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Es ging alles so schnell. Das Blut spritzte in alle Richtungen und ehe Ella bis drei zählen konnte, lag Adam bereits auf dem Boden und hauchte die restliche Luft aus seinen Lungen. Sie konnte nur mit weit aufgerissenen Augen auf die Stelle starren, auf der ihr Vater nun lag. Er lag mit dem Gesicht nach unten. Sie sah nur seinen Hinterkopf und konnte den Blick nicht von den vertrauten schwarzen Haaren abwenden, die über die Jahre hinweg immer mehr von grauen Strähnen durchzogen wurden. Ella konnte später nicht sagen, wie der restliche Körper aussah. Sie fokussierte sich nur auf diese eine Stelle, konnte nicht wegsehen. Alles andere um sie herum verschwamm. Schmerz spürte sie noch keinen, auch keine Trauer. Ihr Körper verschloss die Emotionen in einer kleinen Kiste in ihrem Herzen, die erst später geöffnet werden sollte. Jetzt musste sie sich erstmal Aaron stellen, denn nun war sie mit ihm ganz allein.

„Was mache ich jetzt bloß mit dir?" Aaron strich sich mit einer Hand über sein Kinn. „Hm."

Ella zuckte nur mit den Schultern. Was hatte das alles noch für einen Sinn? Ihr war nun schon alles egal.

Er ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder, als hätte er alle Zeit der Welt über ihr Schicksal nachzudenken. „Ich denke in meiner Familie ist noch ein Platz für dich frei. Wir leben vorrübergehend in einer Fabrik, bis ich uns eine Wohnung kaufen kann. Chloe und Mila werden dich bestimmt gut aufnehmen. Mila wird sogar unglaublich glücklich sein, dich wiederzusehen, schließlich wart ihr ja so lange voneinander getrennt und da ich dich zurückgebracht habe, wird sie mir verzeihen und mich endlich wiederlieben."

„Chloe ist mein Zwilling und Mila meine Mutter?" Ella wollte es sich noch einmal bestätigen lassen.

„Ja, sagte ich doch bereits." Aaron legte die Stirn in Falten.

Sie rief sich Chloe in Erinnerung. Blondes Haar. Smaragdgrüne Augen. Dann stellte sie sich ihre Mutter vor. Ebenfalls blondes Haar und eisblaue Augen. Sie passte dort mit ihren schwarzen Haaren gar nicht hinein. Würden sie Ella überhaupt in ihre Familie aufnehmen wollen? Sie würde sich dort nur wie ein Eindringling fühlen.

„Dein Bein scheint gebrochen zu sein. Ich werde dich zu meinem Auto tragen müssen", murmelte Aaron und stand auf. „Es tut mir leid. Ich muss dich auf den Rücken drehen. Es wird bestimmt gar nicht wehtun." Er packte sie mit seinen Händen an den Schultern und zerrte sie auf den Rücken.

Er hatte gelogen. Es tat weh, sogar sehr. Ella ließ einen erstickten Schrei los und war der Ohnmacht nah, doch es kam noch schlimmer. Aaron fasste mit seiner rechten Hand unter ihre Beine, die andere schlang er um ihren Oberkörper, dann hob er sie hoch. Der Schmerz in ihrem Bein raubte ihr fast den Atem. Sie sah nur noch vereinzelte Punkte, bis schließlich alles um sie herum schwarz wurde. Leider blieb die erlösende Finsternis nicht lange. Sie war nur wenige Sekunden bewusstlos, wie ein Sack Kartoffeln ließ sie sich von Aaron zu seinem Auto tragen. Er legte sie auf den Rücksitz und schnallte sie mit allen drei Gurten an.

„Ins Krankenhaus kann ich dich leider nicht bringen, aber das wird schon von allein heilen." Achselzuckend setzte er sich auf den Fahrersitz, doch eine Gestalt, die aus einem Taxi sprang, hielt ihn mit ihren Rufen zurück.

„Aaron! Was tust du da verdammt?" Mila ballte ihr Hände zu Fäusten und näherte sich seinem Wagen.

„Wir bekommen Besuch", sagte er lächelnd zu Ella und stieg aus. „Hätte nicht gedacht, dass ihr es schafft zu fliehen. Ist es dann nicht ein wenig dumm mir direkt danach in die Arme zu laufen? Auch egal. Unsere Familie ist jetzt endlich komplett." Chloe war nun auch hinter Mila aufgetaucht.

„Chloe, nicht! Ich hatte dir doch gesagt im Taxi zu warten." Mila schüttelte den Kopf über das leichtfertige Verhalten ihrer Tochter.

„Was hast du ihren Eltern angetan? Was hast du mit meiner Schwester gemacht?" Chloe funkelte Aaron an.

Ella stiegen schon wieder Tränen in die Augen. Dieses Mal vor Rührung. Chloe hatte sie Schwester genannt. Ein Gefühl der Wärme machte sich in ihr breit.

„Ich finde es halt selbst heraus, wenn du mir nicht antworten willst." Sie machte auf dem Absatz kehrt und Ella sah, wie sie ins Haus stürmte.

Wenige Minuten später kehrte sie zurück. „Mom. Sie sind tot und es ist meine schuld. Ich habe ihm gesagt, dass er nicht unser Vater ist und das hat ihn wütend gemacht. Deshalb ist er hierhergekommen." Sie fing an zu schluchzen, bis sie nur so von Weinkrämpfen geschüttelt wurde und auf den Boden sank.

Ella hätte sie am liebsten tröstend umarmt, aber sie konnte nicht aufstehen und Worte waren noch nie ihre Stärke gewesen. Außerdem wusste sie nicht, ob sie in dem Auto überhaupt gehört wurde. Eins wusste Ella aber sicher, Schuld war Chloe an dem Tod ihrer Eltern nicht. Es war Aaron der sie tötete, nicht sie. 

Der WahrheitsfinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt