4. Kapitel: Mary Clarke

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„Mary? Mary, hörst du mir zu? Mary?"

Ich schreckte hoch, kaum hörte ich meinen Namen. Wie aus Reflex presste ich mir die Hand gegen die Brust, als ich merkte, wie mein Herz zu rasen begann.

„Was?", brachte ich heraus, hob den Blick.

Meine Mathelehrerin, Mrs. Brown, stand vor mir. Ich musste schlucken, sah erst dann, dass mich alle ansahen. Fast schon, als wäre ich grad vom Mond gefallen ...

Na ja ... das war nichts Neues.

Alles sahen mich so an, seitdem ich hier war. War wohl so, wenn man neu auf eine Schule kam. Ich mochte diese neue Schule ohnehin nicht ...

Was vor allem an meinen Mitschülern lag.

Was die mir für Fragen stellten ...

„Stimmt es, dass du zwei Väter hattest?"

Ich „hatte" sie nicht. Sondern hab sie immer noch. Nur gibt es da so eine gestörte Frau, die Schuld daran ist, dass ich nicht mehr bei ihnen bin.

„Wie ist das so mit zwei Vätern aufzuwachsen?"

Keine Ahnung, wie ist es, mit Vater und Mutter aufzuwachsen?

„Warst du auch vor Gericht? Wie ist das so?"

Nein, mich hat niemand gefragt. Bis auf diese Therapeutin.

Wenn mich nochmal jemand sowas Blödes fragt, dann ...

„Mary, ich habe dich was gefragt.", hörte ich die Stimme von Mrs. Brown.

Ich hob den Blick.

„Bitte?" Ich schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Was war die Frage?"

Sie hob eine Braue, ging einen Schritt näher auf mich zu. Ich hörte, wie jemand hinter mir kicherte.

Mann, da wünschte ich mir die Zeit zurück, als ich Paul Sanderson die Nase gebrochen hatte. Ich meine ... der laberte zwar viel Mist, aber das war mir lieber. Vor allem ... war nach der Sache Ruhe.

Wie es dem ging? Oder besser gesagt seiner Nase?

„Mary, kannst du mir sagen, was 47-19+23 ist?"

Ich biss mir auf die Lippe, sah an die Tafel. Leicht fuhr mir mit der Hand über die Schläfe. Mein Herz raste immer noch. Keine Ahnung was los war, aber das hatte ich seit ein paar Monaten. Um genau zu sein, seitdem ich bei ihr war.

Unkontrolliert plötzliches Herzrasen.

Auch mein Kopf hämmerte wie verrückt. Fest krallte ich meine Finger in mein Shirt, wandte den Blick wieder an Mrs. Brown und die Tafel. Sie wies auf die Aufgabe, die dort geschrieben stand.

Eine Weile starrte ich darauf, dann auf die Zahlen in meinem Heft. Ich konnte gerade nicht denken. Keine Ahnung, was sie von mir wollte.

Wieder blickte ich an die Tafel, rieb mir die Schläfe.

„Also ... ich ... weiß nicht ...", murmelte ich, sah auf das Heft vor mir.

„Wie bitte?"

„Ich ... weiß nicht.", wiederholte ich leise.

Leicht stützte ich mein Gesicht auf die Hand. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, wenn ich ehrlich war.

„Mary?"

Mrs. Brown sah mich an.

Gott, ich hasste es, wenn sie mich so ansah.

„Mary, denk doch mal etwas nach. Du weißt das bestimmt."

MaryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt