Teil 44 - Levis Sichts

15.3K 548 65
                                    


*Levis Sicht*

Als ich in der Pause, das Schulgebäude verließ, hielt ich zunächst nach Brooke Ausschau. Mir fiel auf, dass ich das seit einiger Zeit öfters tat. Diesmal tat ich es jedoch aus einem bestimmten Grund. Ich musste ihr erzählen, was ich vor der ersten Stunde gesehen hatte. Ich wusste, dass es ihr vermutlich das Herz brechen würde, aber sie sollte davon erfahren. Das war nur fair.

Mir fiel eine Gruppe Schüler auf, die neben der Treppe versammelt standen und sich um etwas drängten, dass sich unter der Treppe befinden musste. Sie sahen alle sehr aufgewühlt und teilweise sogar erschrocken aus. Einige tuschelten aufgeregt miteinander. 

Ich näherte mich neugierig der Gruppe und drängte mich ein wenig nach vorne. Dabei nahm ich einzelne Gesprächsfetzen auf.

„Was ist mit ihr bloß passiert?" – „Sieht aus, als wäre sie verprügelt worden." – „Das sieht wirklich übel aus." – „Ist sie bei Bewusstsein?" – „Nein, ich glaube nicht." – „Aber sie lebt noch, oder?" – „Der Typ fühlt gerade ihren Puls, glaube ich."

***

Was sollte das alles bedeuten? Wer war verprügelt worden?


Ein ungutes Gefühl stieg in mir auf. Und dann hörte ich es.

 „Wie heißt sie?" – „Ich habe mit ihr Sport, ich glaube ihr Name ist Brooke oder so."

 Mein Blick schnellte herum, aber ich konnte nicht sagen, wer das gerade ausgesprochen hatte. Mein Puls schlug in die Höhe und die Welt stand einen Moment lang still. Dann kämpfte ich mich nicht ganz vorsichtig durch die restlichen Leute zwischen mir und dem Spektakel. Immer wieder schimpfte jemand oder beschwerte sich, weil ich ihn zur Seite drängte, aber ich beachtete sie nicht.

 Als ich mich endlich in die erste Reihe gekämpft hatte, wurde mir schlecht. Das Mädchen hatte recht gehabt. Es war Brooke. Sie lag in einer Ecke auf der Seite, neben ihr knieten auf jeder Seite Schüler. Ein Junge aus der Stufe unter mir fühlte gerade ihren Hals nach einem Puls ab.

 Sofort lief ich zu ihr, obwohl mich jemand festhalten wollte und sagte es wären schon genügend Leute damit beschäftigt ihr zu helfen. Ich riss mich einfach los und stolperte die letzten Schritte zu Brooke hin.

 Ich stieß einen Kerl beiseite, der empört schimpfte und kniete mich neben sie.

 Sie hatte Blut im Gesicht und eines ihrer Augen war etwas geschwollen. Ich konnte sehen, dass auch eine Wunde am Hinterkopf leicht blutete. Das Blut klebte in ihren Haaren, aber es sah immerhin nicht allzu schlimm aus. Trotzdem bemerkte ich auch den Bluterguss an ihrem Hals, als hätte jemand sie gewürgt.

 Vorsichtig legte ich meine Hand an ihre Wange. „Brooke?" sie regte sich nicht. „Scheiße, wach auf!"

 „Hey Mann." Sagte der Junge, den ich zur Seite gestoßen hatte. „Wir regeln das hier schon."

 Ich drehte mich um und funkelte ihn wütend an. „Ach ja? Bisher habt ihr aber noch nicht viel unternommen." Fauchte ich und drehte mich wieder zu Brooke. Ich nahm ihr Handgelenk. Sie hatte Puls. Dann legte ich einen Arm um ihren Oberkörper und den anderen schob ich unter ihre Knie. Mit ihr auf dem Arm, stand ich langsam auf.

 Die vier Typen sahen überrascht aus, hielten mich aber nicht zurück.

 Ich ging auf die Schaulustige Menge zu, die allesamt eine Gasse bildeten um mich durchzulassen.

 Ich beachtete die aufgeregten und gaffenden Blicke nicht, sondern konzentrierte mich ganz auf Brooke.

Sie muss ins Krankenhaus.

Ich ging geradewegs auf mein Auto zu. Umständlich zog ich den Autoschlüssel aus meiner Tasche und jemand öffnete mir die Tür zum Rücksitz. Behutsam legte ich sie hin.

 „Es wird alles gut Brooke. Ich bringe dich ins Krankenhaus." Sagte ich und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

 Als ich gerade auf dem Fahrersitz einsteigen wollte, kam Mister Reynold, der Schulleiter, aus der Schule geeilt, gefolgt von zwei weiteren Lehrern.

 Er sah zu der Menge und nachdem ein Schüler in meine Richtung gedeutet hatte, kam er auf mich zu.

 „Mister Randalls, was machen sie da?" fragte er wütend und sein Gesicht war bleich.

 „Ich fahre sie ins Krankenhaus."

 „Der Krankenwagen wurde schon gerufen." Er stemmte die Hände in die Hüften, aber das beeindruckte mich nicht.

 „Ist mir egal. Wenn ich fahre geht es schneller."

 Er wollte erneut widersprechen, aber ich trat auf ihn zu.

 „Bitte Mister Reynolds, lassen sie mich ihr helfen. Ich fahre sie ins Krankenhaus, damit sie schneller behandelt werden kann. Bitte." Meine Stimme brach am Ende sogar weg und ich musste so bemitleidenswert geschaut haben, dass Reynolds tatsächlich weich wurde.

 „Na schön" schnaufte er. „Aber sie werden nicht fahren. Miss Scones fährt und sie bleiben bei Miss Lane."

 Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass Lane Brooks Nachname sein musste.
Ich nickte rasch und Reynolds nickte.

 Miss Scones stieg auf der Fahrer Seite ein, während ich mich zu Brooke auf die Rückbank setzte.
Sanft bettete ich ihren Kopf in meinem Schoß und strich ihr beruhigend über die Haare, während Miss Scones losfuhr. Sie fuhr schneller als ich gedacht hätte und dafür war ich ihr unheimlich dankbar, denn meine Sorge um Brooke wurde jede Sekunde größer.

 Einmal stöhnte sie und bewegte den Kopf, aber ihre Augen blieben geschlossen.

 Behutsam strich ich über ihre Stirn und dann über ihre Wangen. „Alles wird gut, Snow. Ich bin hier."

 Ihre Lippen bewegten sich, aber kein Ton kam heraus.

***

Ich fühlte mich hilflos und nutzlos, als wir Brooke in die Notaufnahme brachten. Ich trug sie wieder im Arm und als ich sie dem Arzt überreichte, fragte er, ob ich ein Verwandter wäre, aber ich musste verneinen. Daraufhin musste ich draußen bleiben, während Miss Scones als Aufsichtsperson mit in den Behandlungsraum durfte.

 Ich saß auf den harten Plastikstühlen und stand immer wieder auf, um besorgt durch die Gegend zu tigern. Sekunden kamen mir wie Stunden und Minuten wie Tage vor.

 Eine halbe Ewigkeit später, kam Miss Scones zu mir und teilte mit, dass ich jetzt auch zu Brooke durfte. Ich folgte ihr sofort und als ich in ihr Zimmer trat, blieb mir kurz die Luft weg.

 Sie lag in einem Krankenhausbett, eine weiße Decke über ihr ausgebreitet und schlief. Ihre Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Die Wunde an ihrem Hinterkopf war gereinigt worden und das Blut in ihrem Gesicht verschwunden. Sie sah nicht mehr ganz so übel aus wie zuvor. Aber ihre Arme waren nackt und ich sah, dass sie von Schwellungen und blauen Flecken übersäht waren.
Und das geschwollene Auge wurde zwar schon besser, sah aber dennoch übel aus.

 Unter ihrer Decke verschwanden diverse Kabel und sie war an einen Monitor angeschlossen, der ihre Herzlinie verzeichnete.

 Langsam trat ich an ihr Bett und setzte mich auf den Stuhl daneben. Zögerlich griff ich nach ihrer Hand und sah mir ihr Gesicht an. Am liebsten hätte ich wieder eine Hand an ihre Wange gelegt, aber jetzt, wo sich meine Panik etwas gelegt hatte, hielt ich es nicht mehr für angebracht sie zu berühren.

 Wer auch immer ihr das angetan hatte, würde tierischen Ärger mit mir bekommen. Ich würde ihn vermöbeln, dass er zwei Tage lang nicht gehen könnte.

 Ich verdrängte meine Wut mit einem tiefen Durchatmen.

 Das hatte auch noch später Zeit. Jetzt war Brooke erstmal wichtiger.

 Miss Scones hatte sich bereits diskret zurückgezogen, sodass ich alleine mit Brooke war.

 Gedankenverloren strich ich über ihren Handrücken. „Hey. Hier ist Levi." Ich räusperte mich. Es war seltsam mit jemandem zu reden, der nicht antworten konnte. „Ich hoffe du wachst bald auf. Ich hoffe es geht dir gut."

***

Ich verbrachte sehr viel Zeit bei Brooke. Der Arzt kam zwischendurch und sah nach ihr. Er sagte mir nicht viel mehr, als dass sie bald aufwachen würde und es übler aussah, als es war. Sie würde bereits morgen Abend entlassen werden können, wenn die restlichen Untersuchungsergebnisse gut ausfielen. Das beruhigte mich nur ein Stück weit.

 Man sagte mir auch, dass versucht worden war, Brookes Mutter zu informieren, aber keiner war dran gegangen, was mich daran erinnerte, dass bei Brooke zuhause, wahrscheinlich nicht alles okay war.

 Nach zwei Stunden Warten, spürte ich plötzlich, wie Brookes Finger in meiner Hand zuckten.

 Unwillkürlich setzte ich mich aufrechter hin und rückte auf meinem Stuhl vor. „Snow?" wisperte ich unsicher.

 Dann drückte sie meine Hand. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

 Und dann sah ich wie sich ihre Augen öffneten. Plötzlich wurde mir ganz leicht ums Herz und ich fühlte mich, als würden alle Sorgen von mir abfallen. Sie wachte auf!


SnowwhiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt