62 - Ich mag dich - sehr

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„Äh...", bringe ich hervor. Ich könnte auf der einen Seite so viel sagen, auf der anderen verlässt nichts meinen Mund.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht so überrumpeln. Wirklich, alles gut. Ich glaube, ich sollte jetzt gehen. Wir sehen uns?" Er steht auf, hält dann jedoch inne. „Wie komme ich hier weg, wenn die Jalousien unten sind? Das Licht ist aus, es wird gerade keiner mehr im Wohnzimmer sein", stellt er nervös fest und guckt sich um.
„Warte doch mal", bringe ich endlich hervor und ziehe ihn an seiner Hand wieder zurück. „Ich denke, dass ich dich auch mag? Sehr mag?" Meine Stimme ist unnatürlich hoch und ich halte den Atem an. Dass ich dich auch mag. Hilfe klingt das nach Kindergarten. Ich bekomme es aber auch immer hin, die besten Worte zu finden.
Etwas ungläubig guckt er mich an.
„Was? Probier's aus", sage ich schulterzuckend und könnte mir im nächsten Moment dafür in den Arsch treten. Die gerade verschwundene Röte kommt ohne zu warten wieder.
„Du bist süß, weißt du das?" Er schmunzelt, und dann passiert das, was ich wohl mit meinem ausprobieren gemeint habe. Obwohl, ich weiß selbst nicht mal wirklich, was hinter dieser Aussage steckte. Meine Gedanken rasen nur so umher, mein ganzer Körper kribbelt.
Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und kommt mir näher. Ich spüre schon seinen Atem auf meinem Gesicht, doch als nur noch wenige Zentimeter zwischen unseren Lippen sind, stoppt er. Er möchte mir die Möglichkeit geben, einen Rückzieher zu machen. Aber nein, das will ich nicht.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und überbrücke die trennenden Zentimeter. Und es ist ein unglaubliches Gefühl, welches so viel in mir auslöst, von dem ich gar nicht wusste, dass man das empfinden kann.

Es dauert lang, bis wir uns lösen. Und das bei unserem ersten Kuss. Es wird nicht sein richtiger erster gewesen sein, meiner war es aber. Und ich wusste nicht, dass sich das so gut anfühlt.
Kurz sitzen wir da und grinsen uns einfach nur wortlos an. Okay, sie hatten alle recht. Ich wollte es einfach nur nicht einsehen.
„Ich weiß, wie wir reinkommen." Ich stehe auf und krame den Ersatzschlüssel aus der hintersten Ecke des Gartens. Und mit kramen meine ich auch kramen. Dann halte ich ihn Tim triumphierend hin und nehme seine Hand. Er sieht noch immer nicht wirklich überzeugt aus. Logisch, wir haben keine direkt ersichtliche Verbindung zwischen Vorgarten und Garten, aber man kann schon über einen sehr schmalen Weg neben dem Haus nach vorn kommen. Dafür muss man zwar dann auch durch ein halbes Gebüsch, aber dann steht man im Vorgarten.
Vor der Tür kommt auch Tim mal wieder zu Wort. „So gern ich noch Zeit mit dir verbringen würde, sollte ich langsam wieder nach Hause. Es ist", er wirft einen Blick auf seine Uhr, „um 11."
„Kannst du nicht hierbleiben? Bitte. Dann bekomme ich bestimmt keinen Albtraum."
„Ich habe doch keine Sachen bei", stellt er fest und klingt dabei selbst etwas traurig.
„Kannst ja auch nur in Boxershorts schlafen."
Er schmunzelt. „Du hast es aber eilig. Was würde denn dein Vater sagen? Oder die anderen?"
Ich mache eine wegwerfende Handbewegung. „Ich denke nicht, dass die da was gegen haben werden. Ich schätze sie nicht so ein. Bitte."
Er seufzt. „Überredet."
Grinsend schließe ich die Tür auf. Es ist wirklich komplett still im Haus. Leise machen wir uns für die Nacht fertig und legen uns dann in mein Bett.
Es fühlt sich so unrealistisch an.

Bevor ich meine Augen am Morgen überhaupt öffne, spüre ich die Arme, die mich fest umklammert haben. Als würde ich abhauen können.
Nach einem kleinen Kampf habe ich es endlich geschafft, mich umzudrehen, sodass ich ihn angucken kann. Ist das gestern im Garten wirklich passiert?
„Ich weiß, dass du mich anguckst. Bei deinem Gestrampel kann man ja nur aufwachen", murmelt er und öffnet seine Augen einen kleinen Spalt. „Hast du schlecht geträumt?"
Ich schüttele den Kopf. „Lag bestimmt an dir."
„Das freut mich. Obwohl ich mir nicht so sicher bin. Um ehrlich zu sein warst du ziemlich unruhig, hast oft wirres Zeug gemurmelt und ab und an um dich getreten."
„Oh Gott, das tut mir leid. Jetzt konntest du wegen mir nicht richtig schlafen? Peinlich." Ich kneife meine Augen zusammen. Die Sonne ist hinter den Wolken vorgekommen und scheint mir direkt ins Gesicht.
„Ist doch nicht peinlich." Er drückt mir einen kurzen Kuss auf die Stirn und setzt sich dann hin. „Ich bin schon länger wach. Du hast ganz schön lang geschlafen", sagt er und fährt sich danach durchs Gesicht. Dann steht er auf und zieht sich an.
„Wie spät ist es?", frage ich etwas verwirrt.
„Halb elf. Phil war, kurz bevor du wach wurdest, schon mal gucken. Irgendwie sah er gar nicht so überrascht aus, als er mich gesehen hat. Jedenfalls meinte er, dass es gleich Frühstück gibt. Und gleich ist jetzt."

Unten bestätigt sich dann meine Vermutung von gestern Nacht - sie lassen meinen Gast unkommentiert. Sie verhalten sich so, als wäre er gerade erst gekommen. Nur mit dem Unterschied, dass auch schon für ihn gedeckt wurde. Und sie alle ein Lächeln auf den Lippen haben.
„Ich weiß, ihr wolltet gestern beim Zähneputzen leise sein. Aber ihr wart nicht leise genug. Als ich einmal kurz runter in die Küche gegangen bin, habe ich dich die ganze Zeit kichern gehört", sagt Alex und grinst mich kurz an, während wir alle dabei sind, uns ein Brötchen zu schmieren. Außer ich. Ich bin aufgestanden und habe mir ein Vollkornbrot geholt. Zwar unter skeptischen Blicken, aber die ignoriere ich. Damit habe ich eh schon gerechnet, esse ich doch sonst immer Brötchen.
„Ich war auch noch wach und habe gegen zwölf nach dir geguckt, weil ich Angst hatte, dass du wieder im Garten einschläfst. Da habe ich euch auch schon gesehen", berichtet auch Phil grinsend.
„Nur dein eigener Vater hat von nichts mitbekommen", nuschelt Papa.
„Bist du jetzt sauer? Also weil er hier geschlafen hat?", frage ich vorsichtig.
Papa zieht eine Augenbraue hoch. „Wieso sollte ich? Ihr könnt in der Nacht nichts machen, was ihr sonst nicht machen könntet. Von daher mache ich da doch kein Drama." Er lächelt mich glücklich an und ich bin erleichtert.

Danach wandert das größte Thema zu Toni und seiner Jamira. Sie sind zusammen, wie er unter großem Gedruckse zugibt.
„Ach, Fine, wir haben übrigens etwas in die Wege geleitet und gestern die Bestätigung der Wache bekommen", fängt Paula irgendwann ein neues Thema an.
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf sie.
„Wir haben gemerkt, wie dir der Fall neulich bei dir in der Schule zugesetzt hat. Und wir können dir da nur zustimmen, dass es schrecklich ist, wenn man keine Ahnung von erster Hilfe hat. Deswegen haben wir mit der Wache und eurer Schule abgesprochen, dass wir in allen Jahrgängen aus gegebenem Anlass Erste-Hilfe-Kurse durchführen werden. Bis zu den Sommerferien sind alle bestens informiert", verkündet sie.
Meine Kinnlade klappt mir runter. „Das habt ihr für mich gemacht?", frage ich unnötigerweise.
Papa, Phil, Alex und Paula nicken.
„Oh danke, das schätze ich wirklich sehr." Ich stehe auf und drücke alle einmal ganz fest.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt