22. Kapitel: Ryan Martinez

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Ich war daran gewöhnt, dass Jamie zu spät kam. Es war so typisch für ihn, dass es mir irritierte, wenn er pünktlich war. So wie heute. Nur dass ich wusste wieso.

Und ich konnte es ihm nicht mal übel nehmen. Mir war auch klar, dass er unter Druck stand. Auf der anderen Seite ... war es sein Job.

Und wir verließen uns auf ihn.

Während er eindeutig keinen Plan hatte.

Oder er hatte auf nichts, was neu war. Etwas, dass nicht alle schon kannten.

Und das war der Grund, wieso er so gestresst wirkte. Denn ich sah ihm auf jeden Fall an. Ob der Rest es auch tat, konnte ich nicht sagen.

Denn der Mann war ein Meister im Pokerface.

Nur kannte ich ihn schon echt lange. Und mit der Zeit lerne man, die Anzeichen zu deuten.

Ich sah zu ihm. Leicht kratzte er sich an der Wange, blickte sich um. Das Ganze wirkte nicht weiter tragisch. Aber ich erkannte den Ausdruck in seinen Augen.

Er sah immer wieder auf die Notizen vor sich.

Er las sein Plädoyer.

So etwas hatte ich noch nie gesehen. Jamie machte sich Notizen, so war es nicht. Nur ... nutzte er sie selten. Denn er sagte dort meist das, was ihm aktuell in den Sinn kam. Und damit fuhr er schon seit Jahren am besten.

Ich atmete auf, ließ meinen Blick durch den Saal gleiten. Ich hoffte mal, dass Chris noch nicht gemerkt hatte, wie Jamie drauf war. Er und Bill waren so schon nervlich echt am Ende. Da war es besser, wenn sie in dem Glauben blieben, dass er alles im Griff hatte.

Mein Blick hielt bei der Gegenseite inne.

Oder eher bei Enisa. Sie sah schon seit Minuten zu uns. Um genau zu sein, starrte sie Chris an, seitdem sie hier war. Fast so, als warte sie auf eine Reaktion, die aber nicht kam.

Weil er sie absolut konsequent ignorierte.

Er hatte nicht einmal darauf geachtet, als sie den Saal betrat. Anders, als das letzte Mal. Er sah zwar auch nicht entspannt aus. Nur war er bei Weitem nicht mehr so panisch.

Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie das nervte. Sonst würde sie ihn nicht die ganze Zeit so anstarren. Sie wollte eine Reaktion.

Die sie aber nicht bekam.

Und wenn sie ihn noch so lange anstarrte, ohne zu blinzeln. Keine Ahnung, was sie dachte, dass sie dadurch erreichte.

Denn es war nur verdammt unangenehm!

Was mich aber an ihr irritierte, waren nicht nur die Blicke. Vor allem war es ihr Outfit, das sie heute trug. Nicht ... dass es nicht passte.

Oder dass es nicht angemessen für Gericht sei.

Das war es nicht.

Es passte perfekt, wenn man genau war. Nur ... trug sie etwas, dass nach dem aussah, was Chris das letzte Mal getragen hatte. Sie trug sogar die gleiche Krawatte wie er an.

Und ich glaubte nicht, dass es ein Zufall war.

Dafür war sie zu bedacht darauf, wie sie rumlief. Das war doch Absicht. Nur machte es keinen Sinn!

Was wollte sie denn damit erreichen?

Gut, das fragte ich mich heute echt oft. Aber das war nur ... total gruselig!

Vermutlich wollte sie ihm nur noch mehr zusetzen. War ja nicht so, dass ihre Anwesenheit ihn schon stresste. Diese Frau machte mich so sauer. Mit allem, was sie tat! Und am meisten war es die Art, wie sie ihn ansah.

MaryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt