17|Bilderbuchfamilien und Starrwettbewerbe

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Meghan

„Meine Mom hat mir erzählt, dass sie ohnehin eine miserable Mutter für sie war und ich habe eigentlich nur das Fass zum Überlaufen gebracht, indem ich in meiner Mutter gefruchtet bin und ihre bei ihrer glorreichen Idee zu gehen bestätigt habe." Er zuckt unbeteiligt mit den Schultern, als wäre es keine große Sache, dass seine Großmutter -das Miststück- ihre sieben Sachen packt und ihre Familie zurücklässt. Vor allem, wenn ihre Tochter doch schwanger ist und ihre Mutter ganz bestimmt an ihrer Seite braucht. Welche Schwangere braucht denn keine Mutter, die einen beruhigt und versteht?
„Hat sie sich je nochmal gemeldet?", frage ich leise und befeuchte meine Lippen während ich in den Sternenhimmel sehe. Es sind gar nicht allzu viele Sterne zu erkennen und viel Abstand liegt zwischen allen, aber dennoch sind es hier viel mehr als, wenn ich mal auf dem hellerleuchteten Campus hochsehe.
„Nö. Ich kenne sie gar nicht. Mein Opa hat, als er noch gelebt hatte, alles, was an seine Exfrau erinnerte aus seinem Haus verbannt und ich habe nie auch nur ein Foto von ihr gesehen. Er war der Einzige, der meiner Mom damals zur Seite stand und ihr half Schulabschluss und Baby gleichzeitig zu managen.", erzählt Logan und ich nicke verstehend, doch ziehe irgendwann die Brauen zusammen und höre auf zu nicken als mir ein zweites Mal durch den Kopf geht was er gerade gesagt hat. „Warte mal. Was meinst du mit Schulabschluss und Baby?", hake ich nach und drehe den Kopf nach rechts um ihn anzusehen. Logan dreht den Kopf nach links, dass wir beide uns anschauen und seine hellen Augen blicken geradewegs in meine, was ein komisches Gefühl in mir auslöst. „Also das Baby war ich. Der Schulabschluss ist der High School Abschluss.", erläutert er, aber soweit habe ich es auch schon verstanden. Meine Frage bezieht sich gar nicht darauf sondern viel eher... Eigentlich ist es keine durchdachte Frage. Ich bin nur verblüfft, weil Logan nie erwähnt hat, dass seine Mom ihn in so jungen Jahren bekommen hat. Auf der High School? Mir vorzustellen jetzt ein kleines Kind an meiner Seite zu haben, auf das ich ständig ein Auge werfen muss und die Verantwortung dafür trage, jagt mir Angst ein und ich bin ein weiteres Mal dankbar für Verhütungsmittel.
„Wie alt war sie?"
„Siebzehn." Ich mache ein beeindrucktes Gesicht und sehe wieder hoch.
„Wow. Das ist... echt jung. Mit siebzehn? Ich hätte das nicht hinbekommen.", murmle ich letzteres, eher zu mir selbst als zu Logan, denn er hat ja keine Ahnung in welchem Mist ich mit siebzehn gesteckt habe. Aus dem Augenwinkel sehe ich wie auch Logan den Kopf wieder dreht, dass er hochsehen kann. „Ich auch nicht. Selbst mit der Unterstützung, die mein Großvater ihr damals gegeben hat.", sagt er und winkelt ein Bein an bevor er weiterspricht,„Bis zu seinem plötzlichen Herzstillstand hat er alles getan, damit meine Mutter sowie alle anderen Teenager, ihren Abschluss machen und anschließend einen Job finden konnte. Er hat ihr nie vorgeworfen, dass sie das Kind eines Fremden in sich trägt und nicht abtreiben wollte. So hat meine Mom es mir zumindest erzählt, ich erinnere mich leider nicht mehr an ihn." Logan hat so vieles gesagt, dass es eine ganze Weile dauert bis ich alles irgendwie sortiert habe und verwirrt von einem Stern zum anderen sehe.

„Kannst du mir das alles mal zusammenfassen? Deine Mom ist mit siebzehn mit dir schwanger geworden, deine Großmutter hat einen Abgang gemacht, dein Großvater war ein toller Vater vor seinem Tod und dein Dad ist ein Fremder?", probiere ich es selbst und sehe prüfend zu ihm. Er nickt und ich stütze mich auf die Ellbogen um ihn besser ansehen zu können. „Ich wusste, dass deine Mom jung sein muss und nicht nur so aussehen kann!", schließe ich daraus und seine Mundwinkel zucken. Vom ersten Moment, als ich Denise sah, wusste ich doch, dass sie jünger war als das Durchschnittsalter der Mütter unserer Altersgruppe und das hat dazu geführt, dass ich sie für seine ältere Schwester gehalten habe! Niemand kann mir also vorhalten, dass ich das gedacht habe.
„Ja, sie ist echt noch jung. Nicht einmal vierzig. Diesen Sommer wird sie erst achtunddreißig.", stimmt er mir zu. „Und sie hat schon einen zwanzigjährigen Sohn.", füge ich hinzu, was ihn wieder zum Nicken bringt.
Wow.
Langsam lasse ich mich wieder zurückfallen um hochzusehen. Wenn ich mir vorstelle mit siebzehn nicht nur schwanger gewesen und von meiner Mutter verlassen worden zu sein sondern auch den Vater meines Kindes gar nicht zu kennen, dann ist der Gedanke noch erschreckender als bloß schwanger zu sein, wobei das schon unwillkommene Saltos in meinem Magen verursacht. Wer weiß, was sie empfunden hat als sie erfahren hatte, dass sie nach einem unverbindlichen Abend mit einem Fremden schwanger war. Die arme Denise. Es war bestimmt hart Schule und Schwangerschaft und dann ein Baby unter einen Hut zu bekommen, doch sie hat sich dafür entschieden gehabt und ich bin froh, dass sie es getan hat. Wäre es nämlich nicht so, dann wäre ich gar nicht hier. Und ich meine es nicht, weil ich nach Texas flüchten konnte um vor meiner Mutter zu fliehen sondern weil ich hier auf dem Dach mit Logan liege und rede und es mir gefällt. Wir reden einfach nur. Kein Necken, kein Wortgefecht, einfach Reden. Hier in Texas verändert sich etwas zwischen uns, das spüre ich. Zuhause in Detroit hätte ich niemals einen Abend damit verbracht mit ihm zu reden.
„Logan?", kommt es mir leise über die Lippen und er dreht mir sein Gesicht zu,„Fragst du dich aber nicht manchmal, was wäre, wenn-..." „Ich einen Dad hätte?", beendet er meinen Satz und ich nicke. Das ist alles so privat und irgendwie hoffe ich, dass er sich weigert es mir zu erzählen, weil wir uns normalerweise nicht so nahe stehen. Aber er tut mir diesen Gefallen nicht.
„Früher öfter als heute.", antwortet er und ich drehe mich auf die Seite, dass ich meinen Kopf auf der Hand abstützen und ihn ansehen kann,„Es gab schon viele was wäre wenn. Was wäre, wenn meine Mom es ihn wiedergesehen und es ihm gesagt hätte? Was wäre, wenn sie mich in ein Waisenhaus gesteckt hätte? Was wäre, wenn sie es nicht hinbekommen hätte mit mir und der Schule? Was wäre, wenn sie den Kerl gar nicht kennengelernt hätte? Was wäre, wenn sie abgetrieben hätte?" Es sind wirklich viele solche Gedanken und dass er so viele ohne nachzudenken aussprechen kann zeigt mir bloß, dass er öfter darüber nachgedacht hat als er zugeben würde. Die frische Frühlingsluft hier draußen ist plötzlich viel zu stickig und seine Gesichtszüge verhärten sich, was nur bestätigt, dass sich hier gerade etwas verändert hat. Also muss ich es irgendwie wieder auf die unbeschwerte Seite locken, die immer zwischen uns herrscht.
„Also auf die letzten zwei hätte ich eine Antwort.", scherze ich, dabei ist es gar kein richtiger Witz. Dennoch lacht Logan kurz auf und wendet sich mir ein wenig mehr zu um seine Hand hinter dem Kopf plötzlich auszustrecken und nach einer meiner Haarsträhnen zu greifen. Überrascht von seiner Geste sehe ich auf seine große Hand, die langen Finger, um die er meine Strähne zwirbelt. Wir beide schweigen und ich beobachte stumm seine Hand und dann sein Gesicht. Er sieht ebenfalls zu meinem Haar als müsse er dafür unfassbar konzentriert sein.

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