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Als sie erneut erwachte, brauchte sie etwas länger, um sich an alles zu erinnern. Wieder sah sie sich in dem Raum um und stellte fest, dass es diesmal ein anderer war. Hier gab es keine Möbel, nur eine tief herunterhängende Lampe, die von der Decke hing. Immerhin gab es ein vergittertes Fenster, dass ein leichtes Licht hereinließ. Ihre Hände waren mit einem Seil zusammengebunden. Ein Kettenrasseln ließ sie innehalten und an sich hinunterblicken. An beiden Fußgelenken waren Ketten angebracht, die an der Wand befestigt waren. Sie konnte nicht fliehen, trotzdem versuchte sie die Tür zu erreichen, doch die Ketten waren gerade lang genug, dass sie zu weit von der Tür entfernt war, um sie zu erreichen, aber dennoch nah genug, um sich zu wünschen, dass sie nicht noch ein wenig länger waren. Sie setzte sich auf den steinigen Boden und zitterte aufgrund der Kühle, die er ausstrahlte. Chloe legte den Kopf an die Wand und dachte nach. Warum machte ihr Vater das? Warum hatte er sie hier eingesperrt? Immerhin konnte sie jetzt verstehen warum ihre Mutter ihn von ihr fernhielt, doch sie hatte nicht auf sie gehört und jetzt hatte sie den Schlamassel. Sie rief sich eine Erinnerung ins Gedächtnis um nicht durchzudrehen. Zu ihrem neunten Geburtstag hatte ihre Mutter eine Schnitzeljagd für sie veranstaltet. Fast eine Stunde waren sie durch den Wald gelaufen und hatten verschiedenste Rätsel gelöst, die sie sich für Chloe und ihre Freundinnen ausgedacht hatte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel Spaß gehabt. Als am späten Nachmittag alle Gäste bereits gegangen waren, sagte ihre Mutter ihr, dass sie noch eine Überraschung für sie hatte. Sie fuhren ungefähr eine halbe Stunde, bis sie an einem Bauernhof ankamen. Chloe liebte Überraschungen und war deshalb vor Ungeduld ganz hibbelig. Der Bauer brachte sie in die Scheune, wo viele kleine süße Welpen im Stroh herumtollten. Lächelnd sagte ihre Mutter ihr, dass sie sich einen aussuchen darf. Dieses Lächeln stellte sich Chloe jetzt so gut wie möglich vor und hielt das Bild fest, während sie sich weiter erinnerte. Alle Welpen waren schwanzwedelnd auf sie zu gerannt - bis auf einen und für ihn entschied sie sich am Ende auch. Ab dem Tag an wich er ihr nicht mehr von der Seite. Bolt war gegenüber anderen Menschen komplett misstrauisch. Er war viel kleiner als seine Brüder und Schwestern und hatte ein extrem schwaches Immunsystem. Es dauerte nicht lange und einige Jahre später zwang irgendeine Krankheit die Tierärztin dazu, ihn einzuschläfern. Sie erinnerte sich an endlose Spaziergänge mit ihrer Mutter, die je älter sie wurde immer seltener stattfanden, bis sie schließlich ganz aufhörten. Gut gemacht. Jetzt hatte sie es geschafft sich noch schlechter zu fühlen. Sie hörte ein Geräusch an der Tür und drehte den Kopf dorthin.

„Dad?", fragte sie, als die schwere Eichentür aufgedrückt wurde, doch es war nur Herr Reynolds, mit einem Teller Brühe in der einen und einer Wasserflasche in der anderen Hand.

„Ich bringe dir etwas zu essen. Dein Vater denkt die Zeit ist immer noch nicht reif, sich dir zu zeigen, da du wahrscheinlich noch sauer auf ihn bist." Er stellte die Sachen auf dem Boden ab.

„Richten sie ihm aus, dass ich ihn hasse und dass er ein Feigling ist, dass er sich hier nicht blicken lässt." Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen.

„Wen bezeichnest du hier als Feigling?" Ihr Vater kam in den Raum gestürmt, den Herr Reynolds gleichzeitig verließ.

„Dich. Du bist einer." Sie schaute ihm mit gehobenem Kopf in die Augen.

„Ich wollte immer nur das Beste für dich und jetzt bist du so undankbar." Er ging auf sie zu und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige.

Ihr stiegen die Tränen in die Augen und sie hielt sich die brennende Wange. „Wo warst du dann, als ich dich brauchte? Warum sperrst du mich hier tagelang ein? Mom war vielleicht nicht immer da, aber wenigstens hat sie mir die Liebe gegeben die ich brauchte. Ich dachte immer ich bräuchte einen Vater. Doch ich habe mich geirrt. Ich brauche dich nicht, denn du bist ein Psychopath. Ich wünschte du wärst damals wirklich bei einem Autounfall gestorben."

Sie sah wie in seinen Augen so etwas wie Trauer und Bedauern wiedergespiegelt wurde, aber nur für einen kurzen Augenblick. Dann fing er sich wieder und es lag wieder der Ausdruck von Härte und Kälte darin.

„Wie kannst du es nur wagen so mit deinem Vater umzugehen?" Er packte Chloe am T-Shirt und zerrte sie förmlich auf die Beine.

Trotzdem sagte sie: „Wie kann ich es wagen? Wie kannst du es wagen, dass was du hier tust ist Freiheitsberaubung und Körperverletzung." Sie verschränkte die Arme vor der Brust, wie um sich vor seiner Reaktion zu schützen.

„Du bist meine Tochter. Ich kann mit dir machen was ich will." Er hielt sie weiterhin fest, tat ihr aber nichts.

„Ich bin ein Mensch und gehöre niemandem." Chloe versuchte sich aus den Klauen ihres Vaters zu befreien, doch je mehr sie sich wehrte, desto mehr verstärkte er seinen Griff.

„Ich habe dich gezeugt, bin also der Grund warum du am Leben bist. Ich habe damals über dein Leben bestimmt und habe das Recht es immer noch zu tun. Ich werde es dir beweisen." Mit diesen Worten schleuderte er sie gegen die Wand.

Chloe stieß mit dem Kopf zuerst an die Mauer. Der Aufprall war schmerzhaft und ihr Kopf pochte.

„Wiedersprich mir nie wieder, verstanden?"

Sie nickte nur. Wieso hatte sie ihn den unbedingt provozieren müssen. Warum war sie so furchtbar stur. Jetzt ärgerte sie sich, hatte sie es doch geschafft ihre Situation noch zu verschlimmern.

„Ich habe nichts gehört." Er blitzte sie aus seinen kalten Augen an.

„Verstanden." Trotzdem schaute sie ihm in die Augen, diese Genugtuung wollte sie ihm nicht geben.

„Du hast Glück, dass ich noch eine wichtige Verabredung habe, sonst würde ich dich härter bestrafen. Freu dich. Nachher habe ich eine Überraschung für dich, obwohl du sie nicht verdient hast." Er lachte, doch es erreichte seine Augen nicht.

Sie hakte nicht nach, was er damit meinte. Chloe wusste, sie würde es schon noch früh genug erfahren. 

Der WahrheitsfinderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt