Jetzt war ich wieder allein. Ich starrte an die weiße Decke. Das Zimmer war so farblos und kalt und der sterile Geruch von Desinfektionsmitteln und Latexhandschuhen lag in der Luft. Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung. Mein Blick wanderte zum Fenster. Ich konnte nicht viel von der Umwelt sehen, aber ich sah den blauen Himmel und die Äste eines Baumes, die sich im Wind bewegten. Wie gern, wäre ich jetzt draußen und würde diesen Luftzug und die Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren. Stattdessen war ich hier drin gefangen und an das Bett gefesselt. Ich war wütend, so unglaublich wütend auf das Schicksal, welches mir das antat, aber vor allem auf mich selbst. Was, wenn Leni mich jetzt nicht mehr besuchen kommen würde, weil ich sie so angefahren hatte? Es war eindeutig gewesen, dass ich sie mit meinen Worten verletzt hatte. Ohne ihre Besuche würde ich hier drin allerdings vollkommen den Verstand verlieren. Leni war so etwas wie mein Anker. Doch hatte ich jetzt so sehr an der Kette gerüttelt, dass sich dieser gelöst hatte? Diese Gedanken kreisten immer weiter in meinem Kopf herum, bis ich schließlich so erschöpf war, dass ich einschlief. Ich entfloh der Realität und rettete mich ins Land der Träume.
Ich stütze meine Arme auf einer Metallstange ab, die die Manege von dem Zuschauerraum trennte. Das rot-weiß gestreifte Zirkuszelt schirmte das Sonnenlicht weitestgehend ab, nur in der Mitte der kreisrunden Sandfläche traf ein helles Lichtbündel auf. Wie im Scheinwerferlicht stand dort Leni, allerdings nicht auf dem Boden, sondern auf dem Rücken eines Pferdes. Ihr Blick war konzentriert, ihr Körper angespannt, aber ihre Haltung wirkte unglaublich elegant. Sie flüsterte ihrem Pferd etwas zu und hob dann ihr ausgestrecktes Bein, während sie ihre Arme ausbreitete und den Rumpf im rechten Winkel beugte. Sie verweilte einige Augenblicke in der Standwaage und begab sich anschließend wieder in ihre Ausgangsposition. Ich konnte meinen Blick nicht eine Sekunde von ihr abwenden, so sehr fesselte mich diese faszinierende Szene. Schließlich setzte sie sich auf den Pferderücken, wie es jeder normale Mensch machen würde. Aber Leni war nicht normal, sondern besonders in vielerlei Hinsicht. Dafür liebte ich sie und noch aus so vielen anderen Gründen. Jetzt scannten ihre Augen den gesamten Zuschauerraum ab, bis sie schließlich mich trafen. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und in ihren Augen blitzte ein kurzes Funkeln auf. Dann kam sie auf mich zugeritten, blieb stehen und glitt von ihrem Pferd hinunter. Anschließend stieg sie unter der Begrenzung hindurch und stand jetzt direkt vor mir. Dieser Moment war so magisch, dass ich nicht glauben konnte, dass er echt war. Um dies zu testen, legte ich meine Hand an ihre Wange und strich mit meinem Daumen über ihre zarte Haut. Sie schloss die Augen und atmete hörbar aus. Ich trat noch einen Schritt näher an sie heran und genoss die beruhigende Wirkung, die Lenis Anwesenheit immer auf mich hatte. Ihre Augen waren noch immer geschlossen, als ich meine Lippen auf ihre legte. Sie lächelte, während ich sie sanft küsste. Sie erwiderte den Kuss, legte ihre Arme auf meine Schultern und verschränkte ihre Hände an meinem Nacken. Schließlich löste sie sich von mir und sah mir tief in die Augen. Immer wenn sie das tat, fühlte es sich so an, als würde sie bis tief in mein Innerstes blicken können. Sie verstand meine Emotionen, Gedanken und Ängste, manchmal sogar besser als ich es selbst tat. Für mich blieb wie immer, wenn ich im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stand, die Zeit stehen. Ihr Blick war so intensiv aber gleichzeitig so sanft und verständnisvoll, während sie sacht meinen Nacken streichelte. Dann zog sie mich in eine feste, liebevolle Umarmung, nicht so eine, die man jemandem, den man flüchtig kannte, zur Begrüßung gab, sondern eine bei der man die andere Person so fest umschlang, dass sie gerade noch Luft bekam, sie aber nie wieder loslassen wollte. Sie strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr und flüsterte: "Vielleicht fühlt es sich gerade nicht so an, aber es kommen auch wieder bessere Zeiten. Es wird weniger schmerzhaft und vor allem weniger anstrengend, sowohl körperlich als auch emotional. Ich bin bei dir, egal was ist. Egal, wie sehr du glaubst dich verstecken oder mich beschützen zu müssen. Ich bin da. Bitte stoß mich nicht weg. Sprich mit mir und lass uns füreinander da sein. Zusammen sind wir so viel stärker. Zusammen ist es so viel leichter."
Mit diesen Worten im Kopf wachte ich auf. Mit einem harten Aufprall war ich wieder in der Realität angelangt. Eben hatte mein Handrücken noch Lenis warme Wange berührt, jetzt prangte auf diesem die kalte Kanüle, die Medikamente in meinen Blutkreislauf schleuste. Ich griff nach meinem Handy, um Leni anzurufen und mich zu entschuldigen, doch auf dem schwarzen Display erschien nur die Form einer Batterie mit weißem Rahmen, die einen roten Balken in sich trug. Der Akku war leer und mein Ladekabel lag natürlich im Internat. Heiße Tränen rollten meine Wangen hinunter. Wie sollte ich die nächsten Tage bloß ohne Leni überstehen?
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Mit dir ist es was Besonderes
FanfictionCäcilia ist eigentlich ein sehr verschlossener Mensch. Sie versteht es andere auf Distanz zu halten, um sich selbst zu schützen. Doch als Leni aufs Internat kommt und dann auch noch ihre Zimmergenossin wird, entwickelt sich etwas, das sie bisher noc...