Den Urlaub habe ich mir dann doch etwas anders vorgestellt, als zwei Tage lang im Krankenhaus neben Oma zu verbringen. Die Hoffnung auf einen Neuanfang habe ich auch schon längst über Bord geworfen.
Drei Tage nach Omas Anfall steht ihre Entlassung an. Papa und ich sitzen schon früh am Tisch und essen was, damit wir danach gleich ins Krankenhaus aufbrechen können, als sich Alex zu uns gesellt.
„Wie geht es deinem Fuß?", erkundigt er sich zuerst und nimmt sich ein Brötchen.
„Phil sagt, es sieht gut aus. Leichte Belastungen sind auch wieder drin, muss nur aufpassen, dass das nicht wieder aufgeht."
„Klingt ja gut. Du, ich konnte gestern Abend nicht schlafen und habe mal etwas recherchiert."
Ich runzel meine Stirn, trinke einen Schluck Orangensaft und gucke ihn neugierig an.
„Also es ist so. Dein Unglück verfolgt dich ja immer noch. Und das scheinbar sehr extrem..." Er legt eine bedeutungsvolle Pause ein.
„Nee Alex, klemm dir das. Du und dein Spiegel, ich kann das echt nicht mehr hören", unterbricht Papa die Stille.
Alex widmet ihm einen angesäuerten Blick. „He, wie begründest du Fines Missgeschicke dann? Die komischerweise genau nach dem kaputten Spiegel aufgetreten sind?"
Papa schluckt den letzten Bissen, dann hebt er seine Schultern. „Sie ist halt tollpatschig?"
„Mhm, tollpatschig. Deswegen ist das vor dem Spiegel auch schon so aus dem Ruder gelaufen? Eben nicht. Davor war das halt in normalen Maßen, aber jetzt muss man sich jede Minute Sorgen machen. Es ist..."
„Ja Alex, noch sechseinhalb Jahre circa, dann ist alles wieder super", unterbreche ich ihn seufzend.
„Ha, da ist der Punkt!" Aufgeregt springt er vom Stuhl.
„Ich weiß nicht, um wen man sich hier sorgen muss", murmelt Papa mir zu. „Alex, setz dich erst mal wieder. Du bist ja wie ein Kind an seinem Geburtstag."
Er folgt Papas Anweisung, sieht mich dennoch aufgeregt an. Oh Mann.
„Und was hast du jetzt so interessantes herausgefunden?" Auch wenn ich an den ganzen Mist nicht glaube, will ich Alex mal reden lassen. Obwohl er mir irgendwie schon lang einen Floh ins Ohr gesetzt hat. Aber gut, Sachen gibt's, die gibt es gar nicht.
„Es ist nämlich so, dass im ersten Jahr die meisten Unglücke passieren. Danach schwächt das immer mehr ab, bis die sieben Jahre eben vorbei sind."
Ich hätte fast meinen Orangensaft ausgespuckt, so gern hätte ich einfach losgelacht. „Wo hast du solchen Hokuspokus denn her?" Angestrengt bemühe ich mich, noch etwas ernst zu bleiben. Papa hat sein Gesicht schon längst in seine Hände gestützt, er grinst bis zu den Ohren.
„Ich habe viele Theorien gelesen, aber da waren eben einige dabei, die davon berichtet haben", sagt Alex sachlich.
Ich lasse mir das kurz durch den Kopf gehen. Schwachsinn. Völliger Schwachsinn. Wieso glaubt Alex denn an so was?
„Ach Alex, wir werden es sehen, mh?"
„Ja, IHR werdet es schon sehen, wenn in sieben Jahren plötzlich nichts mehr passiert", entgegnet er noch immer ernst.
Der Großteil meines Gehirns sagt, ich soll es ihm zuliebe lassen, aber ich kann nicht. Mit meinem Zeigefinger tippe ich ihm gegen die Stirn. „Du hast wirklich Hirngespinste, wusstest du das?"
Papa lacht auf, Alex guckt mich zerknirscht an. Mein Gehirn hatte recht, ich hätte es lassen sollen. Er tut mir schon leid, dass er keinen hat, der seine Gedankengänge im Thema Spiegel mit ihm teilt. Wobei er mich ja immer mehr davon überzeugt, wenn ich ehrlich bin.
„Wir gehen jetzt in die Klinik, meine Mutter abholen", beendet Papa das Thema und steht auf. „Möchtest du mitkommen? Ein Platz im Auto ist noch frei, jetzt bist du ja schon mal wach."Alex bejaht und so sitzen wir zu dritt in Opas Auto. Der Spiegel ist kein Gesprächsthema mehr, aber er scheint unsichtbar um uns zu schweben. Alex hat es schon geschafft, dass jeder irgendeinen Gedanken daran verschwendet, sei er auch noch so klein. Selbst Papa, das kann er nicht leugnen.
Oma ist voll in Fahrt. Regt sich ununterbrochen darüber auf, dass sie das Bett hier unnötig belegt hat, weil es ihr doch eigentlich super geht. Papas Bemühungen, ihr zu erklären, dass die weiteren Abklärungen nötig waren, will sie schlichtweg nicht akzeptieren. Sie hat neue Medikamente bekommen, also war das hier alles andere als unnötig. Wie dem auch sei.
Papa packt Omas Sachen zusammen, während Alex ihre Medikamente in Augenschein nimmt.
„Und, interessant?", frage ich.
„Nein, eigentlich könnte ich dir fast auswendig erzählen, was hier steht."
„Verschone mich, danke", wehre ich schnell ab.Wir haben alles, verabschieden uns vom gerade anwesenden Personal und gehen durch die Klinik zielstrebig zum Ausgang. Papa drückt gerade das Erdgeschoss im Fahrstuhl, als es Oma einfällt. Ihre Uhr. Die hat sie im Nachtschrank liegen und vergessen.
„Springst du noch mal kurz raus?" Hätte Papa nicht fragen müssen, denn er hat die Tür längst wieder aufgemacht und mich halb rausgeschmissen.
Papa erklärt es Alex kurz, der mal wieder gar nichts verstanden hat.
Wie kann man seine Uhr vergessen, wenn man überall nachguckt, ob man alles hat? Na ja, vielleicht waren die Gedanken woanders.
Mein Humpeln so gut es geht vertuschend, schlendere ich über den leeren Gang wieder ganz nach hinten in das Zimmer, wo Oma lag.
Und tatsächlich, eine Krankenschwester steht gerade am Nachttisch und hält ihre Armbanduhr hoch.
„Die hat deine Oma wohl vergessen. Gut, dass ihr das noch bemerkt habt." Lächelnd hält sie mir die Uhr entgegen.
„Danke." Das hat sich zwar eher nach einer Frage angehört, aber ich meine, wieso redet sie plötzlich auf Deutsch mit mir? Ich habe sie die letzten beiden Tage immer hier gesehen, aber da hat sie eben nur mit Oma oder Papa geredet. Verwirrt greife ich nach der Uhr.
Sie fängt an zu lachen. „Ich komme aus Deutschland. Vor ein paar Jahren bin ich mit meinem Mann, der Italiener ist, hierhergekommen."
Wie gesagt, Sachen gibt's.
„Ist ja wie bei meinem Vater, nur umgekehrt", stelle ich fest. Papa ist damals, noch in ganz, ganz jungen Jahren, für meine Mutter nach Deutschland gezogen.
„Du bist zur Hälfte Italienerin?"
Ich nicke. „Mein Vater kommt von hier, wie man wahrscheinlich gesehen hat. Wir wohnen aber in Deutschland."
Sie macht ein eher überraschtes Gesicht. „Man sieht dir das Italienische kaum an."
„Ich weiß, da komme ich anscheinend sehr nach meiner Mutter. Aber gut, ich muss dann mal, sie warten schon auf mich." Ich winke kurz und verlasse dann das Zimmer. Habe ich gerade ernsthaft mit einer fremden Frau in gewissem Sinne über meine Mutter geredet? Die ich selbst nicht mal kenne? Irgendwie ein komisches Gefühl.Im Spiegel des Fahrstuhls sehe ich, wie sich die Tür schließt. Ich öffne gerade meine Haare, als ich durch den nur noch kleinen Spalt eine Person anrennen sehe. Und schon geht die Tür wieder komplett auf. Innerlich seufze ich genervt. Ich will langsam mal runter. Doch bei einem genaueren Blick verschlucke ich mich fast an meiner eigenen Spucke. Der italienische Tim, wie ich ihn gern in meinen Gedanken genannt habe. Ja, vielleicht ist er dort noch ein wenig herumgegeistert.
„Oh, da bist du wieder", stellt er schief grinsend fest.
Woher um alles in der Welt kann er Deutsch? Klingt irgendwie nach Schule.
Ein eher gequältes Lächeln bekommt er zurück. Zu stark sind die Erinnerungen an Tim, die mit ihm hochkommen.Das ging mir dann doch etwas zu schnell. Mein Gehirn muss ausgesetzt haben, sonst hätte ich das niemals so gemacht. Am Ende sitze ich bei den anderen wieder im Auto, gebe Oma ihre Uhr und stecke mein Handy in meine Hosentasche. Mit einer Nummer mehr in der Kontaktliste. Wie hat er es geschafft, mir so schnell seine Nummer anzudrehen? Mein Inneres hat anscheinend nach Ablenkung bezüglich Tim geschrien - und leider ungewollt gewonnen. Vielleicht war ich auch noch etwas verwirrt von dem Gespräch mit der Krankenschwester, dass ich kaum noch etwas gerafft habe.
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Ich möchte hier kurz anmerken, dass das Zeug um den Aberglauben von mir nur ausgedacht ist (zumindest habe ich das noch nie gehört). Also damit meine ich den Teil mit dem einen Jahr. Es gibt den Aberglauben natürlich wirklich, der besagt, dass ein zerbrochener Spiegel sieben Jahre Pech bringt, sonst wäre diese Grundidee der Geschichte ja auch nicht entstanden. Und ich denke, dass den auch jeder kennt.
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |1/2|
Fanfic|1/2| Ein bekannter Aberglaube besagt: „Ein zerbrochener Spiegel bringt sieben Jahre Pech." Josefine, von allen nur Fine genannt, findet das unsinnig. Doch was ist, wenn es genau nach solch einer Tollpatschigkeit eine Reihe von weniger schönen Ereig...