Ich rannte und rannte, ohne auch nur einmal anzuhalten. Unterbewusst hatte ich den Weg zum Baumhaus eingeschlagen, vor dem ich plötzlich stand. Ich sank zu Boden und brach in Tränen aus. Das alles war einfach viel zu viel für mich. Es war dumm, wieder einmal weggelaufen zu sein. Aber manchmal musste man eben dumme Sachen machen, einfach weil Emotionen einen nicht mehr rational entscheiden ließen. Ich würde es nicht ertragen können, Leni über Lilly sprechen zu hören. Dafür empfand ich viel zu viel für Leni. Außerdem war meine Fähigkeit, Dinge zu visualisieren, einfach viel zu ausgeprägt. Schon jetzt bekam ich diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie meine Halbschwester Leni küsste und sie dicht an sich zog. Was, wenn alte Gefühle wieder hoch kommen würden? Würde Leni mich für Lilly verlassen?
„Cäcilia?" riss mich eine Stimme aus meinen alptraumhaften Gedanken. Flora stand einige Meter von mir entfernt und sah mich an. „Willst du reden?" fragte sie mich. Ich zuckte nur mit Schultern und ließ mich weiter von meinen Schluchzern schütteln. Sie kam näher und setzte sich schließlich neben mich. Dann legte sie ihren Arm um mich und mein Kopf sank auf ihre Schulter. Ich hielt meine Tränen nicht zurück. Ich war ihr dankbar, dass sie für mich da war. Auch Flora gab mir ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, obwohl es ein ganz anderes war, als das, welches ich bei Leni fühlte. Inzwischen verband Flora und mich eine innige Freundschaft und das tat unglaublich gut. Sie verstand mich, weil wir uns in vielen Punkten so ähnlich waren. Wir sprachen lange Zeit kein Wort, weil sie spürte, dass ich erstmal nicht reden wollte. Schließlich sagte sie dann: „Du bist weggelaufen, bevor Leni dir die ganze Geschichte erzählen konnte, oder?" Ich nickte, fragte mich aber, wie sie das wissen konnte. „Hat Leni dir das gesagt? Ich weiß, dass das nicht richtig war, aber ich konnte es nicht ertragen." gab ich deshalb zurück. „Nein, ich hab Leni noch nicht gesehen. Ich wollte einfach nur so zum Baumhaus gehen und da hab ich dich hier sitzen sehen und eins und eins zusammengezählt." erklärte sie. Allerdings beantwortete das die Frage nicht, woher sie wusste, dass Leni mir noch nicht alles erzählt hatte. Aus diesem Grund fragte ich sie noch einmal: „Und wie konntest du dann wissen, dass ich mitten in unserem Gespräch abgehauen sein muss?"
Ich sah ihr an, dass sie überlegte, wie sie es formulieren sollte. Schließlich erwiderte sie: „Naja, ich sag mal so, würdest du die ganze Geschichte kennen, hättest du jetzt sicher andere Emotionen." „Inwiefern? Das musst du mir erklären." entfuhr es mir. „Ich denke mal, du denkst darüber nach, was Leni wohl für Lilly gefühlt hat oder vielleicht auch immer noch fühlt. In deinem Kopf läuft sicher ein Film ab, den du um keinen Preis sehen willst und der einem Alptraum gleich kommt. Glaub mir, das kenne ich nur zu gut. Du bist verletzt, traurig und nimm es mir nicht übel, du bist eifersüchtig. Das verstehe ich natürlich alles. Aber würdest du wissen, was Lilly Leni damals angetan hat, dann wärst du nicht traurig. Du wärst unglaublich wütend. So wütend, dass du aus deiner Haut fahren würdest und die Kontrolle verlierst. So ging es mir zumindest damals, als ich davon erfuhr. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich bin nun mal impulsiv. Ich bin auf Lilly losgegangen und hab ihr eine geknallt. Daraufhin bin ich dann von der Schule geflogen. Aber das war sowieso egal, weil unser Zirkus zwei Tage später weitergezogen ist. Dennoch hatte ich das ganze nicht so stehen lassen können. Dieses Miststück hatte meine kleine Schwester vor der ganzen Schule bloßgestellt, entschuldige meine Wortwahl. Aber noch viel schlimmer war, dass sie damit ihr Selbstbewusstsein und ihren Selbstwert zerstört hatte." führte Flora aus. Ich dachte eine Weile nach, dann sagte ich: „Würdest du mir denn erzählen, was damals passiert ist? Ich glaube, dass ich damit besser umgehen konnte." Sie überlegte einen Moment, aber dann nickte sie.
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Mit dir ist es was Besonderes
FanfictionCäcilia ist eigentlich ein sehr verschlossener Mensch. Sie versteht es andere auf Distanz zu halten, um sich selbst zu schützen. Doch als Leni aufs Internat kommt und dann auch noch ihre Zimmergenossin wird, entwickelt sich etwas, das sie bisher noc...