25|zurück im Alltag

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Meghan

Ich lackiere mir vorsichtig den kleinen Zehennagel und betrachte den roten Nagellack bevor ich den Pinsel zurückstecke und zuschraube. Ich habe es vermisst mir die Nägel und Zehen zu lackieren. Für gewöhnlich wechsle ich die Farben jede Woche oder jede zweite, wenn ich keine Zeit auftreiben kann.
Und jetzt habe ich reichlich viel dieser Zeit, weil noch immer Ferien sind. Wann sind sie endlich vorbei?
Immerhin ist Grace doch da. Wir sind uns gestern Mittag hier im Zimmer begegnet und waren verwundert über die Anwesenheit des anderen. Sie und Dean sind früher zurückgekommen, weil Kyle, ohne ihr Wissen, ein Termin beim Dekan gemacht hat -der in einer Stunde ist-, dass sie über die Krise ihrer Zeitung sprechen. Die Krise lautet: wenige Leser. Ich hoffe sehr, dass Grace es irgendwie geregelt kriegt, denn sie investiert viel Zeit in ihre Artikel und es macht ihr verdammt viel Spaß, auch, wenn es sie manchmal zusätzlich stresst.
Jetzt klappt sie ihr dickes Buch geräuschvoll zu und setzt sich auf ihrem Bett auf.
„Wirst du mir jetzt endlich erzählen, was passiert ist?", platzt es aus ihr heraus und ich sehe in ihre verzweifelten, grünen Augen. Ich bin erstaunt, dass sie es fast einen ganzen Tag ausgehalten hat ohne mich zu fragen. Ich dachte das würde ihre erste Frage sein, aber Grace und ich scheinen mittlerweile wohl eine Art seelische Verbindung aufgebaut zu haben, denn sie hat kein Wort über Texas oder sonst etwas verloren sondern hat mir gesagt, dass ich braun geworden bin. Und dann haben wir über belangloses und anderes geredet, aber nicht über die vergangene Woche. Und ich liebe sie dafür, dass sie mich nicht sofort bedrängt hat. Vor allem, weil ich sie fest in den Arm genommen habe und das hat sie erst richtig skeptisch gemacht.
Vorsichtig lasse ich die Beine vom Bett baumeln und betrachte meine Zehen. Ein unsicherer Teil von mir will es ihr nicht erzählen, weil ich einfach nicht darüber sprechen will, doch sie ist meine beste Freundin und wenn sie etwas belastet hatte, dann hat Grace mir davon erzählt. Ich habe sie so oft getröstet und in den Arm genommen, ihr zugehört und unterstützt und ich will ihr genau das selbe Vertrauen zurückgeben.
Seufzend sehe ich zu ihr auf und etwas weiches liegt in ihrem Blick. „Mein Dad ist wieder da."

Wie in Zeitlupe weiten sich ihre Augen.
Grace ist einer der wenigen Leute hier, die von dem Bockmist meiner Familie weiß, denn sie und ihr bester Freund aus der High School, der uns über Thanksgiving besucht hat, sind Fans meiner Mutter und dementsprechend wissen sie auch, dass ihr Exmann ein Krimineller ist und es war nur eine Frage der Zeit bis Grace mich einordnete. Zugegeben, es hat lange gedauert, aber sie hat es herausgefunden mit der Hilfe von Mace -dem besten Freund. Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, was sie im Internet über mich und meine Familie gelesen hat, aber es ist wenig gelogen und dazugedichtet, dass ich es für unnötig hielt es nochmal durchzukauen, wenn sie es doch schon weiß.
„Oh Gott, geht es dir gut?", fragt sie und kommt sofort auf mich zu um sich neben mich auf mein Bett zu setzen,„Hast du mit ihm gesprochen? Wieso wusste ich denn nichts davon? Oh, Meggie..." Sie legt die zierlichen Arme um mich und plötzlich fühle ich mich so elend. Meine Augen brennen und kurz daraufhin laufen auch schon die ersten Tränen über meine Wangen während ich noch angestrengt versuche das Schluchzen und Wimmern zu unterdrücken. „Ich bin weggelaufen.", presse ich hervor und schniefe,„Er sieht genau so aus wie früher nur älter. So viel älter, Gracie Macie." Meine beste Freundin versucht mich mit beruhigenden Worten einzulullen und ich weine mich an ihrer Schulter aus, überrascht, dass ich in den letzten Tagen so viel geweint habe, wie seit Jahren nicht mehr. Ich hasse es zu heulen. Es zeugt von Schwäche und ich will nicht schwach sein! Selbst am Todestag meiner Granny lasse ich immer nur eine abzählbare Anzahl von Tränen laufen und winde mich nie wie ein Häufchen Elend in der Trauer eine geliebte Person vor Jahren verloren zu haben. Doch jetzt bin ich dieses Häufchen Elend.
Ahnungslos, wie es dazu gekommen ist, finde ich mich einige Zeit später seitlich auf meinem Bett und Grace hinter mir wieder. Sie hat sich auf einen Ellbogen abgestützt und streicht mir das Haar beruhigend zurück während sie mich beobachtet und schweigsam zulässt, dass ich an meinen Vater denke. Ich muss gestehen, dass es sich erleichternd anfühlt jemanden neben mir zu haben, der mich nicht davon abhält zu weinen und still festhält.
„Hast du Hunger?", flüstert sie und ich schüttle kaum merklich den Kopf, doch sie scheint es bemerkt zu haben. Grace drückt mich nochmal fest bevor sie aufhört mich zu streicheln. „Ich muss jetzt los, aber wenn was ist, dann ruf mich an und ich komme sofort, okay?", bittet sie mich und ich nicke. Es ist eine Stunde vergangen? So lange habe ich geweint? Gott, ich will gar nicht wissen wie ich aussehe.
Grace steigt von meinem Bett und greift nach ihrer Tasche, zieht sich Sportschuhe an und bückt sich zu mir herunter um mir einen Kuss auf die Wange zu geben bevor sie unser Zimmer verlässt und ich alleine in der Stille liege.

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