96 - Schnapsidee

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Papa vergeht das Lachen schnell. Er hat meinen hochroten Kopf bemerkt.
„Ganz schön heiß hier, findet ihr nicht?", frage ich unsicher und wedel mir mit meinen Händen Luft zu. Auffälliger kann man sich aber auch nicht verhalten. Warum muss mein Gehirn immer in den unpassendsten Momenten aussetzen und bockig sein?
„Fine, es ist hoffentlich nicht das, wonach dein Verhalten gerade aussieht." Papa gewinnt auch Farbe im Gesicht. Ebenfalls rot, er ist bereit zum Kampf.
„Nein? Ich ... Was soll denn sein?", stottere ich.
„Komm mal mit hoch", fordert Papa mich streng auf.
Auch wenn ich weiß, dass ich nichts damit angestellt habe, fühle ich mich wie der letzte Verbrecher. Anstatt ich einfach gleich gesagt hätte, was Sache ist. So glaubt mir doch jetzt kein Mensch mehr. 
Mit gesenktem Kopf trotte ich ihm hinterher und vernehme auch die anderen, die uns folgen.
„Nimm mal einen tiefen Atemzug", sagt Papa zu mir.
Ja, es stinkt hier wirklich. Und das kommt definitiv vom Wäschehaufen.
„Eindeutig Gras", beschließt Phil sicher.
„Da scheint sich aber einer auszukennen", grinst Toni. Ach, da kann er dann doch mal aufmerksam sein?
„Im Rettungsdienst bekommst du alles mal mit", wendet Alex ab.
Ich stehe da, werde von allen erwartungsvoll angeguckt.
„Was denn? Ich war bei Elian, wie soll ich dann hier irgendwas konsumiert haben?", frage ich, nachdem ich diese ganzen Blicke einfach nicht mehr ertragen konnte.
Wortlos nimmt Papa die oberste kurze Hose vom Haufen. Meine gerade ausgezogene.
„Oh ja, hab ich es doch geahnt", flüstert er. Ein gezielter Griff in die Hosentasche - er hat das Tütchen in der Hand. 
Seine Augen verengen sich. „Ich bin gespannt, wie du das erklären kannst."
Ein erschrockenes Einatmen ist von den anderen zu hören. Wie in einem schlechten Film, doch leider ist das hier gerade die kalte Realität.
„Ich warte", drängelt Papa, da ich noch immer nichts gesagt habe.
„Es ist nicht so, wie ihr alle denkt. Meine Güte, das Zeug ist von Elian, wie ihr euch wahrscheinlich alle schon denken könnt. Er hat das von einem Freund zum Geburtstag bekommen. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht bei ihm bleibe, wenn Drogen auf der Party sind. Er hat mir das Gras dann halt gegeben und gemeint, ich solle es ihm nach der Party wiedergeben. Er hat mir versprochen, dass es keine Drogen geben wird", lege ich die ganze Geschichte ziemlich aufgebracht dar. Sie werden mir doch eh nicht glauben.
„Das klingt ja ganz logisch, aber wieso hast du uns das dann nicht gleich gesagt?", kommentiert Papa, dann kommt er auf mich zu und guckt mir in die Augen. „Deine Augen sehen aber tatsächlich normal aus."
„Ach was, denkst du ernsthaft, ich lüge euch an?" Meine Stimme zittert, es brennt in meinen Augen. Jetzt bloß nicht weinen.
„Irgendwie kann ich das trotzdem nicht ganz glauben. Aber damit eins schon mal klar ist, du bewegst keinen Fuß mehr Richtung Elian."
„Du glaubst mir also nicht?", frage ich mit inzwischen bebender Stimme. Meine Sicht verschwimmt.
Ich merke, dass das in einem fetten Streit enden wird. Und das will ich nicht.
„Das klingt alles sehr bereitgelegt, findest du nicht?", antwortet er in einer unangenehm kühlen Stimme.
Mein Blick sucht Hilfe bei den anderen, doch sie heben alle nur ihre Schultern.
Vielen Dank für diesen Beistand.
„Schön, dass du so ein Vertrauen in deine eigene Tochter hast. Du weißt, dass ich niemals Drogen nehmen würde. Weißt du eigentlich, dass das total verletzend ist?", flüstere ich.
Ich wische mir einzelne Tränen weg, starre Papa für eine kurze Zeit einfach an. Dann bahne ich mir einen Weg zwischen Phil und Alex durch, in deren Blicken so viel steht, was ich nicht entziffern kann.
„Wir reden nochmal!", ruft Papa hinterher, eine Mischung aus Ärger und Besänftigung.
Der kann reden, mit wem er will. Mit mir jedenfalls erstmal nicht mehr. 
Laut knallt meine Zimmertür ins Schloss, bevor ich die Schluchzer endgültig nicht mehr halten kann. 

Ich bewege mich nicht aus dem Zimmer. Bekomme Nachrichten von den anderen, von Elian, antworte aber keinem.
Wenn jemand ins Zimmer kommt, stelle ich mich schlafend. Das klappt bei denen immer erstaunlich gut. Und dann lassen sie mich auch 'schlafen'.

Mein Handy zeigt 23 Uhr. Wieder eine Nachricht von Elian. Seufzend lese ich, dass er mich jetzt gern bei sich hätte. Ich schnaube. Er hat mir das ganze eingebrockt - wobei auch eher ungewollt.
Meine Gedanken scheinen sich gegenseitig zu verprügeln, Vernunft schlägt auf Wut ein, dann wechseln sie und meine Wut gewinnt die Oberhand.
Der Gewinner des ganzen Spektakels, welches sich in meinem Kopf abgespielt hat? Die Wut auf Papa und alle anderen. Oder ganz einfach gesagt der jugendliche Leichtsinn.

Eine frische Abendluft weht mir entgegen und verpasst mir eine leichte Gänsehaut. Keiner hat etwas von meiner Flucht bemerkt. Sie saßen alle im Wohnzimmer und waren auf den Fernseher oder ihr Handy konzentriert. Tja, Glück für mich.

Die Musik schlägt mir schon vor der Tür entegen, sodass ich bezweifle, dass die Klingel gehört werden würde. Also schreibe ich Elian eine Nachricht. Keine Minute später wird die Tür aufgerissen und er umarmt mich.
Da freut sich aber einer, dass ich gekommen bin.
Ich erzähle ihm das Ding mit dem Gras in Kurzfassung.
„Oh Mist, das tut mir wirklich leid." Zerknirscht sieht er mich an.
„Egal, lass uns jetzt einfach Spaß haben", beende ich das Thema so schnell, wie ich es angeschnitten habe. 
Das lässt er sich nicht zweimal sagen. Er zieht mich an meiner Hand ins Wohnzimmer, wo ich auf eine ganze Menge an Jugendlichen treffe. Er stellt mich freundlich bei allen vor und fordert dann bei seinem persönlichen Barkeeper einen Drink für mich.
Und mir ist es gerade so was von egal, ob da Alkohol drin ist oder nicht. Ich werde es schon nicht übertreiben.

Ich weiche Elian nicht von der Seite, immerhin kenne ich hier keinen.
Samuel, der junge Mann an der Bar, wirft mir ständig schmachtende Blicke zu, die in mir ein Unbehagen auslösen.
Wie automatisch überprüft mein Blick immer wieder, ob er mich noch immer anstarrt. Und dann schnellt meiner sofort wieder weg, weil sich das jedes Mal bestätigt.

Der Drink ist wirklich gut, da hat Elian nicht übertrieben. Es ist definitiv mit Alkohol, aber selbst das schmeckt mir gerade.
Ich komme auch mit ein paar Mädchen nett ins Gespräch, die mich viel über Deutschland fragen.

Als Elian mir nach einer Weile einen zweiten Drink überreichen will, greife ich daneben.
„Alles gut bei dir?", fragt er mich sofort besorgt.
Ich fasse mir an den Kopf und kneife meine Augen zusammen. Doch als ich sie wieder öffne, bewegt sich das Bild vor meinen Augen noch immer.
Die Kopfschmerzen haben sich schon vor ein paar Minuten angekündigt, aber der Schwindel ist neu.
Gekonnt schiebe ich das auf die abgestandene Luft hier, aber im Unterbewusstsein bekommt mir mein Zustand gar nicht.
„Hey, Josefine, was ist?", fragt er weiter und wird leicht panisch. Da er auf Deutsch redet, schenkt uns keiner Aufmerksamkeit. Sie verstehen seine Worte ja nicht.
„Mir ist komisch", kämpfe ich gegen die laute Musik an.
„Warte kurz hier", sagt er und verschwindet in der Masse.
Vom Alkohol kann das nicht kommen, dafür habe ich bis jetzt zu wenig getrunken. Woher kommen dann diese Kopfschmerzen, die sich anfühlen, als würde ein Hammer stetig auf meinen Schädel schlagen?

Sicht Phil

„Fine ist nicht mehr da!", schreit Franco von oben. Er wollte kurz gucken, ob bei ihr alles okay ist, weil sie sich nicht meldet.
Ich greife nach meinem Handy. 23:57 Uhr. Sofort rufe ich sie an, doch es geht direkt ihre Mailbox los. Sie hat ihr Handy ausgestellt.
„Wir müssen zu dieser Party, ich habe gar kein gutes Gefühl. Und oben ist sie nirgendwo", sagt Franco außer Atem, während er sich im Flur schon seine Schuhe anzieht. Seine Eltern sind schon lange im Bett, wir haben noch unten gesessen und einfach ein wenig geredet. Als ob keiner etwas davon mitbekommen hat.
Alex greift nach dem Zettel, den Fine uns heute Vormittag schon liegengelassen hat.
Er liest die Adresse vor. „Kennst du die Straße?"
Franco nickt. „Da hat mal ein guter Kumpel gewohnt. Kommt ihr mit?"
Alex eilt ihm hinterher, so wie ich. Paula und Toni bleiben hier.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob diese Reaktion von uns nun vollkommen übertrieben oder berechtigt ist. Aber mein Gefühl gefällt mir auch nicht gerade, da muss ich Franco recht geben.

Wie verrückt hämmert Alex gegen die Tür, ich drücke ununterbrochen die Klingel. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird uns die Tür endlich geöffnet. Das ist dieser komische Elian, nur blasser als bei unserer ersten Begegnung.
„Gut, dass sie da sind. Josefine geht es nicht so...", gibt er in relativ gutem Deutsch von sich, doch Franco lässt nicht lange mit sich reden und brüllt ihn an. Alex und ich verstehen kein Wort von seinem Italienisch, aber es klingt definitiv nicht freundlich.
Elian nickt und geht voran ins Haus, gefolgt von uns. Der Junge schreit etwas in die Menge, worauf  die Musik ausgemacht wird.
Uns blicken etliche Augenpaare verwirrt an.
Doch was mich am meisten stört: sie stehen alle an einem Fleck. In einem Kreis.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)


7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt