Mila setzte Chloe ab und fuhr wieder nach Hause zurück. Sie stellte das Auto in der Garage ab und schloss die Haustür auf. Dann zog sie ihre Jacke aus und setzte sich auf die Treppe. Was sollte sie jetzt machen? Sie hatte schon lange keinen Tag mehr alleine zu Hause verbracht. Besser gesagt eigentlich noch nie.
Ich könnte das Buch lesen, das ich schon so lange lesen möchte.
Wo war es denn nur? Sie konnte es nicht finden. Dann fiel ihr ein, dass sie es doch ihrem Bruder Jonas geliehen hatte. Mila holte ihr Telefon aus der Tasche und rief ihn an.
Er ging gleich nach dem zweiten klingeln ran. „Was ist los, kleine Schwester?"
Mila verdrehte genervt die Augen. Immer musste er sie daran erinnern, dass er älter war als sie. Dabei waren es doch nur zwei Jahre Altersunterschied. Trotzdem hatte sie ihn gern.
„Bruderherz. Hast du das Buch noch, dass ich dir mal geliehen habe? Ich habe heute frei und würde es gerne lesen", sagte sie zu ihm.
Sie sah ihren Bruder nicht besonders oft.
„Weißt du was? Ich kann das Buch auch ein anderes Mal lesen. Komm doch heute Abend mit deiner Frau und mit deinen Söhnen Luke und Linus zum Essen vorbei", schlug sie vor.
„Darf ich auch noch zu Wort kommen?", sagte er lachend nach ihrem Redeschwall.
„Erlaubnis erteilt", neckte Mila ihn.
„Wir kommen gerne. Schließlich haben wir uns lange nicht mehr gesehen." Er nahm ihre Einladung an.
„Kommt am besten so gegen fünf Uhr vorbei" Mila hatte sich während des Telefonierens auf das Doppelbett gelegt und breitete sich nun darauf aus.
„Geht klar. Wir werden da sein."
Erst jetzt bemerkte sie, wie erschöpft sie eigentlich war. Ihr Handgelenk tat weh, wenn sie es bewegte. Sie fühlte sich müde und abgekämpft. Mila tauschte mit ihrem Bruder noch einige Floskeln aus. Dann legte sie auf und schloss die Augen. Erst kurz vor halb drei wurde sie wach. Sie sprang vom Bett auf und fuhr sich schnell mit der unverletzten Hand durch ihre verstrubbelten, blonden Haare. Ihr Handy blinkte und sie schaute auf das Display. Sie griff mit ihrer Hand nach dem Gerät und verzog das Gesicht. Drei verpasste Anrufe und eine ungelesene Nachricht von Chloe.
Ich gehe mit Ella noch ein Eis essen. Könnte länger dauern. Bis heute Abend.
Mila ließ das Handy wieder sinken. Sie hatte eine Möglichkeit gesehen endlich mal wieder Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. Das letzte Mal musste ewig her sein. Nie hatte sie einen Gedanken daran verschwendet, wie Chloe sich fühlen musste, wenn sie zu den unmöglichsten Zeiten zur Arbeit fuhr. Sie war nie dagewesen als ihre Tochter sie brauchte. Damals als bei Chloe in der Grundschule Berufstag war, hatte sie kurzfristig abgesagt. Die Eltern der anderen Schüler waren alle gekommen, nur Mila hatte gefehlt. Als Chloe ihren ersten Liebeskummer hatte, war nicht sie es, die ihr tröstende Worte zuflüsterte. Mila hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sich von ihrem damaligen Freund Liam getrennt hatte. Erst als sie eines Tages Liam auf der Straße begegnete und ihn zum Essen einlud, erfuhr sie von der Trennung. Danach wollte sie gleich nach Hause und schauen wie es Chloe ging, doch dann hatte sie einen Anruf erhalten und musste zu ihrem nächsten Einsatz. Dann hatte sie vergessen mit Chloe darüber zu reden und ihre Tochter hatte ihrerseits kein Gespräch gesucht. Sie redete lieber mit ihrer besten Freundin Amy darüber. Sie wollte es wieder gut machen. Morgen sollte sie auch noch zuhause bleiben und konnte einen Tag mit ihrer Tochter verbringen. Nur sie zwei. Als Chloe endlich nach Hause kam, war es schon halb fünf, gleich würde der Besuch kommen.
„Wie war es mit Amy?", fragte Mila.
„Gut. Morgen findet das erste Volleyballturnier diese Saison statt." Sie wedelte aufgeregt mit den Armen.
„Ich habe morgen noch einen Tag frei. Ich würde gerne zuschauen, wenn du nichts dagegen hast." Mila sah endlich die Gelegenheit wieder ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen.
DU LIEST GERADE
Der Wahrheitsfinder
Mystery / Thriller„Schluss mit den Spielchen", donnerte seine Stimme durch den Raum. „Ihr wisst was ich davon halte, wenn ihr nicht die Wahrheit sagt. Ich frage euch jetzt ein letztes Mal. Wer von euch beiden war es?" Schweigen. Seinem Vater lief der Kopf rot an...