Teil 62

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Die kommenden Wochen flogen förmlich an mir vorbei und ehe ich mich versah, war bereits ein ganzer Monat verstrichen.

 Obwohl so viel Negatives um mich herum geschah, befand ich mich auf einer Art Wolke. Levi war fast jede Minute an meiner Seite. Wir lernten zusammen, kauften zusammen ein und oft war Levi sogar im Café, wenn ich arbeiten musste.

 Riley und Bruce waren heilfroh als sie mich endlich in die Arme schließen und sich selbst davon überzeugen konnten, dass es mir gut ging. Wir trafen uns an ein paar Tagen.

 Thalia war zwar noch traurig wegen Milo, aber ihre Niedergeschlagenheit war vielmehr Wut gewichen und die Besserung ihrer Gefühlslage hatte ganz sicher auch etwas mit Sawyer zu tun, der ihr mittlerweile kaum noch von der Seite wich. Wann immer es eine Möglichkeit gab, bei Thal zu sein, nutzte er sie.

 Die beiden trafen sich auch außerhalb unserer neuen Freundschaftsgruppe und ich war mir ziemlich sicher, dass zumindest Sawyer komplett vernarrt in meine beste Freundin war.

 Oliver wurde zu einem meiner vertrauenswürdigsten Freunden. Ich hatte das Gefühl mit ihm über alles reden zu können. Wenn es mir schlecht ging, war er nach Levi oder Thalia mein nächster Ansprechpartner, weil er es irgendwie draufhatte, mir schlechte Gedanken auszureden.

 Levi wollte ich nicht allzu oft mit meinen Problemen belasten. Mercy ging es immer schlechter.
Wenn Levis Dad arbeiten musste, brachten Levi und ich sie zur Chemo und an den Tagen, wo es ihr einigermaßen gut ging und sie nicht ins Krankenhaus musste, unternahmen wir etwas zusammen. Oft kamen auch die anderen mit. Allerdings merkte man mit jedem Tag mehr, dass langsam die Lebensenergie aus dem kleinen Mädchen wich.

 Es fiel mir zunehmend schwerer sie so leiden zu sehen. Jeden Tag im Hinterkopf haben zu müssen, dass sie vielleicht bald starb, denn bisher hatte die Chemo noch nicht viel bewirken können.

 Manchmal ertappte ich mich dabei, mir zu wünschen ihr den Krebs abnehmen zu können. Es war nicht fair, dass ein so junges Kind krank wurde. Das war einfach nicht gerecht.

 Ich war nicht die einzige, der Mercys Zustand zu schaffen machte. Auch Levi wirkte zunehmend abwesender. Er wachte manchmal nachts auf und weinte. Am Anfang hatte ich getan, als würde ich ihn nicht hören, weil ich ihn kannte. Er wollte keine Schwäche zeigen. Aber irgendwann hatte ich es nicht mehr ertragen und jetzt nahm ich ihn, wann immer es möglich war, in den Arm und übersäte ihn mit küssen.

 Ich konnte nicht viel tun. Ich hätte nicht sagen können, dass alles gut wird und ich konnte seine Schwester auch nicht gesund machen, aber ich konnte für ihn da sein und seinen Schmerz teilen. So wie er für mich da war.

 Ich wohnte immer noch bei Levi und das half nicht nur ihm, sondern auch mir und ich schätze auch Mercy.

 Meine Mom hatte sich nach einiger Überzeugung und nach der Erkenntnis, dass ich es ernst meinte, nicht mehr bei ihr zu wohnen, solange es so weiterging, dazu überwunden in Therapie zu gehen. Sie befand sich augenblicklich in einer Entzugsklinik und jedes Wochenende ging ich sie besuchen. Manchmal mit Levi und manchmal alleine. Wir machten außerdem eine Familientherapie mit. Unser Verhältnis wurde mit jedem Tag besser. Sie begann ihren Schmerz über den Verlust von Dad und Troy zu verarbeiten und auch ich schloss langsam mit der Tatsache ab, das ich keine Schuld trug. Und dass Troy trotz allem gewusst hatte, dass ich ihn über alles liebte.

 An manchen Tagen hatte ich zwar das Gefühl, dass mir alles zu viel wurde, aber ich wusste, dass ich nicht alleine war. Levi ging es genauso und es gelang uns, einander Halt zu geben.

 Levi war meine Energiequelle und er war das, was mich zum Lächeln brachte, selbst wenn es mir am schlechtesten ging. Er bewahrte mich vorm Zusammenbruch und ich tat dasselbe für ihn.

 Selbst als einige weitere Wochen später feststand, dass die Chemo bei Mercy nicht angeschlagen hatte. Und dass sie sterben würde.

***

Tatsächlich ging Mercy nur zwei Monate später. Sie verbrachte die letzten Wochen im Krankenhaus. Sie hatte an einigen Tagen starke Schmerzen und obwohl wir es ihr nie direkt sagten, hatte ich das Gefühl, dass sie wusste, dass sie sterben würde.

 Trotzdem blieb sie immer das starke kleine Mädchen, als dass ich sie auch kennengelernt hatte.

 Ich bewunderte sie für ihre Tapferkeit und die Kraft, die sie hatte.

 Levi und ich waren bei ihr, als sie starb. Ebenso wie ihr Dad.

 Mercy schlief friedlich ein. Sie hatte keine Schmerzen (jedenfalls nicht in diesem Moment), sagten die Ärzte und als sie ihre Familie das letzte Mal ansah, lächelte sie. Als sei sie erleichtert.
Und ich verstand es.

 Ihr ganzes Leben hatte sie mit der Last ihrer Krankheit leben müssen. Sie hatte kaum eine richtige Kindheit gehabt. Und ständig hatte sie mitansehen müssen, wie nicht nur sie selbst litt, sondern auch alle um sie herum.

 Am Ende des Tages musste es eine Erleichterung für sie gewesen sein, dieses Leiden endlich enden zu sehen.

***

In den ersten Tagen und Wochen nach Mercys Tod schien es, als würde Levi daran zerbrechen.

 Er ging bis spät abends mit seinen Freunden raus und kam betrunken zurück. Manchmal blieb er den ganzen tag in seinem Zimmer, ging nicht zur Schule und wollte nicht mit mir reden.

 Es brach mir das Herz ihn so zu sehen, aber wirklich tun konnte ich nichts. Also gab ich ihm einfach nur Raum und Zeit, um mit den Geschehnissen abzuschließen. Um alles zu verarbeiten.

 Eines Abends kam Levi wieder erst um zwei Uhr Nach Hause. Ich war noch wach geblieben, um auf ihn zu warten und ich spürte wie meine Sorge langsam wieder der Erleichterung wich.

 Levi machte keinen Muchs, als er sich umzog und im Badezimmer waschen ging. Er sagte erst etwas, als er schon neben mir lag.

 „Snow? Bist du noch wach?"

Ich drehte mich zu ihm um. Der Mond warf etwas Licht auf sein Gesicht. „Ja." Hauchte ich.

 Er streckte eine Hand nach mir aus und legte sie an meine Wange.

 „Es tut mir leid."

 „Was denn?"

 Sein Daumen strich über meinen Mundwinkel. „Dass alles. Mein verhalten."
Ich lächelte ihn schwach an. „Schon gut."

 Er schüttelte den Kopf „nein. Du musst dich schrecklich an deine Mom erinnert fühlen. Und das will ich nicht." Er seufzte und sein Blick wanderte über mein Gesicht. „Das hat jetzt ein Ende. Versprochen."

 Mir traten Tränen in die Augen. „Ich bin immer für dich da."

 „ich weiß Und ich will es auch für dich sein."

Jetzt legte auch ich meinerseits eine Hand an seine Wange. „Ja, und genau dafür liebe ich dich."
Hauchte ich und ich hatte das Gefühl dass Levi für einen Moment die Luft anhielt.

 Ein Glitzern trat in seine Augen. „Sag das nochmal." Flüsterte er.

 „Ich liebe dich."

 Er lächelte mich so strahlend an, als hätte ich ihm das schönste Geschenk gemacht, das es gibt.
Dann beugte er sich vor und gab mir einen Kuss.

„Und ich liebe dich auch."

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So, das ist das letzte richtige Kapitel.... morgen kommt noch der Epilog und die Danksagung❤

SnowwhiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt