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Frau Meiers Gesichtszüge entgleisen für eine Schrecksekunde. „Drogen an unserer Schule?"
Nee, wissen Sie? Doch nicht an UNSERER Schule. Ich würde mir am liebsten die Hand ins Gesicht schlagen. Lasse es aber aus taktischen Gründen lieber sein.
„Das war ja eher andersrum", beginne ich mit meiner Verteidigung. Bereit für den Kampf. Vielleicht. Ein bisschen. Obwohl ich schon jetzt weiß, dass meine Chancen eher schlecht stehen - habe ich doch die letzte Zeit über nicht mit den besten Karten gespielt.
„Ihr zwei kommt sofort mit zum Direktor. Ich denke nicht, dass das hier geduldet wird. Und außerdem seid ihr minderjährig."
Ich verdrehe meine Augen. „Ich bin komplett unschuldig!"
„Das werden wir ja sehen", ist Frau Meiers einziger Kommentar.
Danke auch.

Die erste Aktion des Schulleiters? Der Griff zum Telefonhörer. Heilige Scheiße, das kann jetzt was werden.
Die Luft steht in diesem Büro, ein Geruch nach altem Kaffee hängt in dieser und tanzt mir um die Nase. Ich könnte kotzen.
„Also Nils, kannst du nochmal sagen, was passiert ist?" Herr Weber guckt über seine Brillengläser hinweg zu Nils, seine Mundwinkel kräuseln sich. Meine Übelkeit nimmt zu.
„Sie hat mich in die Ecke gezerrt, in der Frau Meier uns entdeckt hat, und wollte mir das Gras verkaufen. Ich weiß wirklich nicht, wie sie denken kann, dass ich so etwas konsumiere."
Mein Mund klappt mir zum erneuten Mal auf, doch es kommt einfach nichts raus. Zu groß ist die Fassungslosigkeit über Nils' Dreistigkeit.
„Josefine, stimmt das?", wendet sich Herr Weber an mich.
Ob das stimmt? Natürlich, wie soll es sonst gelaufen sein?
„Nein? Was muss ich mir hier gerade überhaupt anhören? Das war vorne und hinten komplett gelogen! Er hat mich in die Ecke gezogen, er wollte mir das Gras schenken!" Meine Stimme ist hart an der Grenze zum ausfallenden Ton. Es tobt in mir wie ein übles Gewitter. Ein ganz übles.
„Josefine, denk an deinen Ton!", ermahnt mich Herr Weber.
Ich lasse mich zurück nach hinten in den Stuhl sinken. Vor lauter Aufregung habe ich mich halb über den Schreibtisch gelegt.
Mein Blick gilt Nils, ich will krampfhaft ein kleines bisschen Reue in seinem Ausdruck finden. Oder irgendein kleines Grinsen, welches ihn verrät. Doch er kann leider verdammt gut schauspielern.
„Tut mir leid, aber ich kann dir das nicht wirklich glauben. Warum sollte Nils das machen? Josefine, wir wissen, wie du in letzter Zeit drauf bist. Viele Lehrer sagen neuerdings, dass du plötzlich so schroff geworden bist und eine Einstellung hast, in der dir alles egal ist. Brauchst du irgendwie Hilfe?" Nun etwas versöhnlicher guckt Herr Weber mich an.
„Hilfe? Ich brauche keine Hilfe. Mir muss einfach mal geglaubt werden!"
„Na schön, wenn du keine Hilfe annimmst, ist das dein Ding." Er seufzt und lehnt sich nun ebenfalls in seinem Schreibtischstuhl zurück. „Aber ich kann und werde Drogen an meiner Schule nicht dulden. Das wird Folgen für dich haben, Josefine."
„Für mich?" Ich springe vom Stuhl auf, werde jedoch von Frau Meier zurückgedrückt, die noch immer hinter uns steht.
„Ja, für dich. Du hast die Drogen doch angeschleppt."
Ich schnaube. Oder lache auf. Keine Ahnung. Ich scheine gerade von keiner Sache eine Ahnung zu haben.

Ein Schweigen tritt ein, welches meinen Gedanken nun endgültig freien Lauf lässt. Soll ich darauf hoffen, gleich bekannte Polizisten zu sehen, die mir eher glauben als unbekannte? Andererseits wäre es vielleicht mit fremden Polizisten entspannter. Wie dem auch sei, beeinflussen kann ich es eh nicht.

Mein Herz reagiert auf das Klopfen an der Bürotür mit einem Stolpern. Mein Magen dreht sich um. Verbunden mit der Übelkeit vielleicht nicht ganz so gut, aber irgendwie schaffe ich es, alles dort zu lassen, wo es hingehört.
Erleichtert oder nicht - das ist hier die Frage.
„Schneider mein Name, was ist denn genau passiert?"
Ich gucke von unten zu einem großgewachsenen Mann hoch, der breit gebaut ist. Angsteinflößend. Neben ihm sieht sein Kollege schon fast mickrig aus.
„Alles ist eine Lüge, damit Sie das wissen", komme ich jedem Anwesenden zuvor. Und sofort schießt mir die Röte ins Gesicht. Vielleicht sollte ich mich etwas zurückhalten, wenn ich Glauben haben will.
Diese ganze Lüge geht in die neue Runde. Nils lügt Polizisten an, ohne mit der Wimper zu zucken! Ich könnte lachen und heulen, beides aus purer Verzweiflung.

„Es ist richtig, dass Sie uns gerufen haben", stellt Herr Schneider fest, nachdem er ein ausgiebiges Gespräch mit Frau Meier und Herrn Weber geführt hat.
Ist gut möglich, aber es geht hier verdammt nochmal um die falsche Person.
Herr Schneider nimmt das Tütchen vom Schreibtisch und bedeutet mir dann, mich hinzustellen.
„Wir nehmen dich vorerst mit auf die Wache und verständigen deine Eltern, damit wir dich vernehmen können, okay?"
„Ich habe nur einen Vater", brumme ich zurück, statt auf die eigentliche Situation einzugehen. „Und er ist arbeiten."
„Wir werden schon einen Weg finden, an deinen Vater zu kommen", sagt der Polizist viel zu motiviert.

Mir könnten glatt meine Augen rausfallen, als ich merke, welche Polizeiwache sie anstreben.
Aber ich kenne die beiden doch gar nicht, ich habe sie nicht mal gesehen. Es heißt ja nicht, dass ich jeden wirklich von der Wache kenne, aber über den Weg gelaufen bin ich wohl schon ziemlich jedem.
„Einmal aussteigen, bitte", kommt es plötzlich von meiner Seite.
Ich zucke kurz, steige dann aber aus und folge den beiden mit gesenktem Kopf. Wenn mich jetzt einer erkennt.
„Kopf hoch, sonst fliegst du noch hin", kommt es leicht belustigt von Herrn Schneider.
„Ich könnte hier blind laufen und würde nichts umrennen", erwidere ich schnippisch.
„Ach, schon so oft hier gewesen?" Seine Belustigung wächst.
„Ja, aber nicht aus den Gründen, die Sie gerade im Kopf haben."

Sie führen mich in ein Büro - und ich habe auf dem Weg hierher keinen gesehen.
Ich atme mit einem Stoß die angesammelte Luft aus und entspanne mich etwas.
„Wir werden gleich eine weibliche Kollegin holen, die dich auf weitere Drogen abtastet. Sie ist gerade aber noch im Einsatz. Und jetzt warten wir mal auf deinen Vater."
„Kann ja nur lange dauern, er ist immer noch auf Arbeit."
Herr Schneider schüttelt den Kopf. „Wir konnten ihn erreichen, er ist auf dem Weg."
„Sie glauben mir doch eh nicht. Warum? Mache ich ernsthaft so einen komischen Eindruck? Aber dieser Nils nicht?" Mein Atem beschleunigt sich vor Wut und ich lege die ganze Geschichte nochmal von Beginn dar. Erkläre ihnen sogar, was für ein Typ Mensch Nils ist.
Doch ihre Mienen bleiben unverändert.
„Dann nicht. Mehr als die Wahrheit sagen kann ich ja auch nicht." Ich habe den Drang, ihnen die Zunge rauszustrecken, auch wenn es kindisch ist. Aber ich fühle mich einfach so schutz- und machtlos.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Bewegung auf dem Flur zustande.
Kurz darauf steht wirklich Papa bei uns, noch in Dienstkleidung. An seiner Seite Stephan.
„Was ist hier bitte los?", fragt Stephan mit zusammengezogenen Augenbrauen.
„Na endlich. Die wollen mir nicht glauben. Ihr müsst mir glauben, ich habe mit der ganzen Scheiße nichts zu tun! Mach du doch mal was." Ich gucke Stephan verzweifelt an.
„Was ist denn übergaupt genau passiert?", möchte Papa wissen.
Tief durchatmen, Ruhe bewahren. Irgendwie.

Zum dritten Mal erzähle ich alle Einzelheiten. Papas Gesichtsausdruck hat wohl alle Emotionen ausgedrückt, die zu solch einer Situation passen.
„Ich glaube dir", kommt es plötzlich von Papa.
Mir fällt ein großer Stein vom Herzen. Ich traue meinen Ohren fast gar nicht. Nach der Sache in Italien hätte ich gedacht, dass das mit Papa gar nichts mehr wird.
„Hast du denn noch mehr dabei?", fragt Stephan dafür.
„NOCH MEHR? Glaubst du mir also nicht oder was?"
„Das habe ich nicht gesagt. Hat dich schon jemand kontrolliert?"
„Nein verdammt, aber ich habe auch nichts dabei!"
„Ich hole kurz Hannah, sie ist wieder da", sagt Stephan und verschwindet.
„Glaubt der Idiot mir etwa nicht?", wende ich mich an Papa.
„Fine, nicht so. Hier gibt es noch zwei Polizisten, die uns nicht kennen", sagt er mit gesenkter Stimme und streicht mir dann über den Kopf. „Wir schaffen das schon."
Diese Einstellung von Papa verwirrt mich total. Damit hätte ich niemals gerechnet.

Hannah durchsucht mich - und wie durch ein Wunder findet sie nichts. Jedoch verschwindet sie mit Stephan wieder. Super.
Erneut zweifelt Herr Schneider an meiner Unschuld und zählt mir Dinge auf, die für meine Schuld sprechen.
Ich kann nur den Kopf schütteln.
„Jetzt hören Sie mal zu", beginnt Papa gefährlich ruhig. „Meine Tochter ist noch nie mit Drogen in Kontakt gekommen und würde das auch niemals tun. Ich weiß nicht, wer von uns hier meine Tochter seit 16 Jahren kennt. Das bin wohl ich. Und meinetwegen können Sie hier jeden beliebigen Kollegen holen, der würde nicht an Josefines Unschuld zweifeln. Wo haben Sie Ihre Ausbildung gemacht? Müsste nicht auch dieser Nils ordentlich befragt werden?" Zum Ende wird er immer lauter.
Die zwei Polizisten starren ihn kurz wie aus der Bahn geworfen an.
Doch ehe noch jemand etwas erwidern kann, geht die Tür nach großem Tumult auf dem Gang erneut auf. Und das Bild raubt Papa und mir wohl für ein paar Sekunden den Atem.

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Die Kapitelzahl passt, denn das sollte eigentlich mein Titel werden. Also nicht wundern.

Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt