28|Orchesterjungs und Bastarde

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Meghan

Stillschweigend blättere ich in meinem Notenheft während ich mit gesenktem Blick durch das TMC -Theatre and Music Centre- der musischen Fakultät wandere. Aus irgendeinem Proberaum ist eine Geige zu hören ansonsten ist es still wie sonst auch immer. Ich liebe es hier. Die sinnlichen und sanften Klänge der Instrumente, ab und zu auch mal eine schöne Stimme und manchmal, meistens am späten Nachmittag oder frühen Abend, Bandproben, die das ganze Gebäude in die lauten und schallenden Stimmen und Melodien hüllt.
Ich liebe es, dass Musik das selbe und dennoch so unterschiedlich sein kann. In einem Raum kann jemand an der Harfe spielen und gleich nebenan tobt sich jemand auf einem Schlagzeug aus.
Ich ziehe die Tür in den Bühnenraum auf, den wir die letzten Wochen genutzt haben, und lese mir nochmal die Stelle des Refrains durch, an der ich nun zwei Töne höher spielen soll. Flüchtig blicke ich auf die Bühne, sehe den Cellist und einen anderen mit einer Bratsche und nicke ihnen kurz zu. Moment mal. Warum ist ein Cellist und ein Bratschenspieler hier?
„Was macht ihr beiden denn hier?", frage ich verwundert und beide sehen genauso irritiert aus wie ich es bin. „Wir sind wegen der Probe hier.", antwortet der Blonde und hält seine Bratsche wie ein Schutzschild vor sich. Probe? Da müssen die beiden wohl etwas verwechselt haben.
„Das geht nicht. Donnerstagmittag haben meine Gruppe und ich den Raum von zwei bis vier.", erkläre ich und der Cellist öffnet nun den Mund, aber verstummt als hinter mir Schritte ertönen, dass ich mich umdrehe und Viola gutgelaunt hereinkommen sehe. „Hal-lo!", trällert sie fröhlich, dass ich die Nase rümpfe. Ihre Zufriedenheit und offensichtliche Freude gefällt mir nicht.
„Ah, hast du die beiden schon kennengelernt, Meghan?", fragt sie und steigt an der Seitentreppe ebenfalls hoch zur Bühne,„Das sind Stephen und Dave."
„Derek.", korrigiert der Cellist zerknirscht, doch das interessiert Viola nicht. „Die beiden begleiten uns im Hintergrund. Ich habe bereits mit unserer Professorin gesprochen und es ist völlig in Ordnung." Wie bitte? Die hat einen Schaden! Wir müssen in vier Tagen den Song vorstellen!
„Das kannst du nicht machen.", sage ich empört und sie schält sich aus der Jacke. Sie kann das machen. Aber nicht alleine und außerdem ist das viel zu knapp um noch zwei weitere Instrumente einzubauen. Außerdem wird das total bescheuert, wenn die beiden dabei sind. Nicht, dass ich die Instrumente blöd finde -das tue ich nicht-, aber Viola macht aus dieser einfachen Ballade etwas viel zu größes. Erst einmal sollte es ein simples, fröhliches Lied werden -es geht nun um Herzschmerz. Tommy und sie sollten zusammen singen -sie singt jetzt allein. Flügel und Gitarre sollten sanfte, weiche Klänge spielen -und jetzt haben wir eine Bratsche und ein verdammtes Violoncello um lauter und auffallender zu werden.

„Wann hast du das entschieden? Nein warte, du kannst es gar nicht selbst entscheiden!", rufe ich aus und sie verdreht die Augen. „Tommy ist einverstanden. Und deine Meinung würde alleine dastehen. Zwei gegen einen." Sind wir jetzt wieder im Kindergarten? „Tommy hat doch keine Ahnung was er tut!", beschwere ich mich. Viola stemmt die Hände in ihre schmalen Hüften und sieht mich herausfordernd an. „Was hast du denn für ein Problem mit den Beiden?", fordert sie heraus und ich werfe einen flüchtigen Blick zu den zwei Jungs, die uns schweigend beobachten. „Ich habe kein Problem mit den Beiden.", versichere ich und zeige auf die Jungs, schwenke die Hand dann zu Viola herüber,„Aber ich kann es nicht mehr ab, dass du nach deinem Willen handelst und mich nicht einmal mehr nach meiner Meinung fragst!" Wir sind eine Gruppe! Wieso versteht sie denn nicht, dass wir das zusammen machen müssen? Wenn auch nur noch für fünf Tage.
Viola seufzt und erneut höre ich Schritte hinter mir. Tommy kommt herein, sieht erst die beiden Neuankömmlinge, dann Viola und anschließend mich an. Etwa bedauerndes liegt in seinem Blick und am liebsten hätte ich ihm zwischen die Beine getreten, weil er einfach nicht seinen Mann stehen und auch mal verneinen kann.
„Gibt es noch welche Veränderungen, die über meinen Kopf hinweg beschlossen wurden?", frage ich in die Runde und fühle mich als sollte ich mich lieber setzen. Es sind erst wenige Minuten, wir haben noch gar nicht unsere Sachen ausgepackt und ich bin bereits erschöpft. „Ich habe den letzten Satz im Refrain geändert." Aufgebracht werfe ich die Arme in die Luft und drehe mich von der Bühne weg. „Jetzt hör doch erstmal zu!", verlangt Viola und ich sehe sie genervt an. „Statt you killed me slowly without knowing singe ich nun you broke me with knowing.", erzählt sie mir und ich verziehe das Gesicht. „Das passt doch gar nicht. In dem Lied geht es um eine unerwiderte Liebe, aber der Kerl weiß doch gar nichts von ihren Gefühlen. Er verletzt sie nicht absichtlich.", erinnere ich sie, doch das macht ihr nichts.
„Es klingt besser, wenn ich das zwei Mal singe und Tommy einmal als Zweitstimme." Gott stehe mir bei.

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