„W-was machst du hier?", frage ich unsicher und verstecke meine linke Hand hinter dem Rücken.
„Ich habe gesehen, wie du aus der Halle gegangen bist. Was versteckst du hinter deinem Rücken?" Er macht einen Schritt auf mich zu, doch ich weiche sofort zurück.
Meine Hand krampft sich um den halben Blister, die abgeschnittenen Seiten schneiden sich beinahe in meine Handfläche und Finger.
„Ich verstecke da nichts. War nur was trinken." Zögerlich hebe ich meine Wasserflasche und lasse den Inhalt plätschern.
Phils Augenbrauen könnten fast an seinem Haaransatz kratzen. „Und dafür gehst du auf Toilette?"
„Na ja, ich musste halt auch mal, ne?" Ich lache leicht auf. „Aber wenn du erlauben würdest, ich müsste mal wieder in die Halle. Sie warten nicht auf mich." Mit einer viertel Drehung wende ich mich von ihm ab, ziehe meine Hand vor und lasse sie etwas lockerer. Was eine Erleichterung, das tat ja schon weh.
„Halt, nicht so schnell junges Fräulein", grätscht Phil mir dazwischen und versperrt mir blitzschnell den Weg.
Bevor ich überhaupt reagieren kann, umfasst seine Hand meine. Und er ist ohne Zweifel stärker.
Kurz probiere ich mein Glück und verkrampfe erneut, doch als ich den ersten leichten Schnitt merke, gebe ich auf.
Mit einem Seufzen meinerseits fällt der kleine, akkurat abgetrennte Blister in Phils Hand.
„Habe ich es doch geahnt. Aber du hast wirklich nur eine genommen, oder?" Ein fast triumphierendes Lächeln lässt seine Mundwinkel zucken, ehe er wieder ernst wird. „Heute Morgen lag ich also mit der Annahme richtig. Du hast Schmerzen. Wo denn genau?"
„Von der Aufregung", brumme ich nur und will an ihm vorbei. Dass ich die Erwärmung am Balken fast komplett verpasst haben werde, ist allein schon schlimm genug. Aber auf Phils große Reden kann ich nun auch sehr gut verzichten.
„Ich habe gefragt, WO du Schmerzen hast", lässt er nicht locker.
„Kopfschmerzen", lüge ich, ohne vorher überhaupt ansatzweise darüber nachzudenken. „Weil ich etwas wenig getrunken habe, du kennst mich ja", schiebe ich noch schnell hinterher.
Phil macht den Mund zu einer Erwiderung auf, als sich wie aus dem Nichts jemand zu uns stellt. Der Typ, der vorhin hinter Toni saß.
„Alles gut mit dir, brauchst du Hilfe?", fragt er mich und deutet auf Phil.
Denkt der gerade etwa... Was?
Mein Blick fällt auf Phils Hand, die mein Handgelenk fest umschlossen hat. Anscheinend sieht das hier gerade wirklich ziemlich fragwürdig aus.
Mindestens so perplex wie ich ist auch Phil, der ihn mit offenem Mund anstarrt.
Jetzt oder nie. Die Gunst der Stunde muss genutzt werden.
Sein Griff hat sich vor Verwirrung gelockert, sodass ich mein Handgelenk ohne Probleme befreien kann. Ehe Phil noch anderweitig reagieren kann, richte ich ein flüchtiges „Danke" an den Typen, der mich in gewisser Weise gerade gerettet hat, und renne zurück in die Halle.
Für wenige Sekunden mustere ich meine Hand. Verdammt, ich habe mir wirklich einen oberflächlichen Schnitt geholt. Das wird am Stufenbarren ja ein Erlebnis.
Dass ich Phil gerade wohl in Erklärungsnot gebracht habe, ist mir ziemlich schnuppe. Er hätte mich ja nicht so aufhalten müssen.Trotz fehlender Erwärmung am Balken falle ich nicht einmal runter. Wann habe ich das das letzte Mal geschafft? Balken ist nicht meins und wird es wohl auch nie werden.
Das Ziehen schalte ich so gut es geht aus, der Gedanke, dass das ja bald weg ist, ist eine große Hilfe dabei.Die herbeigesehnte Wirkung tritt ungefähr nach einer halben Stunde ein.
Phil starrt mich wütend an. Da die anderen jedoch nicht nach Wutausbruch eines Kleinkindes aussehen, dürfte Phil ihnen nichts von unserer Begegnung gesagt haben. Wird Phil nachher wohl das einzige tobende Kind sein. Ich kann mir schon richtig vorstellen, wie er mir am liebsten einen ellenlangen Vortrag halten würde, dann jedoch nicht lange auf mich böse sein könnte und alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre. Eben nur das, nichts wäre gelöst.
Mit zusammengekniffenen Augen beiße ich mir auf die Zunge. Es ist, als würde meine Hand in Flammen stehen und dazu auch noch tausende kleine Nadeln auf sie einstechen.
Ich würde es fast als unsanft bezeichnen, wie Phil sich um die vorhin noch kleine, nun durch das Turnen definitiv schlimmere Wunde kümmert, doch das ist alles wahrscheinlich nur Einbildung. Er würde niemals unsanft mit mir umgehen, schon gar nicht nur aus Ärger.
Seine Miene wirkt verkniffen, ich kann nichts daraus lesen. Vorwurf wird wohl dahinterstecken. Den er nur nicht rauslassen möchte. Noch nicht.
Seufzend stellt er das Wasser aus. Das erste Geräusch, welches ihm entweicht.
Langsam entspannen sich die Muskeln um meine Augen herum, die entstandenen Tränen lassen Phils Gesicht komisch verschwimmen. Meine Zähne geben dem Druck nach, wodurch sich ein metallischer Geschmack in meinem Mund ausbreitet. Ich habe mir doch nicht ernsthaft... Super.
Vorsichtig strecke ich Phil meine Zunge entgegen. „Blupe is?"
„Ouh, ein reinstes Blutbad." Er schmunzelt, und ich traue meinen Augen kaum. Auch wenn es kein großes Grinsen ist, welches Frieden zwischen uns verspricht, umspielen kleine Fältchen seine Augen. Er meint dieses Schmunzeln also ernst.
Und dieses kleine Grinsen lässt die folgende Behandlung schon um einiges sanfter wirken.
„Fine, ich habe keinem etwas davon erzählt. Aber es wäre wirklich wichtig, mir die Wahrheit zu sagen. Immerhin musst du solche Schmerzen haben, dass du sogar eine Tablette nimmst. Und dass du Kopfschmerzen hast, kannst du vergessen."
Nun liegt es an mir, einen lauten Seufzer entweichen zu lassen. Man kann ja wohl mal Schmerzen haben. Doch mit dem Seufzer kommt mir auch eine Idee. „Wie wäre es, wenn du mir endlich mal erzählst, was auf der HNO vorgefallen ist? Dann kann ich dir vielleicht auch mein Problem erzählen, welches nicht vorhanden ist."
Augenblicklich scheint sich seine Miene zu verdunkeln. „Das kann man nicht miteinander vergleichen."
Bedeutet so viel wie: Nein, ich werde dir nicht sagen, was da vor sich geht.
„Dann nicht. Wäre auch zu einfach gewesen." Ich zucke mit den Schultern, wodurch Phil stärker um mein Handgelenk greift.
„Stillhalten. Und das kann man beides so gut vergleichen, wie man Senf und Schokolade miteinander vergleichen kann."
Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. „Senf und Schokolade? Bitte was? Das macht keinen Sinn."
„Meine Güte, man kann die HNO nicht mit deinen Schmerzen vergleichen, dementsprechend macht deine halbe Erpressung keinen Sinn", schnaubt er nun deutlich gereizt.
„Pass auf deinen Blutdruck auf", rate ich ihm, statt ansatzweise auf das Thema einzugehen.
Und dann schweigt er. Er sagt nichts mehr, drückt mir stumm eine Kompresse auf den Schnitt und wickelt einen Verband um meine Hand. Dann lässt er mich stehen und verlässt das Badezimmer.
Okay, tschüss?Meine Gedanken scheinen mich quälen zu wollen. Von den Schmerzen ganz zu schweigen, sie sind in den Unterbauch gewandert. Durch die schwindende Wirkung bekomme ich sie immer deutlicher zu spüren.
Vielleicht bekomme ich meine Tage? Mit höchster Konzentration rechne ich die Zeit aus. In vier Tagen wäre es soweit. Also nicht unmöglich. Wobei die Schmerzen dafür eigentlich zu hoch liegen.Die Schmerzen werden nicht besser, meine Gedanken wirbeln wie ein Schneesturm herum.
Hätte ich Phil doch von den Schmerzen erzählt. Wer weiß, was das schon wieder ist.
Hätte. Das ist zu spät.
Ich gucke auf mein Handy. 2:35 Uhr. Langsam richte ich mich auf, woraufhin ein stechen durch den ganzen Bauch fährt.
Für den Weg ins Büro brauche ich beängstigend lange, da sich beim Gehen der Schmerz denkt, eine Party feiern und Korken knallen lassen zu können.
Das Glück scheint mich jedoch nicht ganz zu verlassen. Kurz habe ich mir nämlich schon Gedanken gemacht, wie ich am besten an eine Flasche Wasser komme. Aber auf dem Schreibtisch steht eine volle Wasserflasche. Immerhin etwas.
Mit voller Vorfreude drücke ich mir eine Ibuprofen aus dem Blister. Das kommt mir leider zu bekannt vor, ist es doch schon die zweite in nicht mal 24 Stunden.
Gierig spüle ich sie mit Wasser runter, um danach tief durchzuatmen. Bitte lass das jetzt besser werden.------------------------
Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)
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7 Jahre Pech (Asds) |1/2|
Fiksi Penggemar|1/2| Ein bekannter Aberglaube besagt: „Ein zerbrochener Spiegel bringt sieben Jahre Pech." Josefine, von allen nur Fine genannt, findet das unsinnig. Doch was ist, wenn es genau nach solch einer Tollpatschigkeit eine Reihe von weniger schönen Ereig...