Faul lag ich auf dem Sofa und sah gelangweilt irgendwelche schlecht gestellten Realityserien. Eigentlich mochte ich Fernsehen nicht so wirklich, aber der Mangel an Alternativen machte sich so langsam bemerkbar. Zuhause war ich immer unterwegs gewesen. Mit Manu oder einfach nur draußen, weil man früher oder später immer irgendwen traf, den man kannte. Hier hingegen... naja Frauentausch war auch ganz interessant.
Meine Mutter werkelte munter in der Küche herum, seitdem sie von der Arbeit zurück war. Wie immer mit blendender Laune und dem Bedürfnis, mir alles zu erzählen, was so über den Tag passiert war. Dass sie einer Frau Lüders beinahe das falsche Rezept ausgestellt hatte und Doktor Riephoff gerne Veilchen mochte. Wen das interessierte? Das wusste ich auch nicht, aber meine Mutter hielt es für wichtig mir das mitzuteilen.
Von meiner Begegnung mit Luise hatte ich ihr nichts erzählt, da ich mir nicht wieder ihr Gerede darüber anhören wollte, wie tolle Freunde ich doch finden würde und wie schön alles hier doch sei. Denn das war es absolut nicht, selbst wenn hier ein Mädchen mit der Esel-Ziege ihres Bruders rumlief.
Als es plötzlich an der Tür klingelte, rief sie: „Gehst du? Ich hab Seifenhände!"
Laut stöhnend erhob ich mich und schleppte mich zu Eingang. Durch das Milchglas konnte ich grob den Umriss einer Person erkennen.
Ich riss die Tür etwas zu ruckartig auf und erwartete bereits einen Postboten oder von mir aus auch nen Zeugen Jehovas, doch vor mir stand niemand geringeres als Luise, das Ziegenmädchen.
Sie lächelte etwas unsicher und strich sich eine lockere hellrote Strähne aus dem Gesicht, die wohl aus ihrem ordentlich geflochtenen Zopf herausgerutscht war. Sie trug nicht mehr die große grüne Jacke. Dafür war es viel zu warm. Dafür trug sie ein einfaches dunkelblaues T-Shirt und eine abgenutzte Jeans, deren Löcher nicht unbedingt danach aussahen, als ob sie gewollt wären. Und sie war barfuß. Warum auch immer dieses Mädchen ohne Schuhe herumlief. Sie hatte doch Schuhe, das hatte ich am Morgen doch gesehen. Warum trug sie die dann nicht? Dorfmenschen waren schon irgendwie komisch. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ihr Stammbaum wahrscheinlich ein Kreis war.
„Äh... hi!", begrüßte sie mich etwas unsicher und winkte unbeholfen. Also machte sie sowas doch nicht so oft... aber naja so viele Leute gab es in der Gegend ja auch nicht.
„Hallo?"
Es stellte sich eine komische Stille ein, ehe Luise runterrasselte: „Also Anni und ich wollten morgen ein wenig rumgammeln und sie meinte, ich soll dich mal fragen, ob du vielleicht mitkommen willst... also vielleicht irgendwie"
Dann strich sie sich unsicher ein paar blonde Strähnen, die aus ihrem Zopf gerutscht waren hinters Ohr und lief leicht rot an.
Wenn man mal davon absah, dass wir uns immer nur in äußerst komischen Situationen sahen, war sie echt süß - für ein Ziegenmädchen, das wohl noch nie was von sauberer oder passender Kleidung gehört hatte.
„Ähh... klar, also warum nicht", meinte ich achselzuckend, woraufhin Luise anfing zu grinsen. Ihre Unsicherheit war wie weggeblasen und sie fragte: „Gut, dann so gegen zwei?"
„Joa, klar"
„Sollen wir dich abholen?", fragte sie eifrig.
„Das wäre super, ich kenn mich hier noch nicht so aus"
Sie schenkte mir ein Lächeln und sagte dann: „Okay super, also gut, dann bis Morgen. Tschüssi"
Sie warf mir noch ein letztes strahlendes Lächeln zu, ehe sie sich umdrehte und wieder zur Straße lief, wo das Pony stand - Flicka, rief ich mir in Erinnerung - und graste. Warum schleppte sie dieses Pony mit? Hinter das Pony war wieder die komische Konstruktion aus Holzbalken und Brettern auf Rädern gespannt. Sie ließ sich auf das Gestell fallen, das dabei bedrohlich quietschte und schnalzte mit der Zunge, woraufhin das Pony fröhlich lostrottete.
Ein wenig verrückt war Luise ja schon. Das wusste ich, obwohl ich sie erst so kurz kannte, aber irgendwie war sie mir trotzdem sympathisch.
„Wer war das?", fragte meine Mutter und kam mit einem Handtuch in den Flur.
Ich log: „Nur der Postbote, hat aber das falsche Haus getroffen"
Wie gesagt: ich hatte keinen Bock auf den Optimismus meiner Mutter. Und irgendwie wollte ich auch nicht unbedingt zugeben, dass sie ein wenig recht hatte, als sie sagte, dass Luise „doch ganz nett" war.
Zurück in meinem Zimmer warf ich mich direkt aufs Bett. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell irgendwelche Kontakte finden würde. Ich hatte bei Instagram nach Bildern gesucht, die diesen Standpunkt hatten, aber nichts gefunden. Also hatte ich einfach ml angenommen, dass hier keine Menschen unter dreißig wohnten.
Luise erschien mir aber ziemlich unter dreißig. Und sie war nett, auch wenn sie ein wenig verrückt zu sein schien.
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Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen
Teen FictionMila hat keine Lust. Keine Lust auf schlechtes Internet. Keine Lust auf ihre Mutter und ihren Ökotrip. Keine Lust auf nervige Dorfkinder und erst recht keine Lust auf das verdammte Dreckskaff, in das ihre Mutter sie verschleppen will. Es ist wortwö...