23|kein Normalerweise

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Logan

„Wie viele Leichen hast du in deinem Keller?", frage ich und sie schnaubt. „Keine. Also... zumindest nicht ich.", murmelt sie hinterher und meine Augen weiten sich. „Wir reden hier aber immer noch von der Redewendung, oder?", hake ich zögerlich nach und sie schaut mich ernst an.
„Natürlich, du Trottel! Niemand hier hat jemanden umgebracht.", beruhigt sie mich und ich nicke erleichtert.
Meghan holt tief Luft bevor sie mich wieder ansieht.
„Nun, mein Vater war im Knast." Überrascht ziehe ich die Brauen hoch. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte jetzt erzählt sie mir von irgendwelchen Hassnachrichten und Kleinkriegen auf der Schule. Aber ich schätze das ist auch möglich. Ein krimineller Vater.
Als ich nichts dazu sage spricht sie zögerlich weiter. „Als ich fünfzehn war wurde mein Vater verhaftet. Wegen Geldwäscherei im Wert von über einer halben Million Dollar. Ich glaube zwar er hat mehrere Million durchgeschmuggelt, aber nachweisbar waren nur achthundert Riesen.", sagt sie und ich frage mich wie weit ich meine Augen aufreißen kann bis sie rausfallen. Achthundert Riesen? Ach du heilige Scheiße!
„Er hat fünfzehn Jahre bekommen gehabt, aber meine Mutter und die zahlreichen Anwälte, die sie sich zur Seite gezogen haben, haben seine Freiheitsstrafe auf neun Jahre verhandelt. Aber... er war gestern hier, Logan. Er stand vor mir. Es sind noch nicht einmal fünf Jahre seit er verhaftet wurde und trotzdem ist er schon hier.", murmelt sie leise und legt die Arme um sich selbst,„Er ist alt geworden. In knapp fünf Jahren altert doch kein Mensch so viel wie er es getan hat. Er hat graue Haare an den Seiten und Falten. Und diesen typischen, müden Blick, den jemals trägt, der bereits zu viel im Leben gesehen hat." Ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich hatte noch nie intensiven Kontakt mit der Polizei oder Sträflingen. Oder den Töchtern von Exsträflingen.
Ich bin sprachlos und mir fällt nichts ein, was ich sagen kann. Also strecke ich nur die Hand aus und drücke ihr lahm auf das Knie. Wie einfallsreich ich doch bin! Die absolut beste, mentale Unterstützung.
„Es hat keine ganze Stunde nach seiner Verhaftung gebraucht bis alle Wind davon bekommen haben. Das Telefon hat ununterbrochen geklingelt, Leute wollten zu uns hochfahren, Paparazzis sammelten sich vor dem Gebäude und auf allen sozialen Netzwerken wurde darüber getwittert und berichtet.", spricht sie weiter und verzieht ihr Gesicht,„Meiner Mutter wurden ihre Rollen entzogen, denn jeder in New York hat über uns getratscht und wir waren das Gesprächsthema Nummer eins. Natürlich wollten alle Produzenten die Aufmerksamkeit von Drogen und Geldwäscherei nicht auf ihre Filme lenken und das Unternehmen meines Vaters wurde natürlich geschlossen. Das wiederum hieß hunderte von Arbeitslosen auf einem Haufen. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie viele Drohbriefe wir von ehemaligen Arbeitern meines Dads bekommen haben oder wie oft wir auf offener Straße angegriffen wurden. Es wurde so schlimm, dass wir gar nicht mehr alleine das Haus verlassen konnten. Jeder hat uns die Schuld gegeben, dass sie ihre Familien nicht ernähren konnten."

Sie holt tief Luft und ich höre schweigsam zu. Das ist schrecklich. Und Meghan ist so in sich zurückgekehrt, dass es mir das Herz bricht sie so zu sehen. Sie sieht so einsam aus.
„Ich...", ihre Stimme bricht ab und sie schluckt bevor sie weiterspricht. „Es war hart. Nicht nur zuhause und auf der Straße sondern auch auf der Schule. Vorher wollte jeder beim Mittagessen an meinem Tisch sitzen. Jeder Kerl wollte mit mir ausgehen, die Mädchen wollten meine Freundinnen sein und mit mir abhängen und dann... war ich nichts mehr. Schlimmer, ich war eine riesige Angriffsscheibe. Meine angeblichen Freunde haben sich von mir abgewendet, alle haben über mich geredet, darüber, dass ich es gar nicht verdiene in diesem Luxus zu leben, auf diese verdammte Privatschule zu gehen, weil all das Geld unverdient war. Illegal. Ich habe im Luxus gelebt, weil mein Vater Geld aus dem Drogenhandel wieder auf den Markt gebracht hat. Für meine Designerkleidung haben Leute andere in die Sucht getrieben."
„Aber du wusstest es doch gar nicht! Außerdem ist doch deine Mutter eine bekannte Schauspielerin und kann dir die Türen zu diesem Luxus öffnen.", verteidige ich sie, denn ich habe das Gefühl es tun zu müssen, doch Meghan zuckt nur unbekümmert mit den Schultern.
„Aber das meiste Geld kam von meinem Vater. Und das ich es nicht wusste war scheißegal. Ich bin die Tochter eines Kriminellen und das reicht um mich auszustoßen. Kenzie hat es natürlich gefreut und sie hat meinen Thron bestiegen wie der verdammte King Kong, war das neue angesagte Mädchen und ich wurde vergessen.", regt sie sich auf und verdreht die Augen, dass ich kurz kichern muss.
Nach einigen stillen Sekunden schüttelt sie den Kopf und sieht wieder auf. „Es ist mir eigentlich völlig egal, was sie von mir denken, das war es auch früher. Für mich war der schrecklichste Part, dass mein Vater weg war. Ich habe es erst gar nicht wahrgenommen, dass er nicht mehr wiederkommen würde. Es hat ein Jahr gebraucht, bis zu meinem sechzehnten Geburtstag im nächsten Jahr als er nicht da war um mich singend aufzuwecken, wie er es sonst getan hatte. Es hat mich völlig aus der Bahn geworfen und ich konnte es nicht verstehen. Mein Vater, der Mann, der mir Dankbarkeit und Ehrlichkeit eintrichterte, hat Drogendealern geholfen? Und für was? Für Geld. Geld, das wir sowieso besaßen und -ganz ehrlich- nicht einmal brauchten. Mir war es egal, wie groß mein Ankleidezimmer war, auf welchen tropischen Inseln wir das nächste Mal hinflogen, das war alles einfach nur Bullshit. Ich wollte meinen Dad zurück. Aber er hat mich zurückgelassen mit meiner Mom, die mir nicht einmal in die Augen sehen konnte, weil ich sie immer daran erinnerte, dass er ein Teil unseres Lebens ist. Sie hat es keine zwei Minuten mit mir ausgehalten, auch davor nicht, doch sie hatte sich zusammengerissen, wenn mein Vater dabei war, doch ohne ihn? Sie hätte mir ins Gesicht schreien können, dass sie mich nicht wollte und es hätte mich nicht überrascht. Ich war völlig allein. Nicht einmal der Schlappschwanz Daniel war für mich da, aber das hat mich nicht sonderlich gewundert." Ein verächtliches Lachen klettert ihren Hals hoch.
„Wer ist Daniel?", frage ich vorsichtig und streiche über das Kissen hinter Meghan.
„Mein Ex. Er war auch auf meiner Schule. Dannyboy war ziemlich lächerlich, wenn ich zurückdenke. Er hat mit mir am Tag der Verhaftung Schluss gemacht. Übers Telefon, weil seine Eltern es ihm verboten haben weiterhin mit mir im Kontakt zu bleiben. Nur eine Woche nachdem er mich im Regen hat stehen lassen, hat er auf einer Party mit Kenzie rumgemacht." Angewidert rümpft sie die Nase und ich würde diesen Daniel gerne mal den Hals umdrehen. „Aber sie sind nie zusammengekommen oder haben das vertieft, was sie begonnen haben, soweit ich es weiß.", fügt sie hinzu und seufzt. „Er ist ein Idiot, weil er dich verlassen hat.", steuere ich zu ihrer Leidensgeschichte bei und sie zuckt wieder mit ihren Schultern. „Stimmt, aber es hätte ohnehin zu nichts geführt. Ich hatte nie tiefgründige Gefühle für ihn. Danny war witzig, aber ziemlich willenlos, Mamiorientiert und nur mittelmäßig im Bett. Ich musste meine Orgasmen öfter vortäuschen als tatsächlich welche mit ihm gehabt zu haben.", winkt sie ab und ich muss schmunzeln, als sie enttäuscht ihren Kopf schüttelt.
„Hey, jetzt fange ich aber an Mitleid mit dem armen Kerl zu haben, wenn du ihn so in der Luft zerfetzt." Natürlich nicht. Das Meghan schlecht hinter ihm verredet ist nicht ein Vergleich zu dem, was er mit ihr gemacht hat. Ich kann mir vorstellen, wie enttäuscht sie war, auch, wenn sie sagt, dass sie nicht viel für ihn übrig hatte. In solch einem Moment hat sie bestimmt jede Unterstützung gebraucht und nicht eine einzige bekommen.

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