47 - Rollentausch

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„Fine, Amelie, kommt ihr essen?", ruft Phil durch den halben Garten.
Amelie springt sofort auf, die Hunde rennen ihr hinterher. Ich gehe gesittet auf den Tisch zu und setze mich zwischen Toni und Alex auf den letzten freien Platz.
„Möchtest du Bratwurst oder Steak?", fragt mich Oli, der heute anscheinend der 'Grillmeister' ist. Vielleicht als Wiedergutmachung für letztes Jahr.
„Bratwurst." Er nimmt einen Teller, macht das Gewünschte rauf und lässt ihn zu mir durchreichen.
Noch etwas Ketchup und der selbstgemachte Kartoffelsalat von Paula, dann kann ich essen. Oder auch nicht, denn mit verbundenen Händen funktioniert das ziemlich.... schlecht. Wie soll ich die Wurst denn bitte schneiden?
Alex bemerkt meine missliche Lage wohl. Mit einem Lachen fragt er mich: „Braucht die kleine Josefine Hilfe beim Schneiden?"
Ich rolle mit den Augen, schiebe ihm jedoch meinen Teller entgegen. Grinsend schneidet er mir mundgerechte Häppchen.
„Danke, sehr reizend, deine Hilfsbereitschaft."
„Für dich immer wieder gern."
Dafür, dass er sich so lustig über mich macht, klaue ich ihm ein Stück Steak von seinem Teller.
„Hey!", sagt er empört. Diesmal bin ich die Grinsende.

Ein Gespräch über die neuesten idiotischen Einsätze, sowohl von Rettungsdienst als auch der Polizei, entsteht. Irgendwann kommt Alex wieder auf mein Lieblingsthema.
„Apropos Stammgäste. Ich muss ja sagen, dass ich heute eigentlich damit gerechnet habe, dass Fine das jährliche Ding zum Grillfest passiert. Aber bis jetzt schlägt sie sich wirklich gut."
Ich trete Alex fest gegen das Schienbein, doch ihn juckt das herzlich wenig. Oh Mann, der Typ ist echt aus Stahl.
Und Alex bekommt von allen auch noch Zustimmung. Super, vielen Dank auch. Ich werde ihnen schon zeigen, dass ich auch einen Tag ohne Aufsehen auf meine Person schaffen kann.

Mitten beim Essen springt Amelie plötzlich auf. „Ih! Da ist eine Biene!" Sie zeigt auf das kleine Insekt, welches wirklich brummend über dem Tisch schwebt. Diese Viecher sind jetzt schon da?
„Mäuschen, bleib einfach ruhig, dann passiert dir nichts", sagt Stephan zu seiner Tochter und zieht sie auf seinen Schoß.
„Hat denn hier jemand eine Allergie?", fragt Paula in die Runde, doch alle verneinen.
„Na dann, kein Stress", sagt Papa gelassen.

Die Teller sind leer, die Bäuche voll.
„Fine und Toni, können wir was spielen?" Amelie hat sich durch alle Leute durchgequetscht, um zu uns zu kommen.
„Was denn?", frage ich und werfe gleichzeitig einen Blick auf Toni, der anscheinend nichts dagegen hat.
Sie zuckt mit den Schultern. „Mit einem Ball. Oder mit den Hunden. Die sehen auch schon so gelangweilt aus. Oder mit beidem!" Ihre Augen strahlen und ihre Aussage hat alle zum Lachen gebracht. Ich glaube, die Vierbeiner sind froh, mal etwas Ruhe zu haben.
„Ihr könnt mit den beiden mal eine Runde gehen, sie müssen schließlich auch mal", mischt sich Oli mit ein.

Olis Idee kommen wir dann auch nach. Toni und ich nehmen jeweils einen Hund an der Leine, Amelie hüpft glücklich neben uns her.
„Und, wie findest du die erste Klasse? Bald geht es ja schon in die zweite", beginne ich ein Gespräch.
„Schule macht wirklich Spaß! Endlich lerne ich jeden Tag etwas. Und ich kann auch schon richtig gut lesen. Zumindest sagen das die Lehrer und Mama und Papa."
Toni und ich werfen uns einen Blick zu, der alles sagt. Schule macht Spaß, wann habe ich zuletzt diesen Gedanken gehabt? Ich kann mich nicht erinnern.
„Und in welchen Klassen seid ihr?", fragt sie interessiert nach.
Diesmal wendet sich Toni an die Kleine. „Ich bin in der 13. Klasse. Nach den Ferien bin ich raus aus der Schule. Und Fine ist in der 10. Klasse, sie hat auch schon ihren ersten Abschluss geschrieben."
Amelie macht große Augen. Und ich auch. Aber leider nicht aus dem gleichen Grund.
„Toni, da ist eine....", fange ich an, doch stocke. Denn auch Toni hat die Biene an seinem Oberarm bemerkt. Nur leider erst durch den Schmerz, den sie mit ihrem Stich verursacht hat.
„Scheiße tut das weh", flucht er.
„Okay, das tut weh. Aber dürfte doch nur halb so schlimm sein, oder?", hinterfrage ich etwas ängstlich.
„Habe keine Allergie. Aber der Stachel steckt noch."
„Ha, ich wusste doch, dass die Dinger doof sind!", ruft Amelie triumphierend. „Du warst ruhig und die Biene hat dich trotzdem gestochen."
Ja, das hat sie. „Wir sollten vielleicht mal zurück, damit der Stachel entfernt werden kann", gebe ich zu bedenken.
Amelie nörgelt zwar, aber mit den passenden Erklärungen sieht auch sie es ein.

Ohne zu trödeln machen wir uns auf den Weg und betreten auch schnell wieder unseren Garten. Tonis Arm ist inzwischen im Bereich der Einstichstelle rot und dick geworden.
„Phil? Komm mal kurz!" Phils Blick schnellt verwirrt zu mir, doch er kommt.
„Ist was passiert?"
Amelie habe ich mit den Hunden schon richtig in den Garten geschickt, während Toni und ich noch auf der Terrasse stehen.
„Toni wurde von einer Biene gestochen und der Stachel steckt noch."
„Oh, zeig mal her." Phil inspiziert die Einstichstelle. „Mhm, komm mal mit. Ich entferne dir den Stachel. Danach kühlen wir das. Das tut bestimmt weh, oder?"
Toni nickt, doch sagt kein Wort.
Ich folge ihnen ins Büro, wo Phil eine Pinzette nimmt, mit der er den Stachel entfernt. Ich habe schon einen schnellen Abstecher in die Küche gemacht und ein Kühlakku geholt, welches er sofort auf den Stich hält.
„Phil, ist es normal, dass mir langsam übel wird?", fragt Toni verunsichert.
„Also eigentlich nicht." Phil mustert ihn skeptisch, legt seine Hand dann an Tonis Handgelenk und misst seinen Radialispuls. „Du bist auch etwas tachykard", stellt er eher beunruhigt fest. Bei ihm scheinen nun alle Alarmglocken zu klingeln, und auch ich werde unruhiger.
„Und irgendwie..... meine Brust", stammelt Toni wie aus dem Nichts.
„Scheiße", flüstert Phil und dreht sich dann zu mir. „Hol sofort jemanden, am besten Franco, und sage, dass wir eine allergische Reaktion haben. Wir müssen sofort in die Klinik."
Kaum hat er ausgesprochen, rase ich die Treppe runter und in den Garten. Natürlich muss ich bei meiner Tollpatschigkeit direkt einen Stuhl mitreißen, der auf der Terrasse steht. Dank ihm habe ich direkt die Aufmerksamkeit aller Leute. Praktisch.
„Ouh, was hast du jetzt angestellt?" Alex grinst mich an, doch ich gehe nicht drauf ein.
„Toni....Phil....allergische Reaktion, in die Klinik....Papa", stottere ich außer Atem. Alex vergeht das Grinsen augenblicklich, so wie sich über alle Gesichter sofort ein Schatten legt.
Es ist gespenstisch still, bis Papa sein Glas fallen lässt und auf mich zurennt. Oder eher hinterher, denn kaum hat er sich in Bewegung gesetzt, bin ich schon los Richtung Flur, aus dem panische Geräusche kommen.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt