114 - Geheimnisse der HNO

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Lachend wälze ich mich auf dem Boden. Werde von Anni und Alex nur schräg angestarrt.
Abrupt breche ich ab, setze mich auf und gucke Alex ins Gesicht. Keine Spur von Ironie.
Ich wische mir einmal über meine Augen, um die Tränen vom Lachen zu beseitigen. „D-du meintest das ernst?", versichere ich mich.
Sichtlich verwirrt nickt er. „Schon, ja. Aber was um alles in der Welt ist daran SO witzig?"
Und ich pruste erneut los, lasse meinen Oberkörper dabei wieder zurück auf den Boden sinken und starre lachend an die Decke. „Dieser Vollidiot kannte mich, lass mich kurz überlegen, zwei ganze Wochen? Was heißt kannte - wir gingen in eine Klasse." Ich seufze, mein Blick muss verträumt wirken. „Wir GINGEN. Jetzt ist er ja weg vom Fenster."
Ich schenke der Decke mein schönstes Strahlen, als wäre ich bis über beide Ohren in sie verknallt.
Alex räuspert sich. „Na ja, dein Aussehen wird ihn so angezogen haben."
Auf meiner Stirn bilden sich leichte Falten. „Mein Aussehen. Jup, und du bist der Weihnachtsmann?"
„Josefine, du hast ein falsches Bild von dir selbst, das ist dir nicht ganz bewusst, oder? Weißt du, wie oft dir Jungs hinterhergucken, wenn wir unterwegs sind?", schaltet sich Anni mit ein, die bis jetzt ihren Mund gehalten hat. Nur eine komische Grimasse hatte sich als Reaktion über ihr Gesicht gelegt.
Die Falten auf meiner Stirn werden tiefer. „Ähm...nein. Und wenn du mich fragst, muss ich das auch nicht unbedingt wissen, aber danke für die Info."
Mit einem Ruck fährt mein Oberkörper in die Senkrechte. Ein bisschen zu schnell, sodass sich kurz ein schwarzer Schleier über mein Sichtfeld legt.
„Komm, jetzt nimm dein Eis mal wieder, das schmilzt mir hier weg." Alex streckt mir mein Wassereis entgegen.
„Danke für den Grund. Aber irgendwie ist das etwas...verstörend. Wobei verstörend auch nicht das richtige Wort ist. Ich meine...ach, was weiß ich." Ich schüttele mich kurz und nehme Alex dann mein Eis ab. „Aber es ist Nils. Wir kannten uns nicht mal."
„Josefine, muss ich dir das nochmal sagen? Alex hat recht, Nils wird das ziemlich oberflächlich gesehen haben. Aber er wollte darüber vielleicht probieren, dich von Tim auch gedanklich zu trennen und dann im Gegeneffekt dich dazu bringen, Gefallen an ihm zu finden." Anni wirkt ziemlich gereizt. Oder genervt. Vielleicht beides zusammen.
Ich rolle nur mit den Augen und fange gerade noch so das geschmolzene Eis auf, welches fast auf den Boden getropft wäre.
„Ist mir im Endeffekt eigentlich auch ziemlich egal. Der hat den Abflug von der Schule schneller gemacht, als er bis drei zählen konnte. Er ist weg, ich muss mir darüber keine Gedanken mehr machen."
Mein Blick streift Alex, bleibt dann jedoch überrascht auf ihm liegen. „Alles okay bei dir? Du siehst ziemlich...nachdenklich aus?"
„Muss man sich Sorgen machen?", fragt er geradeheraus. „Ich meine, angefangen mit dem Typen auf eurer ersten Party, der ja auch ziemlich...komische Absichten mit dir hatte. Dann neulich der Typ, der dich verfolgt hat und jetzt Nils."
„Nein Alex, keinen Grund zur Sorge. Die ersten beiden Fälle wurden von Alkohol gesteuert, letzterer zeigt einfach pure Oberflächlichkeit."
„Eben, das ist es ja", beharrt er.
Ich wende mich von ihm ab. Hier hat man ein perfektes Beispiel dafür, dass Alex und Phil wie Väter sind. Ich kenne sie zu lange.

Verzweifelt krame ich in meiner Schultasche. Hier irgendwo muss doch...aha, hier ist er ja.
Ich ziehe einen zerknüllten Zettel vom Boden aus meiner Tasche heraus und probiere, ihn etwas glattzustreichen. Mh, nicht perfekt, aber man kann lesen, worum es geht. Der Zettel sieht aus, als wäre er ein paar Wochen alt, dabei habe ich ihn erst heute bekommen. Vielleicht war ich noch nie so gut darin, Zettel ordentlich wegzustecken.
Mit dem Zettel, oder besser gesagt mit zwei Zetteln, mache ich mich auf den Weg nach unten.
Paula führt gerade anscheinend ein angeregtes Gespräch mit allen anderen.
„...musste ich kurz auf die HNO. Und da ist es dann passiert, wie ich schon erwähnt habe. Ich wurde sogar erkannt", höre ich sie sagen. Den Anfang habe ich nicht mitbekommen.
„Mh, wir sollten das nicht ansprechen. Einfach schweigen", stellt Papa fest und bekommt von allen Zustimmung.
„Aber ihr wisst ja, sie hat neuerdings einen Hang für..." Alex unterbricht augenblicklich, als er mich sieht.
Sie starren mich alle so perplex an, als wäre es etwas Besonderes, mich hier im Wohnzimmer zu sehen.
„Ich bins nur, Josefine, die oben im zweiten Zimmer links wohnt." Mein Arm winkt ihnen einmal kurz zu, mein Kopf will wissen, worüber sie geredet haben. „Was gibt es denn so spannendes? Ihr seht alle irgendwie aufgeregt aus", hake ich interessiert nach und setze mich neben Papa auf die Couch.
„Nichts", kommt es von allen gleichzeitig. Von allen. Von vier Personen. Wow.
Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. „Gibt es eine Fortbildung in Sachen: 'Wie lüge ich einen Jugendlichen an?'. Wenn ja, ich würde sie euch wärmstens empfehlen."
„Ach nee, ist wirklich nichts. Nur etwas Stress in der Klinik mit einem Kollegen einer anderen Station und dann noch andere Pfleger und Schwestern und..."
Ich unterbreche Paula. „Ein Kurs mit dem Namen: 'Glaubhafte Ausreden - Wie Sie sich ganz simple und glaubhafte Lügen schnell zurechtlegen' wäre im Anschluss zum neu gelernten Stoff ziemlich ratsam."
„Was hast du denn da?", lenkt Papa schnell vom Thema und entzieht mir die Zettel. Na schön, dann eben nicht. Sie werden eh kein Wort darüber verlieren, wenn sie es nicht wollen. Da bringt nichts mehr etwas.
„Oh, eine Klassenfahrt nach Bayern in die Berge." Papa nickt und liest sich den zweiten Zettel durch. „Ihr sucht noch zwei Betreuer für euch? Ihr seid doch schon in der elften Klasse."
„Ja, aber da steht doch auch eine Begründung, oder?" Ich lehne mich näher zu Papa und überfliege den langen Text.
Ja, da steht etwas dazu. Zwei weitere Betreuer sind für die Wanderungen von Vorteil.
„In die Berge? Da wollte ich schon immer mal hin", erwähnt Alex und guckt mich bedeutungsvoll an.
Meine Augen müssen augenblicklich strahlen. „Hast du zufällig Zeit?"
„Ich kann morgen in Erfahrung bringen, ob ich für die Woche Urlaub bekomme."
Ich springe auf und falle ihm um den Hals. „Das wäre natürlich toll, wenn du mitkommen könntest. Oder generell einer von euch."
Papa fängt an zu lachen. „Andere in deinem Alter freuen sich darüber, eine Woche aus dem Haus zu sein und nicht die nervigen alten Leute um sich zu haben."
„Du weißt, dass mein Heimweh irgendwie noch immer nicht besser ist, was Klassenfahrten angeht", bemerke ich in seine Richtung.
Damit hatte ich schon immer zu kämpfen. Es mag komisch klingen, aber ich bin nicht gern allein mit meiner Klasse irgendwo gefühlt am anderen Ende Deutschlands.
Das heißt nicht, dass ich nicht bei Freunden übernachten kann. Ich könnte mit Anni auch problemlos allein in den Urlaub fahren, es geht einfach nur um Klassenfahrten, mit denen ich ein mehr oder minder großes Problem habe. Grob gesagt: Ich fühle mich dann nicht immer ganz wohl.
„Das kann in einem knappen Jahr aber auch wieder ganz anders aussehen", wendet Phil ein.
Ich winke ab. „Und wenn, dann ist das so. Alex ist ja nicht peinlich. Ihr alle seid nicht peinlich."

Am nächsten Tag übermittelt Alex mir die Nachricht, dass er Urlaub nehmen kann, während ich noch in der Schule bin. Kurzerhand rede ich schon mit Frau Gerlach, die sich sehr darüber freut und morgen dann den Zettel mit der Bestätigung entgegennimmt.
Alex' Bemerkung am Ende seiner Nachricht habe ich schlichtweg überlesen. Oder zumindest probiert, sie zu ignorieren:

>Immerhin bin ich dann sofort zur Stelle, wenn dein Spiegel zuschlägt. ;)<

Na ja, die Fahrt ist ja erst im nächsten Sommer. Und da ist das erste Jahr schon lange herum. Also nach Alex' Theorie müsste dann auch die Häufigkeit meines Pechs abgenommen haben.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt