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Etwas erschlagen von den ganzen Informationen schwieg ich, während Luise stoisch in die Sterne starrte.

„Und warum haben Anni und du euch gestern gestritten?", fragte ich schließlich leise.

Lu murmelte: „Sie denkt, dass ich auf Tobi steh oder er auf mich oder was weiß ich schon. Aber wir sind nur Freunde und unsere Familien kennen sich ganz gut. Mein Opa hat Tobi bei seiner Amerikareise geholfen und so"

Es schien ein wenig, als ob Lu die Kraft fehlte, um wütend zu sein.

„Und warum stört sie das?", fragte ich.

„Weil sie auf ihn steht, aber er ist halt einfach viel zu alt für sie und das weiß sie auch! Aber jetzt tut sie so, als wäre es meine Schuld, dass das nicht funktionieren kann. Und ich glaube sie ist eifersüchtig auf etwas, das garnicht da ist. Ich meine, Tobi ist nett, aber er ist eher sowas wie ein Bruder für mich, genau wie Hannes auch"

Oh man, jugendliches Liebesdrama Dorf-Edition. Aber auf eine seltsame Art freute es mich, dass Luise weder in Tobi noch in irgendeinen anderen Jungen verknallt zu sein schien.

„Das legt sich wieder", meinte ich zuversichtlich.

Lu nickte: „Hoff ich auch"

Den Blick nach wie vor auf die Sterne gerichtet, hing sie ihren Gedanken nach. Ich beobachtete sie dabei.

„Wer weiß noch von dem, was du mir erzählt hast?", fragte ich schließlich leise.

„Wahrscheinlich jeder, besonders nachdem Anni... Ich meine, ich habs niemandem so richtig erzählt, aber Gerüchte verbreiten sich hier wie ein Waldbrand", meinte Lu bitter „Dorfleben halt. Darum haben die auch alle immer Mitleid. Darum gibt Kims Mutter mir immer was zu Essen mit, wenn ich da bin und nur darum sind Annis Eltern immer so nett zu mir. Nur darum helfen Tobi und die ganzen Jungs mir, wenn was ist. Das ist ja nett und so, aber sein ganzes Leben auf Mitleid aufzubauen und ständig das Gefühl haben zu müssen ihnen was schuldig zu sein ist scheiße, aber ohne das alles würde ich auch nicht auskommen"

Ach ja, die Geschichte mit den Gerüchten.

Verständnislos sah ich sie an.

„Denkst du das wirklich? Dass alle nur nett zu dir sind, weil sie Mitleid haben?"

Die Rothaarige zuckte mit den Achseln, wandte den Blick aber noch immer nicht von den Sternen ab: „Warum denn sonst?"

Die Taktik kannte ich. Wenn man direkt ins Licht oder nach oben sah, hielt das die Tränen meist zurück.

„Vielleicht weil du absolut liebenswürdig bist? Ich meine, meine Mutter fragt jedes Mal, wann du mal wieder zu uns kommst, ganz ohne, dass sie was von der Geschichte weiß. Es gibt wirklich niemanden, der dich nicht mag. Du bist hilfsbereit, lieb... keine Ahnung wie man so nett sein kann. Die Hälfte der Eltern hier würden dich wahrscheinlich am liebsten gegen ihre Kinder eintauschen"

Nun lachte sie schon fast wieder: „Die Hälfte der Eltern hier würden ihre Kinder auch gegen zwei Kühe und ein Glas Marmelade eintauschen"

Ich musste mir ein Lachen verkneifen.

„Lach nicht. Hinnerks Eltern haben ihn von seinem Ausbildungsbetrieb drei Schafe bekommen, als er die Lehre angefangen hat als Entschädigung"

Da war es endgültig um mich geschehen und ich prustete los: „What the fuck"

Luise lächelte zufrieden. Ihre verkletteten Haare kringelten sich an den Schläfen. Die Erinnerung an den Abend, als es so geregnet hatte kamen wieder hoch. Luise in dem viel zu großen Pulli, die Haare feucht. Sie eng neben mir.

Von heteronormativer Hölle und einem Ziegenmädchen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt