Mit dir ist es was Besonderes- Kapitel 17

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Ich wurde von dem schrillen Klingeln meines Handys wach. Mit zugekniffenen Augen tastete ich danach. Bevor ich den Anruf annahm, sah ich ich auf dem Display nach, von wem er überhaupt kam. Es war meine Mutter. „Guten Morgen mein Schatz" ertönte es. „Morgen, weißt du eigentlich wie spät es ist?!" fuhr ich sie an. Ich war einfach kein Morgenmensch, schon gar nicht, wenn ich auf eine unangenehme Art und Weise geweckt wurde. „Ja ich weiß aber ich wollte dich noch vor der Schule erwischen. Wir müssen unbedingt über etwas Reden. Ich hole dich nachher von der Schule ab. Wie lange hast du heute Unterricht?" teilte sie mir mit. Natürlich fragte sie nicht, ob das überhaupt okay für mich war. Wie immer setzte sie voraus, dass ich mich nach ihr richten würde. „Meine letzte Stunde ist um drei zu Ende." gab ich knapp zurück. „In Ordnung, dann treffen wir uns um 15 Uhr vor dem Hauptgebäude. Bis später" sagte sie, bevor sie auflegte. Ja, dir auch einen schönen Tag, dachte ich. Eigentlich sollte ich mich ja freuen, mal wieder Zeit mit meiner Mutter zu verbringen, aber in letzter Zeit war das Einzige über was sie sprach, wie sehr sie das Verhalten meines Vaters störte. Nur wenn ich ihrer Meinung etwas falsch machte, ließ sie mich das natürlich auch wissen. Ich war aus jedem unserer letzten Gespräche mit einem schlechten Gefühl herausgegangen, weshalb ich dem heutigen Treffen nicht unbedingt mit Vorfreude entgegenblickte. 

„Hey ist alles okay? Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen." sprach Leni mich an , während sie die Leiter hinunterstieg. „Das war bloß meine Mutter." teilte ich ihr knapp mit. „Und das ist nicht gut?" hakte sie weiter nach. „Das ist doch jetzt egal." antwortete ich schnippisch und schwang meine Beine aus dem Bett. Leni zog die Stirn kraus und erwiderte: „Okay, dann halt nicht." Sie war schon dabei sich abzuwenden, als ich ihr etwas an den Kopf warf, was ich später bereuen würde. „Innerhalb deiner Familie läuft ja wohl auch nicht immer alles glatt, oder?!" Sie sah mich entsetzt an, schnappte sich ihre Sachen und stürmte aus dem Zimmer. Auch Sibel sah mich vorwurfsvoll an. „Guck doch nicht so, darf man jetzt nicht mal mehr schlecht gelaunt sein oder was?" brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Andere Menschen haben auch Gefühle. Hast du schon mal was von Empathie gehört?" setzte sie vorwurfsvoll entgegen. „Hab ich auf der Stirn stehen, dass ich möchte, dass andere sich in meine Angelegenheiten einmischen?" beendete ich bissig die Konversation und verließ stürmisch den Raum. Hinter mir knallte die Tür zu und ich blieb direkt vor ihr stehen. Ich war so aufgebracht, dass sich meine Fingernägel in meine Handflächen bohrten und halbmondförmige Abdrücke hinterließen. Ich biss meine Zähne so fest aufeinander, dass mein Kiefer wehtat. Jetzt stand ich hier mitten im Flur und beobachtete meine Mitschüler, wie sie eilig zwischen ihren Zimmern, dem Waschraum und der Küche umherliefen. So langsam ebbte meine Wut ab und mein Gewissen schaltete sich ein. Was hatte ich in meiner Rage wieder einmal alles von mir gegeben. Plötzlich fiel mir ein, was ich zu Leni gesagt hatte. Jetzt wo ich darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass man den Schmerz in ihren Augen hatte sehen können, während ich es aussprach. Warum hatte dieser Satz sie so sehr verletzt? Vor meinem inneren Auge blitze das Gedicht auf, was Leni geschrieben hatte. 'Wie sie mich schützen obwohl ich der Grund für ihr Leiden bin... jetzt beginnt der Mensch der mir am nächsten stand mich zu hassen', hatte das etwa etwas mit ihrer Familie zu tun. Meinte Leni diese, wenn sie 'sie' schrieb? Aber wer hatte ihr am nächsten gestanden und warum sollte diese Person sie hassen? Waren nur einige von den vielen Fragen, die mir in den Kopf schosse. Doch die mit Abstand dominanteste war: Was hatte ich wieder angerichtet? Erneut hatte ich ihre Gefühle verletzt und diesmal würde sie mir sicherlich nicht verzeihen. Wir hatten zusammen Frühstücken wollen. Jetzt war mir einfach nur schlecht und überhaupt nicht danach, etwas zu essen. Ich kämpfte die gesamte Zeit, in der ich mich für die Schule fertig machte, mit den Tränen. Wieso war ich so? Ich hasste mich dafür, ständig die Gefühle anderer zu verletzen. Besonders die meiner braunhaarigen Zimmergenossin. Gestern Abend waren wir uns wieder so nah gewesen und jetzt hatte ich erneut alles zerstört.

Als ich fertig war, machte ich mich allein auf den Weg zur Schule. Heute sah ich Leni nicht, während ich mit dem Fahrrad die Strecke entlangfuhr. Weder mit Viktor, noch allein. Ob sie ihm wohl erzählen würde, wie unmöglich ich mich benommen hatte? Nachdem ich mein Fahrrad angeschlossen hatte, ging ich in den Chemieraum. Ich wusste, dass Leni dieses Modul auch gewählt hatte, da ich mich nur in die Liste eingetragen hatte, weil ich ihren Namen dort gesehen hatte. Frau Levin schloss den Fachraum auf und wir strömten hinein. Ich setzte mich hin, behielt aber die Tür im Blick, um sehen zu können, wenn Leni hereinkam. Jetzt waren eigentlich alle da, außer ihr. Es klingelte zur Stunde und Frau Levin schloss die Tür. Leni war nicht gekommen. 

Mit dir ist es was BesonderesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt