Ich atmete tief durch und überlegte krampfhaft, wie ich jetzt weiter vorgehen sollte. Gedankenverloren steckte ich die Hände in meine Hosentaschen und ertastete etwas. Ich zog es heraus und mir wurde klar, dass es sich um Lenis Brief handelte, den Flora mir gegeben hatte. Bei der ganzen Aufregung, hatte ich diesen nur schnell eingesteckt, um ihn später in Ruhe lesen zu können. Jetzt war der richtige Zeitpunkt dafür. Ich faltete das Papier auseinander. Lenis vertraute Handschrift zauberte mir schon ein Lächeln auf die Lippen, bevor ich überhaupt ein einziges Wort gelesen hatte.
Liebe Cäcilia,
Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, aber während du in unserem Zimmer mit deiner Mutter gesprochen hast, stand ich draußen vor der Tür und habe mitgehört. Ich konnte dich einfach nicht allein lassen. Außerdem musste ich einfach wissen, was sie vorhatte. Es tut mir leid, dass ich dir nicht schon viel früher die Wahrheit erzählt habe. Es war mir einfach unangenehm und ich wusste nicht, was du dann über mich denken würdest. Aber bevor ich dich jetzt über den Unfall aufkläre, möchte ich, dass du weißt, dass du auf keinen Fall für mich deine Zukunft aufs Spiel setzten sollst. Das ist alles meine Schuld und ich muss auch die Konsequenzen dafür tragen.
Also alles hat damit angefangen, dass weniger Besucher in unseren Zirkus kamen. Anfangs dachten Finja, Flora und ich noch, dass es bald wieder besser werden würde, aber das war nicht so. Nach einiger Zeit mussten wir feststellen, dass unsere Eltern sich immer mehr Sorgen machten, wie es weitergehen sollte. Irgendwann hatten Flora und ich die Idee, dass unsere Show einfach nur eindrucksvoller und riskanter werden müsste, um wieder mehr Zuschauer anzulocken. Wir steigerten uns also von Show zu Show und es schien tatsächlich zu funktionieren. Bis zu dem einen Tag, an dem alles schief ging. Flora war schon fertig mit ihrem Auftritt. Wir hatten uns sonst immer abgesprochen und die Zustimmung es anderen eingeholt, aber diesmal hatte ich alle noch mehr beeindrucken wollen. Obwohl meine große Schwester mich gewarnt hatte, dies nicht zu tun, hatte ich neben meiner Akrobatikshow auf dem Pferd an sich, die sowieso schon recht riskant war, auch noch Feuer eingebaut. Ich sprang mit Paula, so heißt mein Pferd, über ein brennendes Hindernis, als sie mit dem Huf hängen blieb und wir stürzten. Das war aber noch nicht alles. Denn der Aufprall hatte das Hindernis umgestoßen und die Flammen breiteten sich in der Manege aus. Zwar drangen sie nicht bis in den Zuschauerraum vor, aber natürlich musste trotzdem der gesamte Zirkus evakuiert werden. Nach der ganzen Aktion kamen noch weniger Leute, auch weil es durch meinen Ausfall noch einen Act weniger gab, und auch der Feuerwehreinsatz wurde nicht vollständig von der Versicherung übernommen. Außerdem war ich relativ schwer verletzt und musste zwei Wochen im Krankenhaus verbringen. Ich hatte mir mein Schlüsselbein und auch das linke Bein gebrochen, was operiert werden musste. Aber das war nicht das Schlimmste. Ich habe mich so furchtbar schuldig gefühlt, dass ich es kaum aushalten konnte. Dass meine Eltern mir gegenüber nie darüber gesprochen haben, hat es vielleicht sogar noch schlimmer gemacht. Sie wussten, dass ich mich selbst schon genug fertig machte, aber irgendwie hätte mir ihre Wut und Enttäuschung bei der Verarbeitung geholfen. So habe ich nur dabei zugesehen, wie sie mehr und mehr verzweifelten. Als ich dann körperlich wieder fit war, wollte ich natürlich gleich zurück in die Manege. Aber sobald ich das Zirkuszelt betrat, breitete sich eine unfassbare Panik in mir aus. Es war so schlimm, dass ich mich nicht einmal auf den Beinen halten konnte, weil ich so sehr zitterte. Um meinen Kopf frei zu bekommen, wollte ich deswegen mit Paula ausreiten, das hatte mir schon immer geholfen. Aber ich konnte einfach nicht mehr aufs Pferd steigen. Sobald ich meinen Fuß in den Steigbügel steckte, lief in meinem Kopf ein Film, der die Bilder von dem Unfall zeigte. Ich spürte die riesigen, heißen Flammen, den Schmerz, die Panik und hörte die Schreie der Menschen, sowie meine eigenen. Seit dem saß ich nicht mehr auf einem Pferd, obwohl das vorher meine große Leidenschaft gewesen war. Den Rest der Geschichte kennst du. Wir kamen ans Einstein und meine Eltern schlossen den Zirkus endgültig. Jetzt kannst du vielleicht besser verstehen, warum ich mich so schuldig fühle. Ich hasse mich für das, was passiert ist und ich würde es sofort rückgängig machen, wenn ich könnte. Andererseits hätten wir uns dann nie kennengelernt. Mir ist es egal, ob die Schulleitung erfährt, was damals passiert ist. Wenn sie mich deshalb rausschmeißen wollen, sollen sie das eben. Aber ich würde mir nie verzeihen, wenn du darunter auch noch leiden müsstest.
Ich weiß, dass wir auch das zusammen schaffen können. Damit du mich nicht so schnell vergisst, steht auf Rückseite eines der schnulzigen Liebesgedichte, von denen ich erzählt habe. Bitte zeig das keinem, ist mir echt ein bisschen peinlich. Aber das machst du halt mit mir. Wie könnte ich das anders ausdrücken?! Bitte melde dich, ich vermisse dich jetzt schon.
In Liebe,
Leni
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Mit dir ist es was Besonderes
FanfictionCäcilia ist eigentlich ein sehr verschlossener Mensch. Sie versteht es andere auf Distanz zu halten, um sich selbst zu schützen. Doch als Leni aufs Internat kommt und dann auch noch ihre Zimmergenossin wird, entwickelt sich etwas, das sie bisher noc...