Auf der gesamten Fahrt sprachen wir kein einziges Wort miteinander. Ich hatte meine Mutter noch nie so sehr gehasst, wie in diesem Moment. Auch wenn es am Einstein nicht immer einfach gewesen war, hatte ich dort trotzdem Freunde gefunden. Besonders in der letzten Zeit, war ich Einigen viel näher gekommen und hatte mich mit ihnen angefreundet. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl gehabt, Teil einer Gemeinschaft zu sein und erfahren, wie es war, wenn Menschen sich ehrlich für mich interessierten und für mich einstanden. Durch Leni hatte ich gelernt, mich auf zwischenmenschliche Beziehungen einzulassen. Leni. Meine Hand fuhr zu meinem Herzen, weil dies so wehtat. Leni dachte sicher, dass ich sie einfach so zurückgelassen hatte. Sie glaubte, dass es leicht für meine Mutter gewesen wäre, mir unsere Beziehung auszureden. Meine Liebe zu ihr auszureden. Sie konnte ja nicht wissen, dass ich das alles nur tat, um sie zu beschützen. Ich hätte alles für sie getan, ganz egal wie viele Schmerzen es mir auch bereitete. Aber von allen Gefühlen, die ich jemals gespürt hatte, war dieses definitiv das schlimmste. Es drohte mich zu zerreißen.
Immer wieder öffnete ich den Chat mit Leni. Ich hatte vor ein paar Tagen ein rotes Herz hinter ihren Namen gesetzt. Jetzt vergrößerte ich ihr Profilbild, weil ich es jetzt schon vermisste sie zu sehen. Sie war so wunderschön. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, sie vielleicht nie wieder zu sehen. Ich beschloss, dies auf keinen Fall zuzulassen. Ich würde Leni wiedersehen, ganz egal was mich das kostete. Immer wieder tippte ich auf das Nachrichtenfeld und versuchte die richtigen Worte auszuwählen. Aber diese fand ich einfach nicht. Sie war diejenige, die mir immer dabei half, mich nicht im Ton zu vergreifen. Diejenige, die mir half zu verstehen, was andere Menschen fühlten und welche Worte in dieser Situation angebracht waren. Ohne Leni wusste ich das einfach nicht. Ohne Leni wusste ich nicht einmal mehr, wer ich eigentlich war. Ich schrieb:
'Es tut mir so leid Leni. Ich hatte keine Wahl, bitte glaub mir das. Ich liebe dich.', schloss aber unsere Unterhaltung ohne es abzuschicken. Wieder rollten mir Tränen über die Wangen und ich wischte sie mit meinen Fingern weg, so wie Leni es vor einigen Stunden getan hatte. Wieder spürte ich einen Stich in meinem Herzen.
Zu Hause angekommen, ging ich sofort in mein Zimmer. Ich wollte meine Sachen nicht auspacken, das würde meiner Mutter signalisieren, dass ich einverstanden wäre hier zu sein. Während ich die Treppe nach oben stieg, bemerkte ich, wie leer die Regale waren, die dort an der Wand hingen. Als ich mich weiter umsah, wurde mir klar, dass alle Sachen meines Vaters fehlten. Anscheinend war er ausgezogen und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. Mit dieser Frau, die sich meine Mutter nannte, hätte ich auch keine Sekunde länger verbraucht, hätte ich die Wahl gehabt. Ich betrat mein Zimmer, welches der einzige Ort in diesem Haus war, an dem ich mich halbwegs wohl fühlte. Alles war noch genauso, wie ich es hinterlassen hatte, bevor ich nach den Sommerferien zurück zum Internat aufgebrochen war. Damals, als ich noch nicht wusste, was mir bevorstand. Als ich noch nicht wusste, dass ich am gleichen Tag noch meine große Liebe kennenlernen würde. Mein Blick wanderte durch den ganzen Raum. Mein Zimmer war viel hochwertiger ausgestattet, als es mein Gemeinschaftszimmer mit Sibel und Leni war, aber ich hätte jedes einzelne Möbelstück sofort hergegeben, um dorthin zurück zu können. Mein Blick blieb an meinem Bett hängen. Dort lag ein Umschlag, der da sicherlich noch nicht gelegen hatte, als ich das Zimmer verlassen hatte. Ich ging die paar Schritte dorthin und hob ihn auf. Als ich meinen Namen darauf las, hatte ich kurz den Gedanken, dass er von meiner Freundin wäre, aber das konnte nicht sein. Neugierig öffnete ich dennoch den Brief und erkannte die Handschrift meines Vaters. Verwundert, weil er mir noch nie einen einzige Brief geschrieben hatte, begann ich zu lesen.
DU LIEST GERADE
Mit dir ist es was Besonderes
FanfictionCäcilia ist eigentlich ein sehr verschlossener Mensch. Sie versteht es andere auf Distanz zu halten, um sich selbst zu schützen. Doch als Leni aufs Internat kommt und dann auch noch ihre Zimmergenossin wird, entwickelt sich etwas, das sie bisher noc...