Mit dir ist es was Besonderes- Kapitel 24

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Es war, als wäre die Welt für einen Moment stehen geblieben. Wahrscheinlich, weil mein Gehirn nicht verarbeiten konnte, was da gerade passiert war. Als sich alles um mich herum wieder zu bewegen begann, stand Flora nicht mehr neben mir. Im Fallen hatte sich Leni an der Dachrinne festhalten können, war aber durch den immensen Schwung, den sie mitbrachte, mit dem Kopf gegen die Hauswand geknallt. Sie krallte sich zwar weiter tapfer fest, schien aber mit der Bewusstlosigkeit zu kämpfen. Ich bewunderte Flora dafür, wie schnell sie reagiert hatte. Sie war sofort losgerannt, um ebenfalls auf das Dach zu klettern, um ihre Schwester nach oben zu ziehen. Unter ihr drohte der harte Betonboden. Endlich konnte ich mich aus meiner Starre lösen. Mechanisch lief ich zu der Stelle, auf der Leni aufkommen würde, sollte sie abzustürzen. Mir war klar, dass die Höhe viel zu groß war, um sie aufzufangen. Trotzdem hatte ich das Bedürfnis Leni zu retten. In meinem Kopf lief ein kurzer Film ab, in dem ich Leni mit meinen Armen auffing, wir uns anschauten sie mich anlächelte und ich sie schließlich absetzte. Doch damit noch nicht genug. Sie umarmte mich fest und sah mir dann tief in die Augen. Dann wanderten ihre Augen zu meinen Lippen, sie trat noch dichter an mich heran, neigte ihren Kopf und küsste mich. Ich fühlte mich, als würde ich schweben.

„Cäcilia, was soll ich machen?" riss mich Finjas panische Stimme aus meinem Tagtraum. „Such Frau Schiller und erzähl ihr knapp was passiert ist und dass wir ihre Hilfe brauchen." ordnete ich an. „Und Leni braucht einen Arzt, sag ihr das auch. Bitte!" rief ich ihr hinterher, während sie schon die Eingangstür des Internatsgebäudes öffnete. Sie nickte kurz in meine Richtung und verschwand dann nach drinnen. Ich sah nach oben. Inzwischen war Flora oben angekommen und hatte Leni an den Schultern gepackt. Ganz langsam zog sie sie Stück für Stück hoch. Als ihr Oberkörper die Dachkante passiert hatte, sank sie in Floras Arme und verlor das Bewusstsein. Mich durchfuhr eine Welle der Erleichterung, weil sie jetzt in Sicherheit war. Natürlich machte ich mir noch immer Sorgen, schließlich war sie ohnmächtig und hatte sich ihren Kopf sehr hart angestoßen. Bestimmt hatte sie eine schwere Gehirnerschütterung. Aber da war auch noch ein anderes Gefühl. Während ich Leni in Floras Armen liegen sah und die Vertrautheit zwischen den Beiden wahrnahm, empfand ich Eifersucht. Erst wollte ich es nicht glauben, aber es war eindeutig. Dennoch machte es überhaupt keinen Sinn. Flora war Lenis große Schwester und ich... ich war eine Freundin. Eine von vielen Freunden, da einfach niemand anders konnte, als Leni zu mögen. Sie war wundervoll. Aber warum empfand ich so? Wieder kam mir der Tagtraum in den Sinn, welchen ich vor einigen Minuten gehabt hatte. Was war das bloß gewesen? In der unangebrachtesten und gefährlichsten Situation überhaupt, hatte ich in die Luft gestarrt und über absurde Dinge fantasiert. Ich hasste mich dafür, nicht mehr getan zu haben, als einfach nur da zu stehen. Was würde Leni jetzt wohl von mir denken? Würde sie es mir übel nehmen, dass ich nichts unternommen hatte? Aber warum konnte ich das Bild, das zeigte wie Leni mich küsste, einfach nicht aus meinen Gedanken verbannen. Es hatte sich fest eingebrannt. In mir regte sich eine Überlegung, aber ich schob sie schnell zur Seite, als ich sah, wie Frau Schiller neben Leni und Flora auftauchte.

Finja kam auf mich zu gerannt und umarmte mich. „Danke." nuschelte sie in meinen Pullover. „Wofür das denn?" fragte ich völlig verwirrt. „Na du hast mir gesagt, was ich machen soll und hier die Stellung gehalten. Du hast quasi die Gefahrenstelle abgesichert." erklärte sie mir und sah mich jetzt lächelnd an. Ich strich ihr die Haare aus dem Gesicht und erwiderte: „Ich bin so froh, dass Leni jetzt in Sicherheit ist. Ich hoffe bloß, dass sie keine schlimmeren Verletzungen davongetragen hat." Finja nickte und erzählte mir, dass Frau Schiller einen Krankenwagen gerufen hatte, bevor sie auf das Dach gestiegen war. Da hörte ich auch schon die Sirene. Es verging keine Minute bis das Fahrzeug neben uns hielt und zwei Sanitäter heraussprangen. Sofort deutete ich nach oben, in Richtung Dach, und dann zur Eingangstür, hinter der sie sogleich verschwanden.

Kurze Zeit später lag Leni auf der Liege des Rettungswagens und wurde erstversorgt. An ihrer Schläfe klaffte eine Platzwunde, die stark blutete. Bei diesem Anblick zog sich alles in mir zusammen. Inzwischen war sie allerdings wach. Ihre Schwestern standen neben ihr und hielten jeweils eine ihrer Hände. Trotz der Umstände war dies ein schönes Bild, die drei vereint zu sehen. Schließlich traf Lenis Blick meinen. Sie formte ein Danke mit ihren Lippen und lächelte mich an, während die Sanitäter sie in den Rettungswagen schoben. Ich erwiderte ihr Lächeln und winkte ihr, während Flora mit in das Fahrzeug kletterte. Dann verschwanden sie hinter hinter den Türen und der Wagen setzte sich in Bewegung. Obwohl ich unglaublich erleichtert war, dass nochmal alles gut gegangen war, breiteten sich jetzt wieder diese Gedanken aus. Aber nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Ich hatte doch gehört, was meine Mutter gesagt hatte. 

Mit dir ist es was BesonderesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt