DREAM SCORE

54|sich den Mann zurückholen

Meghan

Nervös blicke ich hinter dem Vorhang auf das Publikum, dass sich laut unterhält. Wir sind in der Daisy Hall, weil sie die größte Bühne hat und für gewöhnlich für Aufführungen und Konzerte genutzt wird. Meine Freunde sitzen alle in der ersten Reihe. Nur Logan fehlt. Neben Dean ist ein freier Platz und seit zwanzig Minuten hat sich niemand dorthin gesetzt. Trauer überkommt mich und ich seufze. Ich habe heute Morgen seine Nachricht gesehen nachdem ich mich vor Nervosität im Badezimmer zwei Mal übergeben habe. Ich bin davon ausgegangen, dass er kommen würde, denn schließlich hat er geschrieben, dass er sich auf das Konzert freut. Das bedeutet, dass er es sich anschauen will, oder etwa nicht? Wäre es zu spät, wenn ich ihm jetzt noch antworte? Ich habe nämlich keine Nachricht zurückgesendet. Vielleicht ist er deswegen ja nicht gekommen. Mist. Ich habe es mir schon wieder selbst ruiniert.
Zwei zierliche Hände packen mich, dass ich mich herumdrehe und Jess ansehe. „Na? Aufgeregt?", fragt sie glücklich und ich nicke. „Das ist mein allererster Auftritt.", sage ich aufgeregt und reibe mir die Hände an dem engen Lederrock, den ich trage. Logan hat mich in erster Linie hierzu gebracht, weil er an mich geglaubt und mich unterstützt hat, egal, welche Entscheidung ich getroffen habe. Es fühlt sich nicht richtig an das hier ohne ihn durchzuziehen. Ich wünschte ich hätte keine so große Angst gehabt. Logan ist das beste, was mir passiert war. Es wird niemals wieder jemand wie er in mein Leben treten. Munter, lustig, liebevoll und mit ganzem Herzen dabei, egal worum es geht. Er ist so einzigartig. Und ich habe ihn fallen lassen. Jemand hätte mich erschießen sollen. Es ist immer noch nicht zu spät. Es kann gerne immer noch mein nutzloses Hirn weggepustet werden.
Jeremy kommt zu uns und legt den Arm um Jess, stützt sein ganzes Gewicht auf sie, dass sie fast kippt. Er mustert sie und dann mich ausgiebig von oben bis unten. „Ihr seht gut aus, Ladys.", komplimentiert er und wir danken ihm. Ich trage ein enges, rotes Oberteil mit ellbogenlangen Ärmeln, den Lederrock und meine charakteristischen Doc Martens. Nichts aufregendes. Avery hat mich dazu gezwungen mich in Schminke zu ertränken, weil sich ein Frustpickel an meinem Kinn gebildet hat und sie der Meinung war ich müsse auf der Bühne gut aussehen, weil das Auswahlkonzert aufgenommen wird und in hundert Jahren, wenn sich jemand die Aufnahmen ansieht, sollen sie sich denken: Diese heißt Braut hat hier studiert? Averys Worte, nicht meine. Ich hatte erst abgelehnt, wollte heute Morgen nicht einmal das Zimmer verlassen, weil ich mich so schlecht fühlte, doch Grace hat sich Avery schnell angeschlossen, Tess und Ellie sind aus ihrem Zimmer ein Stockwerk über uns dazugekommen und sie haben zu viert meinen leblosen Körper von der Kloschüssel gezogen und an mir gezogen und gewerkelt bis ich von einem blassen und stinkenden Körper zu dem herausgeputzten Püppchen geworden bin. Ich liebe meine Freundinnen. Und gleichzeitig wünschte ich, ich hätte sie in Parfüm erstickt, wie sie es mit mir getan haben.

Weston kommt mit Tarek im lässigen Gang zu uns geschlendert und grinst gelassen. Wieso ist er denn nicht aufgeregt? „Wir packen das.", versichert er und allen. „Klar. Wenn du es sagst.", murmle ich schnippisch und sie kichern alle bis auf Weston, der mir sanft den Ellbogen in die Rippen drückt.
„Hierfür haben wir nächtelang geprobt, Leute. Und wir haben jede Probe gerockt. Genauso wird es auf dieser Bühne laufen.", fügt Tarek streng hinzu und zeigt hinter den schwarzen Vorhang,„Wenn nicht, dann möge Gott euch beistehen, weil ich euch allen eins mit meiner Gitarre überziehen werde." Dafür kriegt er links und rechts von Weston und Jeremy einen Schlag auf den Hinterkopf und Jess verdreht die Augen über ihn.
„Danke.", murmle ich und keiner von ihnen schaut mich verständnislos über meinen urplötzlichen Dank an. Ich weiß gar nicht wofür genau ich ihnen danke. Dass sie mich bei ihnen spielen lassen? Dass sie so geduldig mit mir sind? Dass sie mich so schnell in ihre kleine Band eingeweiht haben? Ich schätze alles drei. Ich weiß jetzt schon, dass ich es schrecklich vermissen werde mit ihnen zu singen, wenn ihre ursprüngliche Sängerin wieder gesund sein wird.
Für die nächsten anderthalb Stunden eiern wir hinter der Bühne herum, weil wir mit einer der letzten sind, die auftreten werden, was immer scheiße ist, denn gegen Ende wollen Juroren als auch Zuschauer immer nur schnell verschwinden und all ihre Motivation zuzuhören ist aufgebraucht.
Weston schlägt mit seinen Trommelstöcken den Rhythmus unseres Liedes auf Jeremys Oberschenkel, der ihn fluchend ermahnt und sich letztlich auf ihn wirft um ihn zu verprügeln. Jess quatscht mit einer Klavierspielerin, die auch auftreten wird, Tarek hört gedankenversunken Musik und spielt ein Spiel auf seinem Handy und ich werde beinahe ohnmächtig vor Nervosität. Vielleicht muss ich mich gleich nochmal übergeben. Das würde drei Mal in vier Stunden ergeben. Wenn ich plötzlich meine Stimme verliere? Dann wird Tarek mir eins mit seiner Bassgitarre überziehen. Ich muss sofort aufhören so negativ zu denken. Es hat bei den Proben immer einwandfrei geklappt und das wird es auch jetzt. Wir werden da rausgehen, drei Minuten und zweiunddreißig Sekunden lang spielen und wieder verschwinden und dann habe ich es hinter mich gebracht. Keine große Sache.
„Ihr seid dran.", verkündet die Bühnenmanagerin an uns gerichtet. Oh mein Gott, ich kriege keine Luft! Jemand legt mir die Hand auf mein Kreuz und ich schaue in Westons Gesicht. „Zieh das durch. Hab vertrauen in dich.", flüstert er mir zu und ich schaue wieder auf den Seiteneingang der Bühne, durch den wir jetzt gehen werden. Selbstsicher strecke ich die Schultern zurück und nicke. Ich kriege das hin. Ich kann mich nicht mehr aus Dingen rausreden, weil ich zu große Angst habe, obwohl ich es will. Ich will auf diese Bühne und singen. Und ich will Logan.