Teil 2

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Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln meines Handys geweckt. Müde und gähnend tastete ich danach und warf es dabei von meinem Nachtschrank. Stöhnend drehte ich mich zur Seite und ließ einen Arm aus dem Bett baumeln, um dran zu kommen. Als ich es endlich gefunden hatte, wurde es still und ein Blick aufs Display bestätigte, dass der Anrufer bereits aufgelegt hatte.

Aber stattdessen leuchtete nun eine Nachricht auf.

Clea: Wir haben es getan!!!

Ich runzelte die Stirn. Immer noch schlaftrunken, drückte ich auf den Anrufbutton und wälzte mich aus dem Bett. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst zehn nach zehn war. 

Normalerweise schlief ich bis elf Uhr mindestens am Wochenende. Ich würde gerne behaupten, dass es anders wäre, aber ich war eine ziemliche Schlafmütze, vor allem, weil ich abends oft Schichten im Diner schieben musste und dementsprechend spät ins Bett kam.

Clea hob ab „Brooke? Hi!" sie klang hellwach.

„Hey." Murrte ich.

„Warte kurz, ich schalte Milo dazu, er soll wissen, dass ich mit dem heißesten Typen der Schule geschlafen habe!" so wie sie das sagte, klang es als hätte sie mit Zac Efron geschlafen.

Es dauerte nur eine Sekunde, als auch schon Milos Stimme zu hören war. „Ihr veranstaltet so früh schon eine Telefonkonferenz?" fragte er und seine verschlafene Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. 

Er hatte mich gestern nach Hause gefahren und obwohl ich angetrunken gewesen war, meinte ich, mitbekommen zu haben, dass er mich süß genannt hat. Hitze stieg mir in die Wangen.

„Brooke, von dir hätte ich nicht erwartet, dass du mich so früh weckst!" richtete sich sein vorwurfsvoller Ton an mich.

Ein leises Lachen drängte sich durch meine Kehle hoch „Glaub mir, ich war dagegen."

„Ach ihr beiden!" rief Clea gut gelaunt „Habt euch nicht so!"

Stolpernd ging ich in die Küche. Pizzakartons lagen gestapelt auf der Arbeitsfläche und Bierflaschen lagen im Waschbecken. Die letzten zwei Tage hatte ich bei Clea geschlafen und als ich gestern nach Hause gekommen war, hatte ich von dem Chaos nichts mitbekommen. 

Meine Mom schien in den letzten Tagen weder aufgeräumt zu haben noch arbeiten gewesen zu sein, denn der Anrufbeantworter spielte mir wieder zahlreiche Abmahnungen ab. 

Seufzend klemmte ich mir das Handy unters Ohr und begann, die Kartons und Flaschen wegzuräumen.

Clea am Ende der Leitung plapperte begeistert davon, wie alles abgelaufen war und ließ so gut wie kein Detail aus. Ich hörte nur halb zu und ich war mir zu 99 Prozent sicher, dass Milo schon wieder eingeschlafen war.

Als Clea jedoch ihre Ausführung beendete, sagte er: „Du schuldest mir einen Anmachspruch Brooke."

Ich stöhnte auf. 

„Was meint er?" meine Freundin hielt inne und wartete auf eine Erklärung. 

„Wir haben gewettet, ob du mit Levi schläfst oder nicht." Erklärte ich.

„Brooke war für nicht!"

Ein empörtes Aufatmen „Du hast kein Vertrauen in meine Fähigkeiten!" 

Ich lachte. „Hab dich nicht so, das war nichts persönliches!"

„Das sagst du jetzt!"

Milo mischte sich wieder ein „Jedenfalls hat sie verloren und deshalb muss sie Levi jetzt mit einem Spruch anmachen." Der Triumph in seiner Stimme bohrte sich in mich.

„Was, echt?" kreischte Clea.

„Ja echt." Grummelte ich weniger begeistert.

„Welchen Spruch musst du denn bringen?"

„Das entscheidet Milo."

„Aber ich habe mich noch nicht entschieden." Sagte er.

Ich wechselte das Handy zur anderen Hand und griff nach der Spardose auf dem Küchenregal. Sie war überraschend leicht und ich ahnte schon jetzt, wofür mein erarbeitetes Geld drauf gegangen war. Ich musste mir echt ein anderes Versteck suchen damit meine Mom gar nicht die Möglichkeit hatte, Alkohol zu kaufen. 

Und ich musste mir etwas überlegen, um jetzt noch die Miete zusammen zu bekommen.

Clea und Milo diskutierten über einen geeigneten Spruch, während ich mich gegen den Tresen lehnte und mir mit der Hand durch meine schwarzen Haare fuhr.

Ich würde wohl oder übel für die ganze nächste Woche noch ein paar Schichten übernehmen müssen und heute müsste ich eine Doppelschicht schieben. Aber selbst mit diesem zusätzlichen Geld würde ich nicht genug zusammenbekommen.

Seufzend unterbrach ich meine Freunde. „Leute? Ich müsste auflegen."

„Du bist aber heute Abend dabei, oder?" fragte Clea.

„Das geht nicht."

„Jetzt sag nicht du musst arbeiten!" sie klang vorwurfsvoll „Du hattest doch versprochen, dir frei zu nehmen für heute!"

Niedergeschlagen nickte ich „Ja, aber meine Mom..." ich beendete den Satz nicht, weil die beiden eh wussten, was los war.

„Hat sie wieder Geld genommen?" fragte Milo betroffen und spielte auf den Alkohol an.

„Ja." Bestätigte ich „Wenn ich nicht arbeite kann ich die Miete nicht bezahlen." Es war mir peinlich das zu sagen. Selbst vor meinen Freunden, die ohnehin wussten wie es bei mir zuhause war, aber es tat einfach weh. 

Clea lebte in einer großen Familie. Sie hatte drei ältere Brüder und zwei kleine Schwestern, und obwohl sie nicht reich waren hatte Clea genug, um sich keine Geldsorgen zu machen und sich ab und zu in der Stadt neue Klamotten zu holen. 

Und Milo war der einzige Sohn einer sehr reichen Familie. Er hatte ein riesiges Haus und bekam alles von seinen Eltern bezahlt.

„Ich kann dir etwas dazugeben oder dir das fehlende Geld leihen und du zahlst es irgendwann zurück." Bot Milo gerade an, aber ich lehnte ab.

„Nein, danke Milo, aber ich schaffe das alleine."

Die beiden schwiegen, also räusperte ich mich. „Also gut, wir sehen uns dann am Montag."

„Bis dann." Antworteten die beiden gleichzeitig, dann legte ich auf.

Mit hängendem Kopf und hoffnungslosen Augen stützte ich mich an der Arbeitsfläche ab und genehmigte mir eine Sekunde der Erschöpfung. Dann richtete ich mich auf, massierte mir über die Schläfen und griff nach dem Telefon.

Ich bekam zwei Schichten im Diner. Bevor ich mich auf den Weg zu dem kleinen Café machte, warf ich einen Blick in das Zimmer meiner Mom. Sie lag im Bett. Die Schuhe noch an den Füßen und eine leere Flasche neben sich. Es stank schrecklich nach Alkohol und Schweiß, vielleicht sogar nach Pisse.

Seufzend und bemüht, möglichst wenig von dem Geruch einzuatmen, ging ich zum Fenster und öffnete es, dann zog ich meiner Mutter die Schuhe aus und nahm die Flasche mit, als ich das Zimmer wieder verließ.

Vor mehr als einem Jahr sind mein Dad und mein kleiner Bruder gestorben. Sie beide waren bei einer Naturkatastrophe auf den Philippinen umgekommen. Zuerst wurden sie nur als vermisst gemeldet, aber einen Monat später, fand man ihre Leichen in einem Schutthaufen. Ich musste sie identifizieren, weil meine Mutter nicht dazu in der Lage war. Seitdem trank sie. Am Anfang war es nicht viel und ich dachte sie fängt sich wieder, aber mit der Zeit trank sie mehr und immer härteres Zeug. Vodka gehörte mittlerweile zu einem festen Bestandteil des Haushalts. Meine Mutter war ständig arbeitslos, weil sie nicht zur Arbeit ging und ich sorgte dafür, dass wir nicht auf der Straße endeten, indem ich selber arbeiten ging.

Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mich daran erinnerte, wie es einmal gewesen war, bevor das alles passiert war, aber ich verdrängte den Gedanken. Das war jetzt nicht mehr wichtig. Es war nicht wie damals und es würde nie wieder so werden.

In weniger als zwei Monaten, war das Unglück zwei Jahre her und es würde sich auch dann nichts ändern.


SnowwhiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt