55 - Der Schein trügt

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Müde schleppe ich mich ins Badezimmer. Immerhin ist heute schon Donnerstag. Das macht die Laune doch gleich besser.
Meine Augenringe leisten mal wieder ihre beste Arbeit. Was solls. Schulterzuckend nehme ich meine Haarbürste zur Hand, nachdem ich mir die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen habe.
Ich summe meinen neuesten Ohrwurm vor mich hin, als plötzlich die Tür aufgerissen wird und keine Sekunde später eine würgende Paula über der Toilette hängt. In einer Schockstarre hängend starre ich sie kurz an, bis in mir selbst die Übelkeit aufsteigt.
„Oh Gott, es tut mir so leid, aber...", murmelt Paula.
„Alles gut, du kannst ja nichts dafür. Phil?"
Besagter kommt schnell angerannt. Meine Stimme muss ja sehr gezittert haben. Ich kann es einfach nicht ab, jemanden beim Übergeben zu sehen. Bei aller Liebe, aber da könnte ich gleich zurück... Ihr wisst schon.
„Was ist denn hier los?", fragt Phil, eigentlich komplett überflüssig, denn Paula kann es erneut nicht aufhalten.
„Ähm... ich gehe dann mal." Fluchtartig verlasse ich das Bad und atme zuerst tief durch. Hui, ich will nicht wissen, wie blass ich jetzt bin.

Der Tag verläuft normal, wie ein Schultag eben. Nur mit dem Unterschied, dass mich ununterbrochen eine Übelkeit begleitet. Meine Psyche spielt bei solchen Dingen einfach verrückt. Wenn Paula krank ist, dann muss ich mich ja nicht zwingend angesteckt haben. Aber sag das mal meinem Kopf.
„Paula?", rufe ich zaghaft, nachdem ich von der Schule gekommen und sofort die Treppe hochgegangen bin.
„Bin in Phils Zimmer!", kommt leise zurück.
Die Türklinke drücke ich mit meinem Fuß runter. Man weiß ja nie.
Paula liegt in eine Decke eingekuschelt im Bett - sie sieht gar nicht gut aus.
„Wie geht's dir?"
„Ging schon deutlich besser, aber das wird wieder." Sie lächelt mich schwach an.
„Soll ich dir einen Tee kochen? Oder möchtest du was essen? Oder brauchst du überhaupt etwas?", frage ich mit genügend Sicherheitsabstand. Also eigentlich stehe ich noch immer vor dem Zimmer.
„Danke für das Angebot, aber auf Essen kann ich verzichten. Ein neues Glas Wasser wäre ganz gut."
Gesagt, getan.
Das Glas stelle ich mit angehaltenem Atem auf dem Nachttisch ab.
„Vielen Dank."
„Kein Problem. Aber ich habe mal eine Frage, die du mir als Ärztin bestimmt beantworten kannst."
Sie guckt mich erwartungsvoll an.
„Kann ich mich bei dir angesteckt haben?"
Sie lacht auf und schüttelt den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Dafür hättest du direkt mit etwas in Kontakt kommen müssen oder mit meiner Spucke, nachdem ich mich übergeben habe. Aber so dürftest du dich eigentlich nicht angesteckt haben. Phil hat das Bad auch gründlich gereinigt, keine Panik. Ich wäre eigentlich auch zu mir in meine Wohnung gefahren, aber Phil hat darauf bestanden, dass ich hier bleibe. Tut mir leid."
„Das muss dir nicht leid tun, ist ja auch richtig, dass du hier bleibst, wenn du krank bist. Dann können wir uns um dich kümmern. Trotzdem würde ich jetzt lieber gehen."
Sie nickt mit einem verständnisvollen Lächeln.

Mit einem Brot mache ich es mir auf der Couch gemütlich und schalte den Fernseher an. Doch ich stelle schnell fest, dass dort nicht wirklich etwas kommt. Also muss mein Handy herhalten.

„Liegst du den ganzen Tag schon so da?" Ich schrecke hoch. Da wurde der neueste Klatsch und Tratsch auf YouTube gerade wirklich spannend, und dann kommt Papa und muss mich da unterbrechen? Hinter ihm trottet auch Alex ins Wohnzimmer. Phil scheint gleich hoch zu Paula.
„Bleibt mir eine andere Wahl?", stelle ich eine Gegenfrage und schalte mein Handy aus.
„Oh ja, da gibt es viel. Spülmaschine ausräumen, lernen, Zimmer aufräumen", zählt er auf.
„Oh, welch tolle Freizeitbeschäftigungen. Anderes Thema. Wo ist Toni schon wieder?"
„Der ist bei einer Dame namens..." Alex stockt. „Ich vergesse diesen Namen immer wieder", murmelt er nachdenklich.
„Jamira", greift Papa ihm unter die Arme.
Ich mache große Augen. „Seit wann trifft sich Toni mit einem Mädchen?"
„Schon etwas länger. Hat er mit dir noch nie drüber geredet?" Papa sieht ziemlich verwundert aus.
„Nein?"
„Oh, mh. Na ja, jedenfalls haben die zwei sich irgendwie beim Sport kennengelernt. Sie kommt am Samstag zu uns, da haben wir ja alle frei. Dann lernt sie uns kennen."
„Sind die etwa schon zusammen?" Ich werde immer aufegkratzter. Wie kann ich davon nichts mitbekommen haben? Ich dachte immer, Toni würde sich mit Kumpels treffen.
„Nö, also davon hat er noch nicht geredet. Aber sie scheinen auf dem besten Weg zu sein. So wie du und Tim." Alex grinst mich schelmisch an.
„Was auch immer in deinem Kopf abgeht, Alex, aber Tim und ich sind auf keinem Weg irgendwo hin."
„Ach ja? Deswegen triffst du dich morgen mit ihm?", provoziert er weiter.
„Das hat ja nichts zu bedeuten", gebe ich etwas schnippischer zurück, als eigentlich beabsichtigt.
Alex lässt das so stehen, grinst jedoch weiter vor sich hin.

Zum Abend hin hauen wir uns alle auf die Couch - außer Paula, sie bleibt im Bett liegen.
„Phil, wie beurteilst du Paulas Gesundheitszustand?", wende ich mich an ihn. Immerhin mache ich mir schon etwas Sorgen.
Er lächelt. Gutes Zeichen. „Sie scheint es einfach erwischt zu haben. Aber das Gröbste wird sie heute Morgen schon überstanden haben."
„Das geht gerade aber auch richtig umher. Wir haben am Tag häufig Fälle, wo wir deswegen gerufen werden. Ich rede mir schon den Mund fusselig, wenn ich ausführlich erkläre, ab wann man bei einem solchen Krankheitsbild die Rettung ruft", erwähnt Papa.
„Ach ja, das kennen wir ja so gut", seufzt Phil. „Wobei es auch schwer ist, als nicht-Mediziner solche Lagen einzuschätzen", gesteht er, dann wendet sich Phil an Alex. „Weil wir neulich mal darüber geredet haben. Heute hatte ich tatsächlich solch einen Fall. Ein junger Patient, schlanke Statur, aber er hat sich in seinem Alter schon so viel durch seine schlechte Ernährung zerstört. Das war wirklich erschreckend."
Alex nickt zustimmend. „Da liegt das Problem. Dünne Menschen denken oft, dass sie sich ernähren können, wie sie wollen. Aber die inneren Veränderungen merken sie gar nicht."
Meine Hand, die gerade in einer Gummibärchentüte steckt, zieht sich wie von selbst raus.
„Was ist denn jetzt bei dir los?", fragt Papa verwirrt.
„Der Appetit darauf ist mir gerade irgendwie vergangen." Jetzt habe ich auch Phils und Alex' Aufmerksamkeit.
„So war das doch nicht gemeint. Die Dosis macht das Gift. Wir wissen doch, wie du dich ernährst. Da gibt es nichts auszusetzen, höchstens an deinem Geschmackswasser, aber davon kommst du wahrscheinlich eh nicht weg. Aber wenn du meinst." Phil zuckt mit den Schultern, nimmt mir die Tüte weg und greift selber beherzt zu. Alex tut es ihm gleich und es entsteht zwischen den beiden ein regelrechter Kampf um die Gummibärchentüte.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt