48 - Angst und Atemnot

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Die Szene kommt mir surreal vor. Phil hat Toni fest im Griff, muss er auch, denn Toni schnappt panisch nach Luft. In seinen Augen die pure Angst.
„Toni, probiere, ruhig zu bleiben", sagt Phil. Vergeblich.
„Klinik oder RTW?" Papas Stimme zittert. Seine Professionalität hört bei seinen Kindern eben auf, habe ich selbst immerhin auch schon erlebt.
„Wir fahren selber, geht schneller. Noch ist es auch eher seine Angst", bestimmt Phil und zieht ihn somit aus dem Haus.
Papa will hinterher, doch ich halte ihn auf. „Warte Papa, du kannst mitfahren, aber steuer nicht das Auto. Ich hole jemanden." Damit renne ich erneut in den Garten und rufe den ersten Namen, der mir einfällt.
Es ist Moritz, der angerannt kommt und mir folgt. In Phils Auto sitzt Toni hinten zwischen Papa und Phil, Moritz steigt auf der Fahrerseite ein und rast los. Ganz gut, einen Polizisten gewählt zu haben. Immerhin müssen die manchmal auch Verfolgungsjagden fahren, ohne großen Schaden anzurichten.

Die Haustür knalle ich zu. Ich gleite langsam an der Wand im Flur runter. Was war das bitte gerade? Wie kann aus einem so schönen Tag ein Albtraum werden? Diese Angst, die ich in Tonis Augen gesehen habe, will mir nicht aus dem Kopf gehen. Immer wieder spielt sich in meinem Kopf die Szene ab, wo er panisch nach Luft schnappt und mich mit diesem Blick anguckt. Was ist, wenn sie es nicht rechtzeitig schaffen?
Die Gefühle nehmen überhand und die ersten Tränen entweichen. Mein Körper zittert unkontrolliert und mir wird übel. Bitte nicht schon wieder übergeben. Wieso muss mein Körper immer so reagieren?
„Es wird alles wieder gut."
Mein Blick schreckt zur Seite. Ich habe gar nicht gemerkt, wie Alex sich neben mich auf den Boden gesetzt hat. War ich doch damit beschäftigt, meine nicht enden wollenden Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
„Aber dieser Blick. Und diese Panik, weil er keine Luft bekommen hat", wimmere ich zwsichen Schluchzern.
„Im Krankenhaus wird ihm sofort geholfen, keine Angst. Bei solchen Reaktionen kommt diese extreme Atemnot manchmal zu Beginn auch von der Angst. Also sie bekommen noch genug Luft, atmen jedoch aus Angst so komisch."
Das hat Phil auch gesagt. Da muss ja was dran sein.
Alex zieht mich in seine Arme. Von ihm geht eine angenehme Wärme aus, die mein Zittern langsam lindert. Seine Hand streicht über meinen Rücken und er flüstert mir beruhigende Worte ins Ohr. Ich spüre seinen Herzschlag.
Die Mischung aus allem wird dazu führen, dass ich mich langsam beruhige.
Sein Shirt ist zwar nun nass von meinen Tränen, stört ihn jedoch herzlich wenig.
„Geht's wieder?" Er drückt mich etwas von sich weg und schenkt mir ein sanftes Lächeln.
Ich nicke langsam.
„Na komm, dann gehen wir wieder in den Garten." Er steht auf und zieht mich mit auf die Beine.

Die Stimmung ist gekippt, eindeutig. Es laufen jetzt leise Gespräche in kleineren Grüppchen. Außer Amelie, die allein auf der Wiese zwischen den Hunden sitzt und sich augenscheinlich langweilt. Als sie mich auf der Terrasse sieht, springt sie sofort auf und rennt auf mich zu.
„Wo ist Toni?"
Ich überlege, wie ich einer siebenjährigen am besten erklären kann, was gerade passiert ist.
„Toni ist mit Phil, Franco und Moritz ins Krankenhaus gefahren. Er verträgt das Gift der Bienen nicht und braucht jetzt ein Mittel, damit es ihm wieder gut geht. Aber er kommt bald wieder", erkläre ich. Das klingt so harmlos und einfach.
„Sag mal Fine, hast du etwa geweint?" Amelie legt ihren Kopf schief.
„Ja, ich mache mir etwas Sorgen um meinen Bruder. Aber es wird alles gut."
„Tja, mir wollte ja keiner glauben, dass Bienen doof sind." Wieder dieser Triumph in ihrem Blick, der so süß aussieht.

Ich nehme ihre Hand und führe sie zur Couch auf der Terrasse, wo wir uns hinsetzen.
„Aber weißt du was? Bienen sind auch wichtig für uns."
Ungläubig guckt sie mich an und zeigt mir einen Vogel. „Das glaubst auch nur du", sagt sie überzeugt.
„Nein, nicht nur ich." Und so erzähle ich ihr etwas über Bienen. Nicht, dass sie noch eine Phobie gegen die entwickelt, weil sie nur Tonis Ereignis im Kopf hat.
„Und eigentlich sind sie auch für Allergika kein allzu großes Problem, denn sie haben immer Gegenmittel bei sich", schließe ich meine kleine Erzählung ab.
„Ach so, und bei Toni wusste keiner, dass er das nicht verträgt. Deswegen habt ihr nichts im Haus und müsst ins Krankenhaus?", zieht Amelie die richtigen Schlüsse.
„Ja, so sieht es aus." Ich lächle sie an. Das war eine gute Ablenkung.
„Fine, spielen wir nochmal mit den Hunden?" Sie guckt mich selbst mit einem Hundeblick an, dem man nicht widerstehen kann.
Doch Paula grätscht uns mit einer Frage dazwischen. „Wollt ihr ein Eis haben?"
Sofort schießt ein eindeutiges „Ja!" aus Amelie. So leicht geht das.
Paula guckt mich mit einem Blick zwischen fragend und besorgt an. Auch ich nicke.
Also sitzen Amelie und ich mit einem Eis auf der Wiese, beobachten die Erwachsenen und reden über die Schule. Ja, darüber redet sie gern.

Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit vergangen ist, in der ich mit Amelie auf der Wiese gesessen habe. Ganz so viel kann es jedoch gar nicht gewesen sein.
Amelie hat mich gerade gefragt, welche Fächer ich am meisten mag.
„Auf jeden Fall Biologie. Und an sich mag ich auch -" Der Satz bleibt in der Luft hängen, denn in diesem Moment taucht Moritz auf. Hinter ihm Phil, dann Papa und zum Schluss steht Toni da. Er sieht richtig fertig aus, als würde er gleich im Stehen einschlafen, hat aber ein schiefes Grinsen im Gesicht.
„Toni!", quietsche ich, springe auf und renne ihm in die Arme. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so fest gedrückt.
„Fine, wenn du nicht willst, dass ich doch ersticke, musst du mich loslassen", lacht er und drückt mich von sich weg.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was ich mir für Sorgen gemacht habe", sage ich und bin erneut den Tränen nahe. Tränen der Erleichterung.
„Wirklich, sie hatte fast einen Nervenzusammenbruch", mischt sich Alex hinter uns ein und zieht Toni ebenfalls in eine Umarmung.
„Ich hätte es nie gedacht, aber das Ding des Grillfestes hast tatsächlich du dieses Jahr gemacht, nicht Fine." Alex bedenkt mich mit einem stolzen Blick, wofür er eine Faust gegen seinen Oberarm kassiert.

Toni verzieht sich sofort in sein Zimmer. Ist aber auch verständlich, er muss völlig fertig sein. Doch auch Papa sieht nicht mehr ganz so fit aus. Ist auch keine leichte Sache, seinen eigenen Sohn in solch einer Lage zu erleben.
Die Erwachsenen lassen den Abend mit einem Bier ausklingen, während ich mich um die langsam müde werdende Amelie kümmere. Glaubt mir, das ist nicht mit allzu viel Spaß verbunden.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt