99 - Von lösender Tapete und falschen Vorwürfen

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Die Erwachsenen tauschen Blicke. Stille Blicke, die ich nicht verstehen kann. Aber sie gefallen mir ganz und gar nicht.
Ich räuspere mich. Das Frühstück verlief bis jetzt schweigend. „Ich treffe mich heute noch mit Elian, bevor wir dann am Donnerstag nach Hause fliegen."
Papas Brötchen, welches er gerade zu seinem Mund angehoben hat, sinkt sofort wieder auf den Teller. „Ich habe mich gerade verhört, oder?"
Langsam schüttele ich den Kopf. „Nein, ich habe mich für heute um 13 Uhr mit ihm verabredet", bleibe ich eisern bei diesem Treffen.
„Da musst du nicht lange diskutieren. Ich verbiete dir das. Damit hätten wir das geklärt", bleibt Papa auch leider eisern bei seiner Meinung.
„Kannst du mir das begründen? Er hatte nichts mit dem Vorfall auf der Party zu tun. Im Gegenteil, er hat sich Sorgen gemacht." Ich frage mich, woher meine Ruhe kommt. Vielleicht will sich mein Körper die Energie noch für Papas Predigt aufsparen.
„Die Aktion mit dem Gras, hast du die etwa schon vergessen?" Jetzt beißt er doch wieder von seinem Brötchen ab. Er sieht sich bereits jetzt als Gewinner dieser kleinen Meinungsverschiedenheit. Ich habe da eine andere Sicht.
„Nein, habe ich nicht. Aber er wollte mir das ja in keinster Weise andrehen oder vor mir konsumieren. Von daher."
„Nein heißt nein, ich werde meine Meinung nicht ändern, da kannst du noch so viel argumentieren. Tut mir leid." 
Nun funkele ich ihn doch wütend an. „Tut dir leid, ist klar", zische ich sauer und stehe auf. „Guten Appetit", wünsche ich ihnen noch, dann bin ich auch schon schneller oben, als die anderen reagieren können.
Von Papa geht einfach so eine negative Stimmung aus, auch wenn er nichts sagt. Das ist unerträglich.

Elian bekommt eine Nachricht von mir, dass er einfach zu uns kommen soll. Ich würde ihn an der Tür abfangen und mit ihm in meinem Zimmer verschwinden - Problem gelöst.

Das setzen wir dann auch in die Tat um. Wobei Papa ziemlich entsetzt geguckt hat. Wie konnte sich seine liebe Tochter auch nicht an sein Verbot halten?
„Wenn er weg ist, reden wir. Ohne Widerrede", war sein einziger Kommentar.
'Alles klar, Chef' habe ich in Gedanken geantwortet. Jedes ausgesprochene Wort würde seinen Ärger nur verstärken, also habe ich lieber meine Klappe gehalten.

Leider ist die Zeit mit Elian nur so verflogen.
Nur, weil er ab und an mal kifft, ist er dadurch kein schlechter Mensch. Er ist nicht mal sauer auf mich, dass Papa das Gras entsorgt hat und ich ihm das somit nicht wiedergeben konnte. Sie haben alle wirklich so ein falsches Bild von ihm, unglaublich.
Ich kann mir sogar vorstellen, mit ihm in Kontakt zu bleiben und mich im nächsten Urlaub wieder mit ihm zu treffen.

„Schieß los. Lass alles raus, was dir auf der Seele brennt. Ich bin ganz Ohr." Ich habe eine regelrechte Abwehrhaltung eingenommen. Eine Art Mauer erbaut, die Papas Vorwürfe und große Rede nun einfach abprallen lassen soll. Obwohl ich noch nie der Typ Mensch war, der sich durch falsche Gefühle schützen konnte. Also ist es eher eine Tapete, die ich auf meine verletzte Fassade geklebt habe - mit dem Wissen, dass diese nicht viel bringen wird. Jeder hier weiß, dass ich Streit mit ihnen hasse. Vor allem mit Papa - ich finde es schrecklich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wie ich nun angeguckt werde.
„Was ist mit dir los?" Papa stützt sich auf dem Tisch ab.
Es ist wie ein Familienrat am Esstisch. Oma und Opa sind nicht mit bei, sie würden eh nichts verstehen.
„Was mit mir los ist? Eigentlich nichts. Aber bei dir wird gerade viel los sein. Also leg ruhig los, ich halte das schon aus."
Nicht mal ich erkenne mich wieder. So bin ich nicht, so war ich nie. Und so will ich eigentlich auch nicht sein, aber was soll ich machen? Sofort in Tränen hier sitzen?

Sie lassen Papa den Vortritt. „Warum verhältst du dich hier plötzlich so? Ich habe dich immer so eingeschätzt, dass du mit Drogen nicht in Kontakt kommen möchtest."
Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. „Wann habe ich auch bitte etwas anderes behauptet?"
„Nein, so war das nicht gemeint", wehrt er ab. „Aber dir hat es nichts ausgemacht, dass Elian anscheinend kifft."
„Und? Ich verstehe DEIN Problem jetzt nicht ganz. Habe ich mich zu irgendeinem Konsum verleiten lassen? Nein!"
„Mein Problem ist, dass du mir gegenüber keinen Respekt mehr zeigst."
Ich muss fast lachen, so witzig finde ich diese Aussage. „Wie bitte?"
„Du widersetzt dich dem, was ich dir sage. Ich habe dir die Party verboten, was hast du gemacht? Ich habe dir das Treffen mit Elian verboten, wer saß bis eben noch in deinem Zimmer?"
Man könnte es fast nervös nennen, wie er sein Glas Wasser von links nach rechts schiebt, immer wieder die kleine Strecke zwischen seinen Händen überbrückt.
„Hast du vielleicht auch mal daran gedacht, wie ich mich fühle? Dass ich mir Vorwürfe mache, weil ich die Party hätte verhindern können, wenn ich etwas aufmerksamer gewesen wäre? Wer weiß, was mit dir passiert wäre, wenn wir das nicht doch relativ früh bemerkt hätten. Ich habe das Sorgerecht für dich. Ich bin dein Vater, Josefine, falls du das vergessen hast! Mit meiner Lebenserfahrung, die nebenbei bemerkt durch den Rettungsdienst in so ziemlich allen Gebieten geprägt ist, kann ich so manche Situationen sehr gut einschätzen!" Seine Stimme erhebt sich allmählich. Sie lässt meine Tapete langsam ablösen - wie vorhergesagt, sie bringt rein gar nichts, zeigte nur zu Beginn eine Art der Abwehr.
Ein Satz tat besonders weh. Falls ich vergessen hätte, dass er mein Vater sei.
Ich merke, wie sich die ersten Tränen startklar machen. „Wer hat mir denn nicht geglaubt, als ich die Wahrheit gesagt habe? Wer hatte denn hier so wenig Vertrauen in mich?", frage ich mit zitternder Stimme. „Außerdem kann ich für den Ausgang der Party rein gar nichts", füge ich leise hinzu und senke meinen Kopf.
Angespannt pule ich an meinen Fingern herum. Meine Hände zittern.
Eine Träne tropft auf meine Hand. Eine zweite folgt, dann eine dritte. Ich kann sie nicht mehr aufhalten. 
Es verletzt mich einfach, dass er mir nicht geglaubt hat und mir daraus nun Vorwürfe strickt.
Papa holt hörbar Luft, um zu einem neuen Satz anzusetzen, doch ich komme ihm zuvor: „Klar, ich hätte nicht zu der Party gehen dürfen. Aber es hat mich einfach verletzt, dass du mir nicht geglaubt hast. Durch die Wut auf dich habe ich eben nicht durchdacht gehandelt, aber versteh mich doch mal!"
Meine Unterlippe zittert, ich gucke Papa direkt in die Augen.
Er sagt nichts mehr. Vielleicht sieht er seine Fehler ja doch ein.

Schon beinahe verlegen räuspert sich Phil. „Ich würde dazu jetzt auch gern was sagen. Meiner Meinung nach habt ihr beide Fehler begangen, die ihr euch eingestehen müsst. Womit Fine ja schon angefangen hat. Ihr seid beide aber solche Sturköpfe, dass euch das schwerfällt. Womöglich findet ihr die Fehler nicht mal selbst. Ich für meine Person verstehe dich, Fine. Aber ich verstehe auch Franco komplett. Ihr müsst das zwischen euch beiden klären, wir können da leider nicht helfen."
Alex und Paula nicken zustimmend.
„Na dann. Ich warte darauf, Papa." Und mit diesem letzten Satz stehe ich auf, wische mir meine Tränen weg und verlasse das Esszimmer.
Meine Worte sind gesagt. Den Rest muss Papa erledigen, dafür habe ich mir gerade zu viel von ihm angehört.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch :)

7 Jahre Pech (Asds) |1/2|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt