstem Vertrauten zählte. Er gelangte an eine verschlossene Tür. In seiner Hosentasche kramte er nach seinem Schlüsselbund und drehte den Schlüssel, nachdem er den richtigen gefunden hatte, im Schloss herum. Mit einem leichten Klicken ging die Tür auf. Leise öffnete er sie einen Spalt und spähte herein. Chloe hatte sich auf dem Boden zusammengerollt und schlief auf dem kalten Stein, dabei drehte sie sich von einer Seite auf die andere. Aaron steuerte eine in die Wand eingelassene Metallfessel an und befestigte Milas Fußgelenk daran. Dann riss er das Paketband erbarmungslos von ihren Augen und legte sie im Kontrast dazu behutsam auf dem harten Beton ab.

„Das ist nur vorrübergehend. Bald werdet ihr ein eigenes Zimmer haben, aber dafür müsst ihr mich erst akzeptieren.", flüsterte er ihr ins Ohr, sodass sich eine leichte Gänsehaut über ihren gesamten Körper ausbreitete.

Aaron verließ den kargen Raum und schloss die Tür hinter sich ab. Mila versuchte das Seil um ihre Handgelenke zu lösen, indem sie ihre Hände hin und her bewegte. Jetzt erst bemerkte sie die Schürfwunden, die vorhin durch den Aufprall entstanden waren. Als sie schließlich aufgab, blieben ihre Augen an der dunklen Silhouette eines Menschen hängen. Erst dachte sie, er hatte sie zusammen mit einer Leiche eingesperrt. Doch dann erkannte sie ihre Tochter, Chloe. Zu der Angst und den Schuldgefühlen gesellte sich jetzt auch Freude über das Wiedersehen. Das Gefühl blieb allerdings nur für kurze Zeit. Ihr wurde klar, dass Chloe auch hier gefangen gehalten wurde. Sie hatte sie nicht beschützen können. Schon wieder nicht. Mila rutschte näher an ihre Tochter heran und untersuchte sie auf äußere Verletzungen. Sie fand nichts, immerhin schien Aaron ihr nichts getan zu haben. Sie seufzte auf und lehnte sich mit geschlossenen Augen an die Wand in ihrem Rücken. 

Der WahrheitsfinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt