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„Kommt nur herein!" Mila winkte ihre beiden Neffen Luke und Linus, ihren Bruder Jonas und ihre Schwägerin Claire herein.

Ihr Bruder zog sie in eine Umarmung. „Na, kleine Schwester."

Milas Mutter war vor knapp 20 Jahren an Krebs gestorben. Ihr Vater hatte sich daraufhin eine neue Frau gesucht und war auf und davon. Die beiden Geschwister hatten nie wieder etwas von ihm gehört. Sie wussten nicht einmal, ob er überhaupt noch lebte.

Ihr Bruder ließ sie los und wurde auch von Claire in die Arme geschlossen. „Schön euch wiederzusehen. Das letzte Mal ist schon so lange her."

Mila nickte. „Ich freue mich auch euch zu sehen. Das letzte Treffen war im April, wenn ich mich richtig erinnere."

Als letztes begrüßte sie ihre beiden Neffen Luke und Linus. Luke war inzwischen zu einem jungen Mann herangewachsen. Er verhielt sich für sein Alter ein wenig kindisch. Ganz im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder Linus, den Mila noch nie ohne ein Buch gesehen hatte, auch jetzt steckte er gerade seine Nase in ein Buch und schaute nur kurz auf, um sie zu begrüßen. Chloe und ihre beiden Cousins verzogen sich auf ihr Zimmer und die Erwachsenen gingen in die Küche.

„Ein schönes Haus habt ihr euch hier gekauft", sagte Claire und strich über die Holzvertäfelung der Tür.

„Danke. Ich kann euch gerne herumführen, wenn ihr wollt, bis zum Essen ist noch Zeit."

„Gern." Claire nahm das Angebot an.

„Die Küche habt ihr ja schon gesehen. Hier ist das Wohnzimmer. Durch die Schiebetür kommt man nach draußen in unseren Garten."

Ihr Blick blieb an den Regalen hängen die vollgestopft waren mit Büchern, vorwiegend mit Thrillern und Krimis.

„Da am Fenster. Da war jemand!" Mila deutete aufgeregt auf die Schiebetür.

„Es ist doch schon dunkel. Du hast dich selbst gesehen." Jonas zuckte nur mit den Schultern.

„Ich weiß doch, was ich gesehen habe." Sie war in wenigen Schritten an der Schiebetür, die sie schnell aufschob, sogleich schlug ihr ein kalter Wind entgegen und wirbelte ihre langen, blonden Haare durcheinander.

Da war jemand gewesen. Da war sie sich ganz sicher. Dort hinten, da stand jemand. Mila sprintete zu der Person hin und als sie näherkam, erkannte sie den Mann, der vor ihr stand.

„Du? Was machst du hier?" Mila hatte nie gedacht, dass sie ihn jemals wiedersehen würde.

„Ich wollte wissen, ob du immer noch hier wohnst."

„Und deshalb schleichst du dich abends heimlich hierher?", fragte sie und kaute an ihrer Lippe.

Er senkte schuldbewusst den Blick. „Ich wollte dich sehen.", flüsterte er ganz leise.

„Du Idiot! Du hast mich damals im Stich gelassen! Du hast mich verlassen, als ich dich am meisten gebraucht habe", schimpfte sie.

„Mom? Ist alles ok. Ich habe laute Stimmen gehört. Wer ist das?" Ihre Tochter Chloe stand plötzlich in der Tür und sah sie mit hochgezogener Augenbraue an.

Mila wirbelte herum: „Alles ok, Schätzchen, geh nur wieder herein. Das ist nur ein alter Bekannter von mir."

Nach einem letzten Blick über die Schulter ging Chloe wieder ins Haus zurück und Mila konnte aufatmen.

„Ein alter Bekannter, wirklich?" Sie hatte keine Zeit auf seinen Vorwurf zu reagieren, denn schon stand Jonas in der Tür und musterte den Mann kurz.

Erkenntnis huschte über dessen Gesicht und er setzte ein Lächeln auf: „Mensch, Adam dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Muss so vierzehn Jahre her sein. Komm doch herein. Wir wollen gleich Essen. Du bist herzlich eingeladen."

Mila konnte es nicht fassen. Was machte ihr Bruder da? Das war ihr Haus. Er konnte doch nicht einfach Leute zum Essen einladen.

„Nein, danke. Ich habe schon gegessen." Diese Worte beruhigten Mila wieder etwas.

„Möchtest du nicht trotzdem hereinkommen?", bot Jonas an.

Mila machte wilde Handbewegungen, um ihm zu zeigen, dass er das Angebot zurücknehmen sollte. Doch es war zu spät.

„Ganz kurz kann ich vielleicht bleiben."

Mila fügte sich in ihr Schicksal und begleitete Adam in die Küche, wo sie sich alle auf den Stühlen in der Küche niederließen.

„Was hast du all die Jahre getrieben?", fragte Jonas Adam, wie einen Kumpel, der seinen besten Freund Jahrzehnte nicht gesehen hatte.

Mila und Claire tauschten Blicke aus. In Claires Blick lag Mitgefühl. Sie wusste was zwischen Mila und Adam vorgefallen war und konnte nur zu gut verstehen, dass sie ihn möglichst schnell loswerden wollte.

„Ach. Nichts Besonderes", sagte Adam auf Jonas Frage hin.

Er sah müde aus, wie Mila registrierte. Sie stand auf, um die Hähnchenkeulen aus dem Ofen zu holen, die sie schon vorher hereingeschoben hatte.

„Essen!", rief Mila die Treppe hinauf.

Kurz darauf stürmten Chloe, Linus und Luke die Treppe hinunter.

„Es ist doch noch gar nichts auf dem Tisch. Wieso sollten wir denn kommen?", maulte Luke herum.

„Der Tisch deckt sich schließlich nicht von alleine", kommentierte Mila und lächelte, als Luke die Teller und das Besteck von ihr entgegennahm und anfing alles auf dem Tisch zu verteilen.

„Wer sind Sie?" Chloe hatte inzwischen Adam entdeckt und kniff die Augen zusammen.

„Ich bin Adam. Ich bin ein alter Schulfreund deiner Mutter." Mila war froh, dass er ihr nicht mehr verriet.

Chloe musterte Adam noch ein letztes Mal und entspannte sich ein wenig. Luke hatte inzwischen den Tisch gedeckt und Mila trug das Essen auf. Alle setzten sich und begannen zu essen, bis auf Mila, die lustlos darin herumstocherte. Alle Erinnerungen mit Adam kamen wieder an die Oberfläche, die sie so sorgfältig weggeschlossen hatte. Es waren keine schönen Erinnerungen und sie wollte sie endlich vergessen können. Das war aber unmöglich, wenn er in ihrer Nähe war. Sie schielte zu Adam hinüber und musterte ihn. Die Jahre schienen ihm nicht gut bekommen zu haben. Er hatte graue Haare und unter seinem Pullover zeichnete sich ein sichtlich gewachsener Bauch ab. Adam hatte sie damals im Stich gelassen. Außerdem hatte er ihr Vertrauen missbraucht und das konnte sie ihm bis jetzt nicht verzeihen. Es würde immer in ihrem Gedächtnis verankert bleiben. Für immer.

Sie legte ihre Gabel beiseite. „Du solltest jetzt gehen."

„Ich...Ich...Es tut mir leid. Du hast recht. Ich sollte gehen. Ich hätte nicht hierherkommen dürfen." Adam stand auf und verschwand aus ihrem Sichtfeld.

Endlich war er weg. Hoffentlich für immer. Sie wollte ihn nicht mehr sehen. Obwohl die Wahrscheinlichkeit sich zu begegnen groß war, jetzt er wieder hierhergezogen war.

Der WahrheitsfinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt