Teil 10

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Am Samstag ging es mir nicht besonders gut. Da ich Freitag den ganzen Abend über in meinen nassen Klamotten ausgeharrt und dann noch im strömenden Regen nach Hause gegangen war, hatte ich mich ein wenig erkältet und am Morgen kämpfte ich sowohl mit Fieber als auch mit Kopf- und Halsschmerzen. Zum Glück hielt von alldem aber nichts lange an, sodass es mir schon gegen Mittag wieder besser ging und ich mich aus dem Bett quälen konnte. Immer noch ein wenig erschöpft taumelte ich in die Küche und stöhnte.

Scheinbar war meine Mom irgendwann mitten in der Nacht nach Hause gekommen und hatte sich den Fernseher angemacht. Dabei schien sie eingeschlafen zu sein, denn sie lag mit der Fernbedienung in der Hand immer noch auf der Couch.

Langsam ging ich zu dem klobigen Fernseher und schaltete ihn aus, dann schlurfte ich zu meiner Mom. Neben ihr auf dem Sofa und auch auf dem Boden lagen Alkoholflaschen. Ich nahm ein paar auf einmal in meine Arme und brachte sie in die Küche, wo ich sie zunächst einmal achtlos ins Waschbecken ablud. Anschließend kehrte ich zu meiner Mom zurück und rüttelte sanft an ihren Schultern.

Obwohl ich diese Situation kannte, kam es mir jedes Mal seltsam vor. Manchmal fühlte es sich an, als wäre meine Mom nicht meine Mom, sondern irgendjemand Fremdes, den ich bei mir zuhause aufgenommen hatte. Wir redeten nur selten miteinander. Zum einen, weil ich tagsüber in der Schule oder bei Clea war und zum anderen, weil meine Mutter den ganzen Tag ihren Rausch ausschlief, um Abends wieder in die Kneipe gehen zu können.

„Mom." Raunte ich und schüttelte sie ein wenig heftiger. „Mom, geh in dein Bett."

Mit einem grunzenden Geräusch wischte meine Mutter sich über das Gesicht und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. Ich bemerkte, wie sie zusammenzuckte, als sie in Richtung Fenster sah, wo die Mittagssonne hereinschien.

„Brooke?" nuschelte sie. „Lass mich in Ruhe, Kleines."

Ich seufzte und zog an ihrem Arm. „Du bist auf dem Sofa eingeschlafen, geh in dein Bett Mom."

Aber sie machte immer noch keine Anstalten aufzustehen, also schlang ich ihren Arm kurzentschlossen über meine Schulter und hievte sie mit all meiner Kraft auf die Beine.

Ein seltsamer Laut, entwich ihr und sie lachte, während sie sich taumelnd gegen mich lehnte. Ich ächzte unter der Last und schaffte es nur mit Mühe, sie ins Schlafzimmer zu manövrieren.

Als sie in die weiche Matratze fiel stießen wir gleichzeitig die Luft aus. Mom hielt die Augen geschlossen und ich betrachtete sie einen Moment lang. Ihr Gesicht wirkte ruhelos und gleichzeitig auch entspannt und friedlich. Unter ihren Augen sah man deutlich, die tiefdunklen Augenringe und ihre Haare, die meinen sehr ähnlich waren, standen zerzaust in alle Richtungen ab.

Plötzlich öffnete meine Mom wieder die Augen und lächelte zu meiner Überraschung sogar leicht, als sie mich ansah.

„Du bist deinem Dad so ähnlich." Murmelte sie. „Immer versuchst du allen zu helfen. Und deine Augen sind genauso blau-grau wie seine." Ihre Stimme brach und sie sah traurig aus, aber dann begann sie zu kichern und hob abwehrend eine Hand „Aber das ist ja egal. Man kann nicht allen helfen und du kannst das auch nicht. Die Menschen sind egoistisch und wenn du es im Leben zu etwas bringen willst, dann musst du das auch sein." Nachdem sie zuende gesprochen hatte, schloss sie wieder sie Augen und nur eine Sekunde später schnarchte sie seelenruhig vor sich hin.

Als wäre nie etwas gewesen. Als würde das Leben um sie herum gar nicht wirklich stattfinden.

Nachdem ich die Flaschen aus der Spüle geräumt und die neuen Fastfood Kartons weggeräumt hatte, machte ich mir etwas zum Essen. Da wir wenig dahatten, musste ich mich mit Brot zufriedengeben.

Als ich mich mit einem Buch in der Hand an den Küchentisch gesetzt hatte, begann jedoch mein Handy zu klingeln.

Genervt sah ich aufs Display und drückte auf den grünen Buttons, als ich Milos Namen las.

Das Handy ans Ohr gedrückt biss ich in meine Brot mit Nutella. „Ja?" fragte ich.

„Brooke, bist du gerade erst aufgestanden?"

„Ja, wieso?"

Er schnaubte „Es ist ein Uhr!"

Ich hob die Schultern, bevor mir einfiel, dass er mich ja nicht sehen konnte „Na und? Es gibt nie eine falsche Zeit zum Schlafen." Schmatzte ich als Antwort.

„Auch wahr." Ich konnte vor meinem inneren Auge sehen, wie Milo grinste. „Also eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du auch bock hast zum Lernen zu kommen. Clea wollte vorbeischauen, weil nächste Woche ja ihre Matheklausur ansteht. Du schreist doch auch nächste Woche, oder?"

„Hmpf." Murmelte ich zustimmend.

„Also kommst du auch?"

Ich schluckte den Bissen in meinem Mund herunter „Ja, geht klar, hab nur um 19 Uhr eine Schicht im Diner, wann soll ich denn bei dir sein?"

„Na von mir aus jetzt."

„Gut. Gib mir eine Stunde."

„Okay, bis dann!"

„Ja bis gleich."

„Ich freue mich."

Nanu? Was war denn mit Milo los? Auf einmal so gefühlsduselig?

„Ich mich auch." Antwortete ich ein wenig perplex und vielleicht auch etwas zu schnell. Mein Magen machte gerade einen Purzelbaum.

Das Tuten am anderen Ende der Leitung, bedeutete mir, dass Milo aufgelegt hatte und sofort legte sich das flattrige Gefühl in meiner Magengegend wieder und ich wurde zurück auf den Boden der Tatsachen gerissen.

Das halbe Brot vor mir auf dem Teller ließ ich liegen und eilte in mein Zimmer. Ein Blick in den Spiegel genügte, um festzustellen, dass ich genauso aussah, wie ich mit heute Morgen gefühlt hatte.

Meine Wangen und meine Nase waren ein wenig gerötet und ich hatte leichte Ringe unter den Augen. Außerdem sah ich ein wenig blasser aus als sonst. Als ich jedoch eine Hand an die Stirn legte, fühlte es nicht mehr so an, als hätte ich Fieber.

So schnell wie es ging, duschte ich mich und zog mir eine einfache Jeans und ein T-Shirt an.
Dann schnappte ich mir die andere Hälfte vom Brot und machte mich auf den Weg zu Milo.

SnowwhiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt