Meghan
Noch immer wie in Trance schlage ich die Tür des Hotelzimmers zu, welches ich mir gerade gebucht habe. Ich konnte keine Sekunde länger dort bleiben. Ich habe mir meinen Koffer geschnappt und bin nicht einmal zum Fahrstuhl gelaufen, weil der zu lange auf sich warten lassen hätte. Stattdessen bin ich zur Hintertür und die Treppen drei Stockwerke heruntergesprintet und bin in den Aufzug gesprungen bevor die Türen sich geschlossen hatten als jemand einstieg. Mein Vater ist mir nachgelaufen, doch hat mich nicht erwischt und zu meinem Glück habe ich es bis in dieses Hotel geschafft ohne dass er mir auf den Fersen ist.
Ich lasse meinen Koffer und meine Tasche fallen und lehne mich gegen die Tür. Ich bin... schockiert. Wieso wusste ich denn nicht, dass er entlassen wurde? Weil er erst im Frühjahr 2024 entlassen werden sollte. Und das sind noch vier Jahre. Wieso ist er bereits hier? Er sollte noch vier Jahre hinter Gittern sitzen. Das habe ich doch nicht falsch aufgefasst gehabt. Wer würde den die Entlassung seines kriminellen Vaters um vier Jahre vertauschen?
Vor allem, wenn dieser Vater alles für einen gewesen war? Unser Verhältnis war so perfekt, das mich das schlechtes zu meiner Mutter gar nicht interessiert hatte bis die Polizei aufkreuzte und meinen Vater mitnahm und somit die einzige Person in meinem Leben, die mich bedingungslos geliebt hatte, neben meiner verstorbenen Großmutter. Er hat immer alles mit mir unternommen, mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen und mich immer glücklich gemacht. Zugegeben, ich war ein wenig verzogen und zickig, weil er mir immer alles gab, was ich verlangte, aber das bin ich nicht mehr. Wie denn auch? Nach seiner Verhaftung wurde ich praktisch von der Gesellschaft ausgestoßen und wenn man in einem Moment alles hat und im nächsten Atemzug nichts, dann wird einem ganz schnell klar, dass man all das nie für selbstverständlich hätte sehen sollen. Ich habe im Luxus gelebt, auf die Kosten anderer. Ich dachte mein Vater wäre ein ehrlicher Mann gewesen, aber alles, was er uns gebracht hat waren Schulden, Skandale und Probleme. Meine Mutter ist auch ohne ihn stinkreich, aber er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, hat doppelt so viel verdient und somit waren wir lächerlich reich. Und dann nicht mehr.
Doch nur, weil mein Leben praktisch aus Geld bestand heißt es nicht, dass wir eine materielle und snobistische Familie waren. Meine Mutter vielleicht, ja, aber mein Vater und ich? Wir haben herumgealbert, was das Zeug hielt, wenn Kameras auf uns gezeigt haben während meine Mutter versuchte seriös zu wirken. Als ich einen Welpen haben wollte und meine Mutter es mir verbat hat er mir dennoch eines besorgt. Jedoch musste es noch am gleichen Tag weg, weil meine Mutter eine Allergie hatte. Er hat mir immer die neusten Spielzeuge besorgt, ist mit mir shoppen gegangen und hat mich beraten, ist mit mir auf Dinner-Dates gegangen und hat mich behandelt als wäre ich seine Welt.
Und nach dem Gerichtsbeschluss habe ich ihn nie wieder gesehen. Ich bin ihn kein einziges Mal besuchen gegangen. Ich konnte es nicht. In einem Moment haben wir gelacht und er hat mir eingebläut wie wichtig es ist, immer ehrlich und treu zu sein und im nächsten wurde er mir weggenommen. Verdammter Heuchler!Tränen steigen mir, zum ersten Mal seit ich das Callahan Plaza verlassen habe, auf und ich hole tief Luft. Meine Beine sind taub und ich rutsche die Tür herunter, ziehe die Beine an und schlinge die Arme um mich selbst. Meine Unterlippe bibbert verdächtig und ich vergrabe mein Gesicht an meinen Knien, kneife die Augen fest zusammen und versuche mich davon abzuhalten zu weinen. Es reicht mir mit diesen ständigen Emotionsüberfällen! Ich heule nicht, Punkt.
Dennoch fühle ich mich verflucht allein in diesem großen Hotelzimmer, in dieser Stadt, in diesem Bundesstaat. Wieso musste ich auch so blöd sein und meiner Mutter vertrauen? Und trotzdem blende ich all diese Gedanken um meine Eltern aus und will nur eines. Ich.. Oh mein Gott, ich will Logans Stimme hören. Ich brauche beruhigende Worte, ich brauche eine Rat. Nein, ich brauche seine unbeschwerte Art und muss von ihm hören, dass ich mir keine Gedanken machen sollte, weil es doch total egal ist, ob er da ist oder nicht, weil ich mittlerweile ein ganz anderes Leben führe.
Sofort sehe ich auf und ziehe meinen Rucksack zu mir um mein Smartphone herauszufischen. Ohne großartig nachzudenken wähle ich seinen Kontakt und zögere dann doch. Sollte ich? Ich brauche das jetzt. Also rufe ich an.
„Hey Meggiemaus! Bist du gut angekommen?", ertönt es nach nur einem Klingeln bereits aus dem Hörer. Das war eine schlechte Idee. Er wird mich nicht aufmuntern können, wenn ich mir doch so sehnlichst wünsche wieder dort bei ihm zu sein. Mit Denise, Ricky, Brad, selbst die Katze Amica oder Dani, die ich nur für einige Stunden kannte will ich wiedersehen. Ich will nicht hier in diesem verdammten Hotel festsitzen. Ich würde sogar nochmal mit Logan joggen.
Mir entfährt ein Schluchzer und ich halte mir sofort die Hand vor den Mund, doch es ist bereits raus. „Wow, warte mal. Was ist los? Geht es dir gut?", fragt er und meine Sicht verschwimmt. Nein, gar nichts ist gut.
„Logan, mein... Mein Dad ist hier.", informiere ich ihn und beginne unkontrolliert zu weinen. So ein Weichei! Wieso kann ich das denn nicht einfach runterschlucken? All diese Gefühle, die in mir Achterbahn fahren.
„Schh, wein nicht. Soll ich rüberkommen?", fragt er einfühlsam und ich schniefe. Rüberkommen? Hat er eigentlich eine Ahnung wie weit entfernt Texas und New York voneinander liegen? Wir befinden uns nicht gerade in der Nachbarschaft, dass er mal rüberkommt. Trotzdem erwärmt sein Angebot mein Herz. Er hat gar keine Ahnung was los ist, kennt die Geschichten gar nicht und dennoch ist er bereit durch mehrere Bundesstaaten zu fahren um für mich da zu sein. Wer würde das denn bitte noch für mich tun? Dennoch kann ich das nicht akzeptieren. Es ist irrsinnig. Süß, aber verrückt. Genauso, wie Logan.
„Nein. Bleib, wo du bist.", verneine ich.
„Wo bist du jetzt?"
„Im Surrey Hotel in der Upper East Side.", antworte ich leise und stütze mein Kinn am Knie ab. Mit dem Handrücken trockne ich meine Tränen und blicke in das Zimmer hinein. Aus dem Smartphone ertönt ein tiefes Seufzen und ich hoffe, ich nerve ihn nicht. Vielleicht war es wirklich ein Fehler anzurufen. „Was willst du jetzt machen?", fragt er und ich zucke mit den Schultern als könne er mich sehen. „Keine Ahnung.", gestehe ich,„Womöglich werde ich erstmal ein Flugticket nach Michigan buchen." Ein Last-Minute-Ticket wird nicht gerade billig sein und schon wieder greife ich auf das Geld meiner Mutter zu. Ich sollte mir vielleicht einen kleinen Nebenjob suchen. Avery arbeitet im Diner, vielleicht brauchen sie noch jemanden. Und wenn nicht, dann findet Grace schon etwas für mich. Sie arbeitet bei der Zeitung und in einer Bar. Ich bin so verdammt faul. Die beiden haben Nebenjobs, genauso Tess beim Radio. Oder ihre beste Freundin Ellie, auch im Diner. Nate arbeitet als Aushilfe in einem Buchladen, Mason in den Sommerferien auf Baustellen. Und noch weitere Studentinnen und Studenten tun das. Wieso ich denn nicht auch? Wieso arbeite ich nicht, wenn sie es auch alle hinkriegen?
Ich muss mich ablenken. Zwischen all diesem Chaos in meinem Kopf brauche ich mir nicht noch über eine Arbeit den Kopf zu zerbrechen.
„Was machst du gerade?", frage ich und lehne mich etwas mehr an mein Smartphone, ganz als wolle ich alles hören, was auf der anderen Seite der Leitung passiert.
„Ach, nichts. Mom und ihr Onkel zwingen Ricky und mich zum Golfen, aber ich bin nicht so der Golftyp.", erzählt er mir und ich muss lachen. Logan beim Golfen. Das wäre zum Todlachen! Und ich würde gerade so viel geben um dabei sein zu können. Dabei mag ich Golf nicht einmal. „Die Jungs auf meiner High School waren alle Golfer.", trage ich zur Konversation bei und erhalte ein Schnauben.
„Ätzend.", kommentiert er und ich beginne zu schweigen. Ein trauriges Lächeln schmiegt sich um meine Lippen als ich daran denke wie der Matthews-Clan die Golfplätze befällt und mehr oder weniger begeistert bei der Sache ist. Es wäre auf jeden Fall lustig.
„Oh, und... Ricky ist sauer, weil du gegangen bist ohne dich von ihm zu verabschieden.", lässt er mich wissen und ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich habe mich nicht verabschiedet, weil ich gar nicht geplant hatte so früh zu verschwinden. Und erst recht nicht nach New York. Tja, das Leben ist unberechenbar. „Ich schreibe ihm später, vielleicht.", spreche ich in den Hörer und höre Denise im Hintergrund nach Logan rufen. „Okay. Ich muss Schluss machen.", spricht er und stockt kurz,„Hey, Meggiemaus, sei nicht traurig. Ich werde meine Mom sonst nicht besiegen können, wenn ich weiß, dass es dir nicht gut geht." Ein schwaches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich seufze. „Mir geht es schon gut. Konzentrier dich auf das Golfen.", versichere ich ihm und ich fühle mich wirklich ein wenig besser.
„Pass auf dich auf.", beendet er das Telefonat und ich hole tief Luft. „Mach ich. Viel Spaß euch."
DU LIEST GERADE
DREAM SCORE
Novela JuvenilSie hasst vieles, doch was ganz oben auf Meghans Liste steht, ist zurück nach New York zu fliegen. An den Ort, wo jeder hinter ihrem Rücken die Köpfe zusammensteckt und die schmutzigen Geheimnisse ihrer Familie kennt. Doch aus unerklärlichen Gründen...