Ich hoffe so sehr, dass Leni heute noch kommt. Ich hoffe so sehr, dass sie überhaupt kommt. Es ist nicht nur die Ungewissheit, wie sie gerade auf mich zu sprechen ist, sondern ich vermisse sie auch unfassbar. Ich vermisse das warme Gefühl, was mich immer erfüllt, wenn sie in meiner Nähe ist, ihre vertraute Stimme zu hören und die kleinen Berührungen, die mich immer zum Lächeln bringen. Normalerweise teilen wir täglich so viele Momente und Lenis Anwesenheit hat schon immer die alltäglichsten Dinge besonders gemacht. Egal wie genervt ich davon bin, mal wieder viel zu früh aufstehen zu müssen, um zur Schule zu gehen, Lenis verschlafenen Augen in der Kombination mit ihrem strahlenden Lächeln, schieben diese negativen Gefühle ganz weit in den Hintergrund. Anders als ich, ist meine Freundin nämlich schon morgens gut gelaunt. Ich dagegen bin schon immer ein Morgenmuffel gewesen und habe mir auch nie Mühe gegeben dies zu verstecken. Dafür habe ich allerdings schon so oft Kommentare einstecken müssen und bin darauf hingewiesen worden, dass meine schlechte Stimmung sich auf andere ausbreite. Als wäre schlechte Laune eine Krankheit. Aber "Lach doch mal! " und "Sei doch mal fröhlich!" waren sicherlich kein Gegenmittel für diese. Ich wurde quasi dazu aufgefordert anderen etwas vorzuspielen, damit sie sich besser fühlen. Verrückt. Bei mir bewirkte das Ganze nämlich das genaue Gegenteil und das Lächeln fühlte sich eher nach einer Grimasse, als nach einem Ausdruck meines Gemütszustandes, an.
Leni war die Einzige, die wusste, wie man morgens, und eigentlich zu jeder Zeit, mit mir umgeht. Nie versucht sie, mich zu ändern und zu verbiegen, sondern lässt mich einfach so wie ich bin. Dabei gibt sie mir mit kleinen Gesten und liebevollen Worten immer das Gefühl, dass das okay ist und, dass sie mich genauso liebt, wie ich bin. Sie versteht mich auf eine ganz andere Weise, als es je jemand getan oder gekonnt hätte, egal ob mit oder ohne Worten. Und vor allem kannte ich niemanden, der die Disziplin des Problemlösens so gut verstand wie meine Freundin. Es begann damit, dass sie anfing mich morgens zu wecken, weil der Schrille Ton meines Weckers, mich schon so mies in den Tag starten ließ, dass ich dieses Gefühl den ganzen Morgen nicht mehr los wurde. Stattdessen weckt mich nun ihre sanfte Stimme und ihr atemberaubendes Lächeln. Dann streicht sie mir einige, vom Schlaf verknotete, Haare aus dem Gesicht und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie das Fenster öffnet, um frische Luft den Raum durchströmen zu lassen. Es geht damit weiter, dass sie das Frühstück für uns beide besorgt, damit ich nicht gleich nach dem Aufstehen mit anderen kommunizieren und mich zwangsläufig mit ihnen anlegen muss. Mit Leni ist es nicht komisch, stillschweigend nebeneinander zu sitzen, da es nicht diese drückende, unangenehme Stille ist, bei der beide krampfhaft nach Gesprächsthemen suchen, um die Situation aufzulockern. Nein, es ist eher eine einvernehmliche Stille, die uns trotzdem den Moment teilen lässt. Das vermisse ich so sehr und ich würde alles dafür geben, jetzt mit ihr an einem Frühstückstisch zu sitzen und sie heimlich aber meistens eher offensichtlich, anzusehen, weil sie sogar beim Müsli essen noch wunderschön aussieht. Aber ich liege in diesem tristen Krankenbett und warte sehnsüchtig darauf, Besuch zu bekommen. Es ist mittlerweile nachmittags, das heißt die Schule muss auf jeden Fall schon vorbei sein. Ob sie sich jetzt auf den Weg macht? Oder hat sie sich entscheiden nicht zu kommen? Was macht sie wohl stattdessen? Ich habe mal wieder tausend Fragen und Möglichkeiten in meinem Kopf, aber ich entscheide mich dafür, lieber darüber nachzudenken, was ich meiner Freundin unbedingt sagen will. Schließlich waren mindestens zwei Entschuldigungen fällig und nachdem, ich jetzt am eigenen Leib erfahren muss, wie es ohne sie ist, schätze ich so viele Dinge, so viel mehr wert. Das muss ich ihr auch unbedingt sagen.
Nachdem ich beim letzten Stichpunkt meines imaginären Notizzettels angekommen war, klopft es plötzlich an der Tür und eine prickelnde Welle der Aufregung durchströmt meinen Körper. "Ja, bitte!" sage ich mit belegter Stimme und durchbohre die Tür mit meinem Blick, bis sie endlich aufschwingt.
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Mit dir ist es was Besonderes
FanfictionCäcilia ist eigentlich ein sehr verschlossener Mensch. Sie versteht es andere auf Distanz zu halten, um sich selbst zu schützen. Doch als Leni aufs Internat kommt und dann auch noch ihre Zimmergenossin wird, entwickelt sich etwas, das sie bisher noc...