111 - Unfähige Kollegen

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„Oh, ich wusste ni - Franco? Fine?" Paul steht in der geöffneten Tür und starrt uns an. Papa und ich wiederum starren den jungen Mann an, der Pauls Hand an seinem Oberarm hat.
„Was ist das für ein verdammter Tag?", jammert Papa und geht auf Paul zu. Und Toni. „Was hast du um alles in der Welt angestellt, Junge?" Papa nimmt Tonis Hände sanft in seine und mustert die blutigen Schnitte.
„Was macht ihr hier?", fragt Toni zurück, seine Stimme ist ungewohnt kratzig.
„Paul, hilf mir bitte. Die beiden Polizisten wollen mir nicht glauben", beginne nun auch ich mit einem anderen Thema.
„Stopp. Das wird mir hier gerade alles zu viel. Erst muss ich Toni von der Straße einsammeln, weil er randaliert, dann will ich ins Büro und ihr zwei seid hier. Können wir das mal ganz kurz ordnen?" In Pauls Gesicht zeichnet sich reinste Überforderung ab.
„Okay. Ich soll angeblich mit Gras dealen. Verrückt, oder? Das ist so lächerlich, dass ich lachen könnte", fasse ich meine Situation zusammen. „Und was hat Toni nun angestellt?", will ich dann von Paul wissen.
„Er wurde von uns auf der Straße aufgegriffen, weil er eine Glasscheibe einer Bushaltestelle zusammengeschlagen und gegen etliche Hauswände gekämpft hat."
„Meine beiden Kinder an einem Tag bei der Polizei. Ich glaub es nicht. Wo sind die verdammten Kameras?" Papa rauft sich die Haare und läuft nun auf und ab.
„Franco, ruhig bleiben, okay? Ich gehe mit Toni mal in ein anderes Büro, rede mit ihm und kann dich ja dazuholen, wenn du hier fertig bist."
„Paul, du kannst mich doch nicht im Stich lassen! Die haben irgendwas gegen mich."
Pauls Mundwinkel zucken, doch er ermahnt mich, dass ich nicht so reden soll. Obwohl er wahrscheinlich etwas anderes denkt. Ich kenne ihn. „Ich gucke, was ich machen kann." Damit drehen er und Toni um.
„Wären wir heute alle einfach im Bett geblieben", murmelt Papa und setzt sich endlich mal auf den Stuhl neben mich. Danke, er hat mich schon die ganze Zeit wahnsinnig gemacht, als er hier auf- und abgegangen ist.

„Wie ich merke, kennst du hier die Leute?", fragt Herr Schneider dümmlich.
„Nee, wissen Sie? Ich habe jeglichen Respekt verloren, duze die Polizisten einfach und kenne zufällig noch ihre Vornamen. Haben mir die Vögel zugezwitschert." Ich rolle mit den Augen. Kann dieser ganze Scheiß nicht einfach mal ein Ende haben? 
Papa sieht etwas erschrocken über meine Wortwahl aus. Soll er doch, ich verliere hier meine Nerven von Sekunde zu Sekunde mehr.
„Ich bin kein Polizist, wie Sie sehen können, aber müssten Sie nicht rein theoretisch auch diesen Nils befragen? Das geht doch so nicht, dass Sie hier nur meine Tochter unter Beschuss nehmen!", probiert es Papa erneut.
Mir fällt gerade auf, dass das Gespräch nur mit Herrn Schneider läuft. Der andere Polizist, dessen Namen ich nicht mal kenne, hat noch kein Wort verloren.
„Hören Sie...", beginnt besagter Polizist, der seine Arbeit wirklich sehr gut macht, ha, doch Papa fährt ihm, nun ebenfalls schroff, dazwischen. Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die ihre Nerven ins Nirgendwo verliert. „Sie liegen mit Ihrer Annahme, dass sie hier die Leute kennt, zu hundert Prozent richtig. Wir sind mit ein paar Polizisten dieser Wache befreundet. Wo auch immer Sie herkommen, gesehen habe ich Sie noch nie. Und das scheint ja was zu bedeuten. Aber ich bitte Sie, ich arbeite im Rettungsdienst. Wir leben mit drei Ärzten unter einem Dach, haben Kontakt zu Polizisten, und Sie wollen mir nun allen Ernstes verklickern, dass meine Tochter mit Drogen handelt?" Papa lacht ironisch auf. „Wo sind wir hier gelandet? Wenn man schon ständigen Kontakt mit der Polizei hat, sie oft ins eigene Haus kommt, dann wird wohl ihre letzte Idee sein, Drogen zu verticken!"
Papas Gesicht nimmt rote Farbe an. „Wenn Sie entschuldigen, ich bin einen kompetenten Kollegen holen, der sich BEIDE Seiten genau anguckt." Der Stuhl rückt geräuschvoll nach hinten, Papa steht auf und verlässt hinter einer knallenden Tür das Büro.
Und ich bin fast zu Tränen gerührt, so sehr schätze ich es, dass Papa mir glaubt. Wow.

„Was denkt der, wie er sich verhalten kann?", murmelt plötzlich der namenlose Polizist. Der kann reden? Oho.
„Was denken sie zwei hier, wie sie mit mir umspringen können? Ich werde wie die letzte Schwerverbrecherin behandelt und sie hören mir wahrscheinlich nicht mal richtig zu, wenn ich etwas sage. Dürfte ich kurz telefonieren?"
„Mach", sagt Herr Schneider trocken, von meinen Worten total ungerührt.
Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und gehe auf den Klassenchat. Ganz unten bei den Gruppenmitgliedern ist die eine Nummer, die ich nicht eingespeichert habe. Nils.
Ohne große Überlegungen, was ich überhaupt sagen will, drücke ich auf Anruf. Wenn das die Polizisten nicht auf die Reihe bekommen, muss ich es wohl selbst in die Hand nehmen.
Nach dem zweiten Klingeln nimmt er ab.
„Was ist?", tönt es aus der Leitung. Anscheinend hat er meine Nummer eingespeichert, anders als ich.
„Hast du einen ungefähren Plan, in welche Lage du mich gebracht hast? Nein? Ich möchte, dass du auf der Stelle zur Polizei kommst und die Sache aufklärst. Ich werde für keine Sache die Verantwortung übernehmen, mit der ich nichts am Hut habe!", schreie ich beinahe ins Handy.
Nils lacht nur. „Beruhig dich mal. Ich werde nirgendwo hinkommen."
Die Tür des Büros geht auf und Papa kommt wieder. Im Schlepptau Moritz. Endlich. Danke.
Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich mit Nils telefoniere, und stelle auf Lautsprecher.
„Doch, das wirst du. Was ist deine Mission? Klar, du drehst alles so, dass du nicht bestraft werden kannst. Aber du zettelst hier gerade falsche Fakten an, die dich erst so richtig ins Verderben bringen, wenn das rauskommt. Also würde ich mich stellen."
Ein Knistern ist zu hören, dann ein Schnauben. „Du bist so dämlich, wusstest du das?"
„Nein, wusste ich nicht." Meine Stirn legt sich in Falten. Was hat das jetzt alles damit zu tun?
„Ich bin ein Musterschüler schlechthin, denkst du ernsthaft, dass ich dafür infrage komme? Herr Weber hat mich doch schon verteidigt, nicht dich. Und das ist wohl ziemlich glaubwürdig gewesen, sonst hätten die mich ja auch mitgenommen. Außerdem bist du doch immer mehr ein Absturzkind, da glaubt dir kein Schwein. Jeder wird denken, dass das dein Stoff war. Und ich bin schön raus aus der Geschichte."
Papas Gesicht nimmt eine neue Nuance rot an. Seine Wut auf diesen Typen scheint gerade ins Unermessliche gestiegen zu sein.
Absturzkind. Das Wort hallt in meinem Kopf nach, sucht vergeblich nach einem Ausgang. Ich schlucke den Kloß runter, der sich binnen Sekunden in meinem Hals gebildet hatte. War ich wirklich so schlimm? Aber unter Absturzkind definiere ich eigentlich etwas ganz anderes.
„Okay, genug gehört. Danke für deine bereitwillige Aussage", schaltet sich Moritz ein und holt mich somit wieder aus meinen Gedanken. „Wir werden uns dann gleich sehen, ne?"
„Josefine? Du bist so eine miese..."
Doch dann wurde der Anruf von Moritz schon unterbrochen. „Das müssen wir uns nicht auch noch antun", kommentiert er seine Tat und leitet sofort alles in die Wege.
„Wie wäre es mit einer kleinen Entschuldigung?" Ich klappere mit den Wimpern und grinse die beiden wohl unfähigsten Polizisten scheinheilig an.
„Komm, das ist erst mal nicht mehr unsere Sorge. Wir sollten jetzt wohl eher nach Toni gucken", meint Papa.
Und wie er da recht hat.

Schwarze Wolken hängen tief am Himmel, scheinen sich der ganzen Situation anzupassen. Der warme Regen prasselt auf uns nieder, durchweicht ohne ein kleinstes Zögern jeglichen Stoff an unseren Körpern. Die Luft wird erdrückend schwül durch die Luftfeuchte. Einzig allein der Geruch nach einem warmen Sommerabend mit Regen scheint wohl positiv zu sein.
Auch wenn es nur wenige Meter waren, kommen wir nass im Auto an. Die Tropfen trommeln auf das Autodach und füllen die angespannte Stille. Sie könnten fast beruhigend sein, wenn nicht diese unausgesprochenen Worte von uns allen in der Luft hängen würden, die nur darauf warten, ausgesprochen zu werden.
Papa holt tief Luft, als würde er zu einem Satz ansetzen wollen.
Automatisch halte ich den Atem an, habe Angst vor dem, was nun gesagt werden könnte.
Und dann redet Papa so leise, dass es fast von den immer lauter werdenden Regentropfen ertränkt wird.
„Ich habe versagt."

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt